Höllenfrost - Ein Fall für Julia Wagner: Band 3. Tanja Noy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tanja Noy
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Julia Wagner
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726643084
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werde es versuchen. Aber zuerst muss ich Eva finden.“

      2. KAPITEL

      Was ist los?

      Samstag, 18. Dezember 2010

      08:07 Uhr

      Weidling

      „Wo, zum Teufel, steckst du?“

      „Ich bin im Schwarzwald.“

      „Was, bitte schön, tust du im Schwarzwald?“

      Bibbernd blickte Eva Haack aus der Frontscheibe ihres Wagens. Das war also das Unwetter, das der Wetterbericht angekündigt hatte. Die Wolken wirkten dick und unbeweglich wie eine nasse Bettdecke, der Wind pfiff, der Schnee fiel nicht, nein, er stürzte geradezu vom Himmel, und dazu war es so kalt, dass trotz dicker Kleidung jede Bewegung anstrengend werden würde. Hätte sie nicht dringend ihre Medikamente gebraucht, Eva hätte ihr sicheres Domizil an diesem Morgen garantiert nicht verlassen. Unter gar keinen Umständen hätte sie den Weg ins Dorf auf sich genommen. So aber war sie gezwungen, die Apotheke aufzusuchen, und gerade in dem Moment, in dem sie den Wagen geparkt hatte und aussteigen wollte, piepste das Handy. Sie hatte es aus ihrer Handtasche gezogen und das Gespräch angenommen. Und das hatte sie jetzt davon.

      „Was, bitte schön, tust du im Schwarzwald?“, wiederholte Robert am anderen Ende.

      „Ich muss nachdenken“, gab Eva zurück. „Wichtige Entscheidungen treffen.“

      „Aha. Und sagst du mir auch, um welche Art von Entscheidungen es sich dabei handelt?“

      „Ich werde mich scheiden lassen, Robert.“

      „Was?“

      „Hör zu …“ Eva atmete tief durch. „Wir haben es versucht. Aber es ist einfach zu viel passiert.“

      „Und anstatt mir das ins Gesicht zu sagen, haust du einfach ab und fährst von Hamburg bis in den Schwarzwald? Was ist los mit dir, Eva? Wir sind fünf Jahre lang verheiratet. Ich finde, ich habe ein bisschen mehr verdient als das. Wir lieben uns doch.“

      „Du machst es dir leichter, wenn du dich einfach damit abfindest.“

      „Ich werde mich nicht damit abfinden. Was du gerade tust, ist hilfloses Handeln. Verzweiflung. Natürlich, du hast in den letzten Monaten viel durchgemacht … und tust es noch, aber das geht doch jedem einmal so.“

      „Es wurde aber nicht jeder lebendig an ein Kreuz genagelt.“

      Robert schwieg, während Eva es schon wieder deutlich vor sich sah: Wolfgang Lange; die alte Kapelle; das riesige, auf dem Kopf stehende Kreuz; die Nägel, die er durch ihre Hände und Füße geschlagen hatte. Wie sollte man das je wieder vergessen? Man konnte die Erinnerung daran nicht einfach mit Seife abwaschen, und alles war wieder gut. Sie musste damit leben, er nicht. Für einen so selbstbewussten und beherrschten Menschen wie sie war das Gefühl der Machtlosigkeit geradezu erdrückend. Sie fühlte sich beschädigt, in sich selbst isoliert. Mehr als einmal glaubte sie, kurz davor zu sein, den Verstand zu verlieren.

      „Hör mir zu“, sagte Robert in ihre Gedanken. „Ich weiß doch, dass das alles nur Abwehrmechanismen sind. Mauern, die du um dich herum aufgebaut hast, um dich zu schützen. Aber doch nicht vor mir. Lass mich wieder in dein Leben. Wir können es zusammen schaffen. Wir …“

      „Selbst wenn ich es wollte“, fiel Eva ihm ins Wort, „ich würde nie wieder die werden, die ich einmal war. Dafür ist einfach zu viel passiert.“

      „Ich werde dir helfen, darüber hinwegzukommen.“

      „Das muss ich leider ganz alleine tun.“

      Jetzt hob Robert die Stimme ein wenig an. „Wenn diese furchtbare Geschichte nicht passiert wäre, dann würden wir uns jetzt nicht trennen. Wir wären ewig zusammengeblieben.“

      „Das wissen wir nicht.“

      „Ich weiß es. Das hätte dieser Mistkerl dir nicht antun dürfen. Und sie hätte dich niemals in diese Sache hineinziehen dürfen. Es ist allein ihre Schuld.“

      „Robert, bitte …“, setzte Eva an.

      „Von mir lässt du dich scheiden, aber sie nimmst du weiter in Schutz.“

      „Hör bitte auf.“

      „Warum hat sie es nicht verhindert?“

      „Sie konnte es nicht verhindern. Es war nicht ihre Schuld.“

      „Siehst du! Du tust es schon wieder! Du nimmst sie in Schutz!“

      „Ich denke, wir sollten das Gespräch besser beenden, bevor …“

      „Bevor was?“ Robert feixte. „Bevor es mit mir durchgeht?“

      „Bevor nur noch Scherben übrig sind.“

      „Sie hat immer zwischen uns gestanden“, redete er unbeeindruckt weiter. „Immer.“

      „Das ist nicht wahr.“

      „Ach, hör doch auf, Eva, natürlich ist es wahr. Dein ganzes Tun und Handeln kreist um sie, selbst wenn sie gar nicht da ist. Vielleicht ist es dir nicht bewusst, aber genauso ist es. Auch wenn du es nicht aussprichst, ist sie trotzdem immer in deinen Gedanken.“

      „Das ist Blödsinn!“, fuhr Eva auf.

      „Warum bist du im April überhaupt nach Wittenrode gefahren?“

      Ein jäher Windstoß blies um den Wagen, Eva spürte ein Erzittern, ein tiefes Beben, das ihr bis tief in die Knochen fuhr.

      „Ich wollte an Kerstins Beerdigung teilnehmen“, antwortete sie. „Das hatte mit Julia überhaupt nichts zu tun. Du bist auf eine Person eifersüchtig, die du nicht einmal persönlich kennst.“

      „Ich muss sie nicht persönlich kennen. Ich habe Augen, und ich habe Ohren. Und ich weiß, was ich weiß.“

      Eva atmete tief durch. „Julia und mich verbindet eine schwierige Kindheit, das kann man nun mal nicht vergessen. Den Rest allerdings, den spinnst du dir zusammen.“ Sie richtete sich etwas auf. „Es hat tausend Gründe, warum unsere Ehe gescheitert ist, Robert, aber es hat ganz bestimmt nichts mit ihr zu tun. Ich werde jetzt auflegen.“

      „Du willst es also tatsächlich beenden?“

      „Ich habe alles gesagt. Es tut mir wirklich leid.“

      Damit drückte Eva das Gespräch weg, legte das Handy zurück in ihre Handtasche und machte sich auf den Weg zur Apotheke.

      Später würde sie sich an diese Minuten immer wieder erinnern.

      Die letzten Minuten, ehe das völlige Chaos ausbrach.

      Mainz

      „Julia? Was ist verdammt noch mal los mit dir? Wir hatten eine Abmachung, erinnerst du dich? Du wollest dich gestern Morgen melden, hast aber bis jetzt noch nichts von dir hören lassen. Ich gebe dir jetzt noch genau fünf Stunden, wenn du dich dann nicht gemeldet hast, lasse ich dein Handy orten! Das ist mein Ernst! Du weißt genau, was für eine Scheißangst ich um dich habe!“ Schnaubend klappte Zander das Handy zu und ging weiter mit großen Schritten den Flur des Krankenhauses entlang. Der Arzt, der am anderen Ende auf ihn wartete, begrüßte ihn kurz, wobei er den Kopf in den Nacken legen musste, denn Zander war ein Riese mit kurzen roten Haaren und einem überbreiten Körperbau. Seine Größe und seine Statur ließen unweigerlich alle, die mit ihm sprachen, respektvoll das Genick einziehen und die Stimme senken. Ein Geschenk für einen Polizisten bei der Kripo.

      Der Arzt räusperte sich und blickte auf die Papiere in seiner Hand. „Also, was haben wir … Eine junge Frau, deren Namen wir nicht kennen, weil sie keine Papiere bei sich trug. Vermutlich Osteuropäerin, schätzungsweise zwanzig Jahre alt. Wurde heute Morgen gegen sieben Uhr dreißig eingeliefert. Kopf und Schultern waren blutverkrustet … was von einer tiefen Kopfwunde herrührt. Auf ihrem gesamten Körper finden sich Spuren von schwerer Folter … Außerdem befand sich eine getrocknete