Höllenfrost - Ein Fall für Julia Wagner: Band 3. Tanja Noy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tanja Noy
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Julia Wagner
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726643084
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meinen Sie, warum hat Wolfgang Lange damals ausgerechnet diesen Ort für seinen letzten Akt mit Ihnen ausgesucht?“

      „Das wissen Sie selbst sehr genau. Weil er einen großen Ort dafür brauchte, einen mächtigen Ort. Er war Satanist. Was hätte sich da besser geeignet als eine Kirche?“

      Paula nickte. „Und er wusste, dass Sie kommen würden.“

      „Er hatte Eva. Natürlich wusste er, dass ich kommen würde.“ Julia verharrte in der Bewegung. „Wirklich, ich will das nicht tun.“

      „Sie müssen, und Sie wissen es.“

      Julia brummte etwas, das nicht zu verstehen war, und setzte sich wieder in Bewegung.

      „Sie werden gewinnen“, sagte Paula nach ein paar weiteren Metern. „Weil Sie immer noch daran glauben.“

      „Woran?“

      „An den Schmerz und den Kampf und dass es das Ziel am Ende wert ist.“

      Darauf bekam Paula keine Antwort von Julia.

      Wenig später hatten sie die alte Kapelle erreicht. Im gespenstischen Licht des Mondes sah sie unheimlich aus, ragte aus dem Boden wie ein giftiger Pilz. Gleichzeitig wirkte sie aber auch ruhig und friedlich. Nichts deutete auf das hin, was hier ein paar Monate zuvor geschehen war. Nichts deutete darauf hin, dass dies ein Ort war, an dem die Sonne niemals wieder auf- oder unterging.

      Julia war seitdem nicht mehr hier gewesen. Hier nicht und auch in keiner anderen Kirche. Sie legte keinen Wert darauf, sich mit Gott auszusöhnen. Jedenfalls nicht, bevor Gott seine Schuld bei ihr beglichen hatte, und da dies mit ziemlicher Sicherheit nie der Fall sein würde, war eine Aussöhnung praktisch ausgeschlossen.

      „Ich gehe zuerst hinein“, sagte Paula. „Sie warten, bis ich Ihnen Bescheid gebe. In Ordnung?“

      „Wenn es sein muss.“

      „Es ist das einzig Richtige. Alles muss zur rechten Zeit und in der richtigen Reihenfolge geschehen. Sonst wird es keine Wahrheit geben.“ Paula blickte zum Eingang der Kapelle. „Bringen wir es hinter uns.“

      Julia nickte langsam. Eine Art passive Akzeptanz. Sie beobachtete, wie Paula auf die Tür zuschritt und wenig später im Inneren verschwunden war.

      Der Wind begann immer heftiger und eisiger zu wehen. Jedes noch so kleine Geräusch erschien mit einem Mal hundertfach verstärkt, und jedes einzelne ließ Julia zusammenzucken.

       Was für eine beschissene Idee.

      Etwas Unheilvolles lag in der Dunkelheit um sie herum, sie spürte es deutlich: Die kahlen Bäume, die ringsum aufragten, deren Äste wie knochige Finger wirkten; der gewaltige Schatten der Burg auf der linken Seite, das klobige Gebäude des Waisenhauses auf der rechten, das alles nahm geradezu bedrohliche Formen an.

      Julia sah auf die Uhr, zehn Minuten vor Mitternacht. Sie zündete sich eine Zigarette an, rauchte, ohne die Tür zur Kapelle aus den Augen zu lassen.

      Warum kam von Paula nichts mehr?

      Als sie zu Ende geraucht hatte, machte Julia drei Schritte auf die Kapelle zu. „Frau von Jäckle?“

      Keine Antwort.

      Sie wusste nicht, was sie tun sollte, starrte einen Moment die Tür an.

      Dann machte sie zwei weitere Schritte, schob die Tür auf und trat ins Innere der Kapelle.

      Es ist bitterkalt. Das war ihr erster Gedanke.

      Julia stand am Ende des Kirchenschiffes, das zum Altar führte. Dort brannten ein paar Kerzen. Schatten drängten sich in den Ecken. Der Altar selbst war nur ein ausgehöhlter Ring in der Finsternis.

      Ein Lufthauch regte sich und ließ die Kerzen flackern, dann hörte sie Paula von Jäckles Stimme: „Frau Wagner, ich bin hier. Kommen Sie zu mir.“

      Julia hatte keine Ahnung davon, was sie erwartete, sie ging einfach weiter, ehe sie ihre Meinung ändern konnte. Die verschiedenen Gerüche, die mit jedem Schritt mehr auf sie einströmten, waren so intensiv und überwältigend, dass sie glaubte, sie würde sich direkt auf die Vergangenheit zubewegen.

      „Kommen Sie zu mir”, sagte Paula noch einmal.

      Julia blieb stehen, bewegte sich nicht. Wie lange? Sekunden? Minuten? Sie hätte es nicht sagen können. Dann setzte sie sich wieder in Bewegung und blieb schließlich bei Paula stehen. Sie sah, dass diese fünf Karten nebeneinander auf den Boden gelegt hatte, allerdings konnte sie nicht erkennen, was für Abbildungen sich darauf befanden, dafür war das Licht von ihrer Position aus nicht hell genug.

      „Haben Sie die für mich gelegt?“, wollte sie wissen.

      Paula nickte.

      „Und was bedeuten sie?“

      „Die erste Karte sagt, dass überall Augen sind. Was bedeutet, dass eine Menge Leute nach Ihnen suchen. Die zweite Karte deutet auf Neid hin. Jemand will haben, was Sie haben.“

      „Ich wüsste nicht, worum man mich beneiden könnte“, bemerkte Julia.

      „Die dritte Karte bedeutet Verwirrung“, redete Paula weiter. „Es wirbelt alles um Sie herum, und Sie wissen nicht, was Sie tun sollen.“

      „Das stimmt allerdings.“

      „Die vierte Karte zeigt mir, dass Sie eine Reise machen werden. Und es sieht nicht so aus, als würde es ein Urlaub werden. Da ist eine Menge Schwarz. Genau genommen ist alles schwarz.“

      „Schwarz bedeutet Unglück, oder nicht?“

      „Manchmal. Es kann Unglück bedeuten und Traurigkeit. Allerdings ist bei der fünften Karte wieder alles weiß. Was bedeuten kann, dass nach all dem Schwarz eine Zeit ohne Probleme kommt. So als würden Sie die Wolken durchbrechen und den blauen Himmel erreichen.“

      „Sie sagen kann“, hakte Julia nach. „Was kann es noch bedeuten?“

      Paula hob den Blick. „Manchmal bedeutet eine weiße Fläche nach so viel Schwarz auch, dass der Mensch im Himmel ist. Makellos weiß.“

      „Also tot.“

      „Ja, tot.“

      „Und dieser Mensch bin ich?“

      Paula nickte langsam. „Aber, wie gesagt, es kann auch …“

      „Das heißt, die Karten sagen, dass ich am Ende entweder tot oder noch am Leben bin“, fasste Julia zusammen.

      „Ja.“

      „Danke. So weit war ich vor zehn Minuten auch schon.“ In einer einzigen Bewegung drehte Julia sich in Richtung Tür. „Ich habe es mir gerade anders überlegt. Ich habe mich entschieden, dass ich Wichtigeres zu tun habe, als mir diesen Schwachsinn anzuhören. Ich bin nicht hierhergekommen, um mit Ihnen Halloween zu feiern, Frau von Jäckle. Und auch nicht, weil ich auf einem Besen reiten kann. Ich gehe wieder und suche nach Eva. Wenn ihr etwas passiert, drehe ich nämlich endgültig durch.“

      „Glauben Sie wirklich, Sie können allein mit Ihrer Schusswaffe verhindern, dass ihr etwas passiert?“, fragte Paula in ihren Rücken.

      Julia blieb stehen, wartete einen Moment, dann drehte sie sich noch einmal um. „Ja. Das glaube ich allerdings. Denn das habe ich gelernt – zielen und abdrücken. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass ich das wirklich gut kann.“ Sie machte wieder einen kleinen Schritt auf Paula zu. „Und jetzt sage ich Ihnen noch etwas: Ich gebe ja zu, dass mit mir nicht alles in Ordnung ist. Dass sich in meinem Kopf Dinge abspielen, die sich bei anderen mit Sicherheit nicht abspielen. Aber das hat ganz bestimmt nichts mit Gut und Böse zu tun. Und auch nicht mit dem, was letzten April hier in dieser verdammten Kapelle geschehen ist. Und erst recht hat es nichts mit irgendwelchen … Wesenheiten zu tun. Was Sie da in Ihren Karten lesen, das ist ein Witz.“ Damit klappte Julia den Mund zu und wandte sich erneut in Richtung Tür.

      „Glauben Sie, Sie sind jetzt schon in der Lage, das beurteilen