Höllenfrost - Ein Fall für Julia Wagner: Band 3. Tanja Noy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tanja Noy
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Julia Wagner
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726643084
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Name des Kollegen war Klaus Bartosch. Er öffnete den Mund, um etwas zu antworten, doch sie schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. „Glaubst du, als die arme Frau mit Benzin übergossen und angezündet wurde, dachte sie sich: ‚Na ja, was soll’s? Shit happens!‘?“

      Betreten sah Bartosch sich um. Die Blicke der umstehenden Kollegen waren auf ihn gerichtet.

      „Hier läuft irgendwo ein Mensch herum, dem es nicht das Geringste ausmacht, einen anderen Menschen mit Benzin zu übergießen und anzuzünden. Begreifst du, was das bedeutet? Nein, tust du nicht, sonst würdest du nicht solch einen unfassbaren Schwachsinn reden.“

      „Ich …“

      „Ach, halt die Klappe.“ Sie wandte sich ab und ließ ihn einfach stehen.

      „Was, zum Teufel, ist dein Problem?“, rief Bartosch hinter ihr her.

      „Du“, gab sie zurück, ohne sich noch einmal umzudrehen. „Typen wie du sind mein Problem. Du nimmst dieser Frau die Würde, genau wie ihr Mörder.“

      Kurz darauf war sie verschwunden.

      „Die hat’s dir aber gegeben“, sagte jemand.

      „Arrogante … Kuh!“, zischte Bartosch. „Die geht mir so was von auf die Nüsse!“

      „Und vielleicht liegt genau darin dein Problem“, bemerkte Zander. „Dass sie deine Nüsse mit Sicherheit nicht interessieren. Wie wäre es jetzt wieder mit Arbeiten?“

      Bartosch warf ihm einen langen, undefinierbaren Blick zu, wandte sich ab und ging davon.

      1. KAPITEL

      Honesta turpitudo est pro causa bona

      Donnerstag, 16. Dezember 2010

      20:20 Uhr

      Obwohl es draußen dunkel war, schaltete Julia das Licht im Hotelzimmer nicht ein. Langsam bewegte sie sich in Richtung Fenster, blieb dort einen Moment stehen, sah hinaus, schob eine Hand in die Hosentasche und ergriff ein zerdrücktes Zigarettenpäckchen. Es war leer. Sie knüllte es zusammen und warf es auf den Tisch neben sich.

      Dann wandte sie sich um, ging ins Badezimmer, und erst jetzt schaltete sie das Licht ein.

      Sie zog sich aus und stellte sich unter die Dusche.

      Als sie zehn Minuten später wieder aus der Duschkabine stieg, verschleierte Dunst den Badezimmerspiegel. Nur vage erkannte sie die Umrisse ihres nackten Körpers, ihres Gesichtes, der halblangen dunklen Haare, des langen Ponys, der ihr über das linke Auge fiel … es glich alles einem Schatten. Aber durch die Mitte der Scheibe zog sich ein klarer Streifen, so als hätte jemand mit der Hand darübergewischt. Die Tätowierungen, das Gitarrenriff von Judas Priest auf ihrem rechten Unterarm; auf der Innenseite des rechten Oberarms die geschwungenen, lateinischen Buchstaben: Lebe das Leben wahr; der Drache, der ihren gesamten Rücken einnahm, vom Genick bis zum Steißbein. Das alles gab es schon lange, die Narben auf der linken Seite ihres Oberkörpers hingegen nicht. Eine befand sich knapp unterhalb des Herzens, die andere etwas tiefer. Sie waren gut verheilt und trotzdem nicht zu übersehen, weil sie etwas erhoben waren. Es war Julia nicht möglich, die beiden Narben zu vergessen, weil sie fast immer schmerzten. Ein Phantomschmerz, natürlich. Narben schmerzten nicht, erst recht nicht nach acht Monaten. Trotzdem glaubte sie es zu fühlen, Tag für Tag.

      Reglos stand sie weiter vor dem Spiegel, betrachtete ihr Ebenbild und versuchte gleichzeitig, sich darin zu finden. Ihr altes Ich. Vielleicht flammte da in ihren braunen Augen etwas auf, aber wenn, dann war es sofort wieder verschwunden. Sie hatte das Gefühl, ein ganz anderer Mensch zu sein, eine fremde Frau. Und genau genommen war es ja auch so. Immer neue Namen, immer neue Hotels, immer eine andere Person. Und doch stand sie hier.

      Schließlich drehte Julia dem Spiegel den Rücken zu und trocknete sich ab.

      Noch einmal – ein letztes Mal – versuchte sie, nachzuspüren, ob sie irgendeine Form von Zweifel oder Unschlüssigkeit in sich spürte. Doch sosehr sie auch ihre Seele durchforstete, überall stieß sie auf den festen, unerschütterlichen Entschluss, und sie befand, dass es jetzt wirklich an der Zeit war. Sie hatte lange genug darüber nachgedacht.

      Es geht nicht anders, dachte sie.

      Sie zog sich frische Sachen an, verließ das Badezimmer, ging zu ihrem Rucksack und holte ein neues Päckchen Zigaretten heraus. Sie entfernte die Folie und zündete sich eine an. Dann setzte sie sich aufs Bett, rauchte langsam und in tiefen Zügen. Sie beobachtete den Rauch, wie er sich in Richtung Decke bewegte, um sich dort in durchsichtigen Dunst zu verwandeln.

      Als sie zu Ende geraucht hatte, griff sie nach ihrem Handy und wählte die Nummer.

      22:44 Uhr

      Vor dem Café wehte ein kalter, rauer Wind über jede Menge Gerümpel hinweg, das auf der Straße lag, über eine Mülltonne, die beinahe überlief, und über schwarze Säcke voller Abfall. Nur wenige Menschen gingen an Julia vorbei, die Köpfe gesenkt. Sie selbst hatte sich die Kapuze ihres Sweatshirts über den Kopf gezogen und den Kragen ihrer Jacke nach oben gestellt. Als sie die Tür öffnete, ließ sie eine heftige Windböe leicht wanken.

      Im Inneren des Cafés waren die Wände mit Kiefernpaneelen vertäfelt, sodass man den Eindruck hatte, sich in einer großen Holzkiste zu befinden. Die Einrichtung war heruntergekommen, mit wackligem Mobiliar und unglaublich staubigen Plastikblumen auf den Tischen. Mit nur vier Gästen war hier nichts los, was man nach einem kurzen Rundumblick auch sehr gut verstehen konnte.

      An einem der Tische saß eine mittelgroße Frau mit einem grauen Pferdeschwanz. Sie blinzelte kurz, als Julia eintrat, und hob eine Hand. „Hier.“

      „Danke, dass Sie sich mit mir treffen“, sagte Julia und setzte sich ihr gegenüber.

      „Ich hatte gehofft, dass Sie sich noch einmal bei mir melden würden“, gab Paula von Jäckle zurück. „Ich hatte große Angst um Sie – und habe es noch. Deshalb hatte ich mich im letzten Sommer mit ihrem alten Kollegen Zander in Verbindung gesetzt.“

      „Ich weiß. Er hat mir davon erzählt.“

      „Haben Sie ihm geglaubt?“

      „Ich wollte es nicht, wollte es lange nicht wahrhaben.“ Julia machte eine kleine Handbewegung. „Was soll ich sagen? Sie sind ein Medium und …“

      „Immerhin nennen Sie mich jetzt nicht mehr Wahrsagerin.“ Paula lächelte dünn.

      „Sie wissen, was ich davon halte.“

      „Allerdings. Das weiß ich.“

      „Andererseits hatten Sie bisher mit allem recht, was Sie sagten.“ Julia atmete tief durch. „Ich weiß inzwischen, dass mein Vater ermordet wurde und dass seine Mörder nun, über zwanzig Jahre später, hinter mir her sind. Aber egal, was ich auch tue, ich laufe gegen eine unsichtbare Mauer. Egal, wo ich grabe, ich stoße auf Beton. Also bitte, ich höre Ihnen zu. Erzählen Sie alles, was Sie mir sagen können.“

      Paula nickte. „Ich kann Ihnen sagen, dass Sie es mit einer Organisation zu tun haben.“ Sie brach ab und korrigierte sich schnell: „Nein, das ist nicht das richtige Wort dafür. Nennen wir sie … eine Wesenheit.“

      Julia blinzelte. „Eine was?“

      „Man könnte sie auch eine Geheimgesellschaft nennen. Eine Verbindung. Sie verkörpern nicht nur das Böse, sie sind es. Ich weiß nicht, woher sie kommen, aber ich weiß, dass es sie gibt. Und dass es mächtige Leute sind. Brutale Leute. Sie verfügen über gewaltige Macht, und sie töten ohne Skrupel.“

      „Reden wir hier von einer Art Mafia?“

      „Nein. Das, worüber wir hier reden, ist etwas ganz anderes. Diese Menschen haben Geld und Macht, ja, aber das ist für sie nur Mittel zum Zweck, um ein anderes, ein größeres Ziel verfolgen zu können.“

      „Welches?“

      Paula legte die Hände wie zum Gebet vor den Mund. „Ich hatte Ihnen im April, in Wittenrode,