Allergien revolutionär. Magdalena Stampfer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Magdalena Stampfer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783966612531
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nahegelegt wird. Es wird ja immer mit wissenschaftlichen Studien untermauert. Doch oft wird etwas als wissenschaftliche Studie zitiert, obwohl es diese ehrenhafte Bezeichnung nicht verdient, was klar ersichtlich wird, sobald man hinter das wunderschön vorbereitete Deckblatt schaut. Konzerne bewerben ihre Produkte häufig mit dem Verweis auf wissenschaftliche Publikationen, auch wenn diese den branchenüblichen Standards der Wissenschaftsszene überhaupt nicht genügen. Medikamente werden auf den Markt geworfen, obwohl sie kaum besser als ein Placebo wirken und mit erheblichen Nebenwirkungen zu rechnen ist. Impfstoffe können sogar zugelassen werden, obwohl die entsprechende Zulassungsstudie ohne echte Placebo-Gruppe durchgeführt wurde und der wissenschaftliche Goldstandard nicht erfüllt ist. Beim Freigabeprozess verlässt man sich auf die vom Produzenten gelieferten Daten. In unseren Nahrungsmitteln können Toxine vorkommen, denen von scheinbar unabhängiger Stelle Ungefährlichkeit attestiert wurde. Auch wenn sich diese Unabhängigkeit bei genauerem Hinsehen als blanker Betrug herausstellt.

      Doch wen kümmert das? Wer bemerkt tatsächlich, wenn die Behauptungen der Industrie nicht stimmen? Wer liest sich die Studien Punkt für Punkt durch und überprüft die Daten? Und selbst wenn: Eine Heerschar von Anwälten ist auf etwaige Klagen bestens vorbereitet und etwaige Kritik tut dem Umsatz ohnehin keinen Abbruch. Die Methodenmängel bestimmter Studien schaffen es nicht in die Schlagzeilen und werden auch nicht zu trending topics auf Twitter. Im Hauptabendprogramm ist nun mal kein Platz für derlei Informationen, auch wenn sie das Leben vieler Menschen grundlegend ändern könnten.

      Mangelhafte Arbeiten, die vor falschen Annahmen und Manipulationen strotzen, werden zwar in einschlägigen Journals kritisiert und unter Wissenschaftlern diskutiert. Doch diese Diskussionen finden im Verborgenen statt und Entscheidungsträger in der Politik scheinen diese anstrengende Lektüre zu meiden. Sie verlassen sich auf ihre Berater, die es doch wissen werden. So wird jahrelang mit denselben Zutaten gekocht, obwohl es bereits frischere, gesündere Alternativen gäbe. Schon längst fordern Wissenschaftler, bestimmten Dingen nachzugehen, Substanzen auf ihre Sicherheit genauer zu überprüfen oder aus dem Verkehr zu ziehen. Diese Forderungen zeigen in der gut geölten Medizinmaschinerie jedoch keine Wirkung, da man über jede Kritik erhaben ist, solange nicht mit wirtschaftlichen Einbußen zu rechnen ist. Auch hochinteressante Entdeckungen bleiben in vielen Fällen der Öffentlichkeit verborgen, obwohl sie theoretisch für jeden, der über einen Internetanschluss verfügt, zugänglich wären.

      Wenn es um neue Therapien geht, sind wirtschaftliche Faktoren oft wichtiger als der Einsatz des besten Produktes. Viele natürliche Heilmethoden, Kräuter und Extrakte sind schon seit Jahrzehnten bekannt und ihre Wirksamkeit ist in vielen Fällen nicht nur durch Erfahrungswerte, sondern auch durch wissenschaftliche Studien, die den Namen auch verdienen, belegt. Sie haben jedoch alle einen entscheidenden Nachteil: Sie sind nicht patentierbar. Und somit werden sie für die Pharmariesen vollkommen uninteressant, weil damit nicht viel Umsatz generiert werden kann. Mit einer patentierten Allergieimpfung oder einem Medikament gegen Heuschnupfen aber schon. Natürlich versuchen Konzerne heute bereits, Patente auf Gemüsearten wie Brokkoli oder diverse Heilkräuter juristisch durchzuringen. Doch solange das Patent noch nicht bewilligt ist, werden sie als kaum wirksam betrachtet. Sobald die Patentierung unter Dach und Fach ist, steigt die Wirksamkeit erstaunlicherweise auf einmal in ungeahnte Höhen.

      Viele Hausmittel, naturheilkundliche Therapien und Kräuteranwendungen sind nicht deshalb in Vergessenheit geraten, weil sie plötzlich aufgehört haben, zu wirken. Die Sauerkraut- und Salbeilobby ist eben nicht besonders groß und ihre Werbeausgaben im Vergleich zu den Marketingetats der großen Firmen verschwindend gering. Mit Kräutern und Naturextrakten kann man sich keine goldene Nase verdienen. Die Herstellung ist langwierig und teuer, natürlichen Schwankungen unterworfen und die Gewinnmargen vergleichsweise klein. Eine gesunde Ernährungsweise ist aus Sicht der Konzerne noch schlimmer, denn dies läuft darauf hinaus, dass sie auf ihrer industriell verarbeiteten Nahrung sitzen bleiben, weil sich die Menschen regionalen und natürlichen Produkten zuwenden. Und dadurch auch noch gesünder werden!

Am Beispiel Wasser: Wie mit Dosierungen gespielt werden kann
Gibt man sich Mühe, kann man eine Studie über Wasser generieren, die zu drei völlig unterschiedlichen Ergebnissen über dessen Rolle kommt – von lebensnotwendig bis toxisch. Nehmen wir einmal an, wir möchten untersuchen, ob Wasser auf das Wohlbefinden von Verdurstenden einen Einfluss hat. Es genügt, mit der Dosierung zu spielen, schon kommen drei völlig verschiedene Ergebnisse heraus: 1. Studie - Dosis: 1 Wassertropfen. Fazit: Wasser hat keinen Einfluss auf die Überlebensrate von Verdurstenden. 2. Studie - Dosis: 1 Liter Wasser. Fazit: Wasser rettet das Leben von Verdurstenden. 3. Studie - Dosis: 10 Liter Wasser. Fazit: Wasser ist hochtoxisch und kann zu Vergiftungen führen. Während es bei Wasser für jeden schnell erkennbar ist, sind andere Substanzen und Fragestellungen auf den ersten Blick nicht so leicht durchschaubar. Würden sich die Entscheidungsträger für den zweiten Blick überhaupt die Zeit nehmen, wäre das an sich auch kein Problem.

      Falsch, aber es macht nichts

      Forschungsarbeiten sollten dazu dienen, die Welt begreifbarer zu machen und uns Informationen zu liefern. Anhand dieser Informationen wollen wir gute und richtige Entscheidungen treffen, wir wollen das Risiko minimieren, Fehler zu machen. Das Problem dabei ist: Die meisten der veröffentlichten Forschungsergebnisse sind falsch. Auch diese Aussage beruft sich auf einer Studie, „Why Most Published Research Findings Are False“ von John Ioannidis [19]. Dieser Mann weiß nicht nur, wie man sich unter Kollegen unbeliebt macht, sondern auch, wie man beweisen kann, dass die meisten publizierten wissenschaftlichen Artikel in Wirklichkeit bloß Makulatur sind.

      Zugegebenermaßen ist es ein wenig absurd, wenn eine Studie sagt, Studien sind meistens falsch. Doch so seltsam ist es dann doch nicht, wenn man sich die großen Qualitätsunterschiede zwischen den Publikationen ansieht. Ioannidis kommt zu folgendem Schluss: Je größer finanzielle Interessen und vorgefertigte Meinungen sind, desto kleiner ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Resultate der Studie richtig sind. Viele Hypothesen werden später nicht überprüft und die Versuche nicht wiederholt. Wenn das aber doch geschieht, dann halten sie der neuerlichen Inspektion oft nicht Stand. Neuen Entdeckungen wird größerer Wert beigemessen, deshalb gilt es unter Wissenschaftlern irgendwie als uncool, bereits publizierte Ergebnisse nochmals zu wiederholen und zu kontrollieren. So halten sich falsche Hypothesen mitunter jahrelang.

      Diese ernüchternden Ergebnisse sind sogar noch beschönigt, weil der Autor jene Publikationen herangezogen hat, die in peer-reviewed Journals abgedruckt werden. Das sind jene Artikel, die großen Qualitätsansprüchen genügen müssen, da sie von einer Schar von Experten vorher gelesen und auf ihre Plausibilität geprüft werden. Wenn sogar die besten wissenschaftlichen Publikationen häufig falsch sind, wie wird es dann erst bei Studien aussehen, die von Firmen in Auftrag gegeben werden, um ein Medikament, einen Impfstoff oder einen Zusatzstoff für Nahrungsmittel auf den Markt zu bringen? Da ist ja nicht die Publikation selbst und die wissenschaftliche Ehre das Ziel, sondern nur das positive Abschließen des Zulassungsverfahrens bei den Behörden.

      Wie es Brian Nosek von der Universität West Virginia formuliert: „Es ist nicht wichtig, ob es falsch ist. Es ist wichtig, dass es publiziert wird.“ [20] Demnach kann man ohne Bedenken etwas publizieren und sollte es sich als falsch herausstellen, dann wird eben geschwiegen. Sich bei den Behörden zu melden und zuzugeben, dass das untersuchte Nahrungsmittel oder Medikament besser vom Markt genommen werden sollte? Auf diese Idee wird keiner kommen, der seinen Job behalten will.

      Wenn wir schon beim Job sind: Das meiste erfährt man in der Branche oft von Menschen, denen an ihrem Arbeitsplatz nichts mehr liegt oder die schon pensioniert sind. Beispielsweise von Richard Smith, der 25 Jahre lang Herausgeber des British Medical Journal war und danach ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben hat. Es heißt „The Trouble with Medical Journals“ und beschreibt, wie die Pharmaindustrie auch diese scheinbar unabhängigen Zeitschriften kontrolliert. Im Grunde genommen geht das recht einfach, denn eine Zeitschrift kann mit einem positiven