Allergien revolutionär. Magdalena Stampfer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Magdalena Stampfer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783966612531
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ihre Tätigkeit in Harvard, von der sie am liebsten schon nach einer Woche geflüchtet wäre, hätte es ihre finanzielle Situation zugelassen. Sie wollte frei und unabhängig forschen und denken, also hängte sie die akademische Karriere zunächst an den Nagel und jobbte, beispielsweise als Kellnerin, um sich dann in ihrer Freizeit mit Evolutionsbiologie und vielen anderen Themen zu beschäftigen.

      Bruce Ames, ein Toxikologe mit einem Forschungslabor in Berkeley, wurde während einer seiner Vorlesungen auf Margie Profet aufmerksam. Profet, die zu dem Zeitpunkt schon längere Zeit nicht mehr inskribiert war, saß trotzdem im Hörsaal. Sie stellte so tiefgründige Fragen, dass er sie fragte, wer sie war. „Eine Kellnerin“, war die Antwort, mit der Ames nicht gerechnet hatte. Er verschaffte ihr einen Nebenjob als Bürogehilfin in seinem Labor. Doch schon bald bekam sie redaktionelle Arbeiten übertragen und arbeitete bei Publikationen mit. Ihr kritisches Denken und ihre Genauigkeit behielt sie dort bei. Der anerkannte Forscher Ames bot ihr bei einem seiner wissenschaftlichen Artikel an, sie als Co-Autorin zu nennen. Die meisten angehenden Forscherinnen hätten diese Ehrung gern angenommen, doch Margie Profet lehnte ab: Der Artikel würde ihren Ansprüchen nicht genügen und dafür wollte sie ihren Namen nicht hergeben [27]. So offen, freundlich und zuvorkommend sie ihren Mitmenschen anscheinend begegnete, so gnadenlos war sie auch, was ihre wissenschaftlichen Standards und Wertungen betraf. In einem Interview erklärte Profet einmal, dass sie kaum glauben konnte, dass man die Parasitentheorie tatsächlich ernst nahm, wäre sie doch „beyond silliness“ („unfassbar dumm“). Kein Wunder, dass sie unter Kollegen als exzentrisch galt.

      Eine Zeit lang zog sie sich aufgrund einer Erkrankung aus der Öffentlichkeit zurück, was den Mythos ihres eigenwilligen Charakters noch verstärkte und Wind in den Segeln der Kritiker war: Ein weiterer Grund, ihre Thesen nicht ernst zu nehmen. Doch eine Person mit einem derart genialen Geist sollte man nicht unterschätzen und ich bin mir sicher, dass wir auf wissenschaftlicher Ebene noch von ihr hören werden. Der Evolutionsbiologie ist sie treu geblieben, aber ihre Forschungen haben sich auf Hautprobleme wie Akne konzentriert (sie hat sogar ein effizientes Mittel dagegen entwickelt).

      In den letzten Jahren haben weitere Untersuchungen Margie Profets Toxin-Hypothese untermauert. Eine experimentelle Studie konnte 2013 belegen, dass bei Mäusen IgE-Antikörper bei der Eliminierung von Bienengift beteiligt sind [28].Verwendete man modifizierte Mäuse, bei denen die IgE-Antikörperbildung künstlich unterdrückt worden war, zeigte sich, dass diese im Vergleich zu „normalen“ Mäusen dem Bienentoxin schutzlos ausgeliefert waren. IgE-Antikörper stellen also tatsächlich eine Schutzfunktion gegen Gifte dar. Später konnte auch ein Schutz vor Schlangengift gezeigt werden: Mäuse, die durch früheren Kontakt IgE-Antikörper gegen das Schlangengift produziert hatten, überlebten anschließend eine eigentlich tödliche Dosis [29]. Sie waren quasi darauf schon vorbereitet, die Sensibilisierung darauf machte Sinn. Der Evolution geht es ja vor allem ums Überleben, da kann man Ausschlag oder Juckreiz in Kauf nehmen.

      Auch Profets Behauptung, dass Allergien dazu dienen, krebserregende Stoffe aus dem Körper zu schleusen, hat im Laufe der Jahre wissenschaftliche Rückendeckung bekommen. Das Risiko einen Gehirntumor zu entwickeln ist für Allergiker viel geringer als für Personen, die an keiner Allergie leiden. Wenn man wieder einmal nicht gut Luft bekommt oder ein allergischer Ausschlag auftritt, kann man sich immerhin damit trösten. Zum Glück ist das Risiko, an einem Gehirntumor zu erkranken ohnehin gering, sodass es für den Einzelnen keinen großen Unterschied macht. Aber die Zahlen sind signifikant genug, um den von Profet postulierten Zusammenhang zu belegen [30].

      Margie Profets Toxin-Hypothese gibt den Lehren vieler ganzheitlicher Behandlungsformen ein wissenschaftliches Fundament. In meiner Praxis konnte ich oft beobachten, dass sich bei Klienten, die ich bei der Entgiftung unterstützt habe, nebenbei auch die allergischen Symptome und Unverträglichkeiten besserten. Eigentlich ist Psychokinesiologie mein Schwerpunkt, doch war es interessant zu sehen, welche positiven Effekte allein durch Entgiftung erzielt werden konnten. Je mehr ich mich mit dem Thema Entgiftung beschäftigte, desto öfter stolperte ich über dieses Phänomen. Viele naturheilkundliche Verfahren sehen eine Entlastung des Körpers von Giften als Kernelement an: Ob es sich um Ayurveda, Homöopathie, Kinesiologie oder TCM handelt, der Begriff „Ausleitung“ kommt immer wieder vor, auch wenn er je nach Therapieform unterschiedlich interpretiert wird. All diesen Methoden bleibt aber die Absicht gemeinsam, den Körper wieder in Balance zu bringen, indem man ihm hilft, Gifte wieder loszuwerden und auszuscheiden. Man versucht also nicht, einen ohnehin überlasteten Körper mit Chemie & Co. vollzustopfen, sondern das Belastungsfass zu leeren. Führen wir uns vor Augen, welchen toxischen Belastungen wir heute ausgesetzt sind und wie sehr unsere Zellen noch durch andere Faktoren wie zum Beispiel Mobilfunkstrahlung unter Dauerbeschuss stehen, dann muten die heftigen Reaktionen des Körpers gar nicht mehr so seltsam an. Und die psychischen Faktoren haben wir bisher noch gar nicht berücksichtigt.

      Das aufgebrachte Nervensystem

      Setzt der Körper eine bestimmte Substanz einmal mit Stress gleich, dann ist diese Speicherung oft noch zu einem späteren Zeitpunkt gültig, auch wenn die Stresssituation längst vorbei ist. Das heißt, einmal auf Weizen in Verbindung mit bestimmten Toxinen, beispielsweise Aluminium oder Glyphosat, sensibilisiert, reagiert der Körper beim nächsten Kontakt damit beleidigt. Und zwar auch dann, wenn wir reinen Bio-Weizen zu uns nehmen. Erstens ist die Speicherung, dass Weizenproteine schädlich sind, noch zu frisch. Zweitens befindet sich das Aluminium oder Glyphosat vielleicht immer noch im Körper, sodass er hier besonders vorsichtig ist, denn die Dosis macht bekanntlich das Gift. Besteht bereits eine Toxinbelastung, muss doppelt und dreifach aufgepasst und eventuell reagiert werden.

      Interessanterweise kann eine Reaktion bei einem derart gereizten Nervensystem auch ganz ohne echten allergischen Reiz ablaufen. Bereits 1886 berichtete John N. MacKenzie, dass eine unter allergischem Asthma leidende Patientin durch das Riechen an einer Rose asthmatische Anfälle bekam [31]. Erstaunlicherweise konnten diese Anfälle auch durch eine künstliche Rose getriggert werden. Ihr Nervensystem hatte also die Information Rose mit allergischer Reaktion gekoppelt, unabhängig davon, ob biochemisch eine echte Rose beteiligt war oder nicht.

      Um diese Zusammenhänge auf die MacKenzie aufmerksam gemacht hatte, genauer zu untersuchen, wurde knapp ein Jahrhundert später beim Brain Behavior Research Center in Kalifornien ein Versuch mit Meerschweinchen gestartet. Denn die Prozesse bei allergischen Reaktionen sind bei Meerschweinchen und Menschen erstaunlich ähnlich, vom Mechanismus der Histaminfreisetzung über das Verhalten der Mastzellen bis hin zur Bildung von Antikörpern. Zu Beginn dieser Studie wurden die Tiere auf Rinderalbumin sensibilisiert [32]. Nach der Sensibilisierungsphase, nachdem die Tiere bereits auf das Rinderalbumin allergisch waren, reagierten sie bei jedem Kontakt mit dieser Substanz mit einer erhöhten Histaminausschüttung. Nun ließ man die Tiere in einer sogenannten Trainingsphase an Düften schnuppern, die mit Rinderalbumin gemischt waren. Nach einer zweiwöchigen Verschnaufpause, in der sich das Immunsystem von etwaigen allergischen Reaktionen erholen konnte, begann der eigentliche Versuch. Dabei ließ man die Meerschweinchen nur noch an den Duftstoffen riechen, aber diesmal ohne Beimischung des Rinderalbumins, es war nur mehr der Duft und kein Allergen beteiligt. Der Duft allein löste eine Freisetzung von Histamin aus. Die Tiere hatten den Geruch mit dem Allergen gekoppelt, sodass der olfaktorische Reiz für das Immunsystem ausreichend war, um mit einer allergischen Reaktion aufzufahren. Die Tiere hatten die Histaminausschüttung quasi gelernt. Das heißt: Der Körper reagiert so, als wäre der allergieauslösende Stoff beteiligt, obwohl dieser nicht vorhanden ist. Der Körper ruft aber die eingeübte Reaktion deshalb einfach ab, weil die Sensibilisierung noch aktiv ist.

      Man kann auch auf Musik allergisch werden. Wie unser Nerven- und Immunsystem bei allergischen Reaktionen zusammenarbeiten hat John Bienenstock in Rattenversuchen gezeigt [33]. Dabei hat er zunächst Ratten allergisch gemacht und ihnen dann beim wiederholten Kontakt mit dem allergieauslösenden Stoff Musik von den Rolling Stones vorgespielt. Immer und immer wieder. Schließlich spielte er ihnen nur die Musik vor, ohne das Allergen zu verabreichen und siehe da: Die allergischen Reaktionen zeigten sich weiterhin, obwohl nur die Musik und kein Allergen mehr im Spiel war. Ähnlich dem Pawlowschen Reflex koppelten die Gehirne der Ratten das Allergen mit der Musik. Der musikalische