„Das ist mir bewusst.“ An Cristianos Schläfe pochte eine Ader, als er über seine Schulter zum Haus blickte. „Mein Vater wäre nicht so nett zu dir gewesen wie ich es heute war. Wie ich es dein ganzes Leben über gewesen bin.“
Ich schluckte. Ich konnte nicht abstreiten, dass das die Wahrheit war. Aber es war nicht genug um das zu rechtfertigen, was er tat. „Du bist im Moment genau wie er, aber du kannst dich immer noch ändern.“
Er stampfte seine Zigarre im Aschenbecher aus. „Du hast keine Ahnung, wovon du redest“, sagte er mit einer plötzlichen Schärfe im Tonfall. „Ich bin absolut nicht wie er. Ich würde niemals Kapital aus einer Frau schlagen, egal wie alt sie ist.“
„Wenn dem so wäre, wäre ich nicht hier.“
Er schoss hoch von seinem Stuhl, warf ihn dabei beinahe um. „Ich habe dich weder gekauft, noch verkauft noch eingetauscht“, sagte er und versteifte sich. „Du bist freiwillig hier.“
Aus freien Stücken. Diego hatte dieselben Worte verwendet. War das ein Hinweis darauf, welche Rechtfertigungen in Cristianos Verstand brodelten? In seiner Vorstellung mochte ich freiwillig hier sein. Dass er mich zu nichts gezwungen hätte. Diego hatte darüber gesprochen, wie sehr Cristiano gegen die Menschenhandelsgeschäfte seiner Eltern gewesen war, dass er so weit gegangen war und meinen Vater angesprochen hatte, damit er ihm half, sie aufzuhalten. Obwohl er wusste, dass es nur einen Weg dafür gab.
Mein Vater hatte Cristianos und Diegos Eltern für die gleichen Sünden getötet, die er jetzt beging. Menschenhandel. Kapital aus jungen Mädchen schlagen. Ränke schmieden gegen unsere Familie.
Was also hatte sich für Cristiano verändert? Warum hatte er sich gegen seine Eltern gestellt, um dann selbst auf den Rücken anderer ein sogar noch größeres Imperium aufzubauen? Er hatte offensichtlich genug gesehen und getan, um sich derartig zu verändern. In einen Menschen, der schlimmer war, als sein Vater, wenn die Gerüchte stimmten. Und wenn er seine Taten damit rechtfertigte, indem er sich selbst erzählte, dass die Leute freiwillig zu ihm kamen.
Hinter uns öffnete sich die Tür.
„Señor?“, erklang eine dünne weibliche Stimme.
Wir sahen beide zu Jazmin herüber, die mit einer Karaffe, gefüllt mit einer goldenen Flüssigkeit, heraustrat.
Cristiano strich sich über das Hemd, rollte den Kopf in den Nacken und setzte sich wieder. Kühl und ungerührt. „Komm“, sagte er zu Jazmin.
Sie brachte ihm die Flasche und er füllte sein Glas auf, wobei er in Richtung ihrer anderen Hand nickte. „Was ist das?“
Sie gab ihm ein Tablettendöschen und stellte eine Flasche Mineralwasser auf den Tisch. „Für Miss Natalia“, sagte sie.
Er runzelte die Stirn und betrachtete die Schmerztabletten. „Was ist los?“, fragte er mich. „Kopfschmerzen?“
„Ja“, sagte ich und es war keine komplette Lüge mehr. Ich war mir nicht sicher, welche Art von Schmerzen ich am Ende des Abends haben würde. Der Gedanke verursachte mir Übelkeit und öffnete eine Tür in meinem Verstand, die ich versucht hatte, geschlossen zu halten. Wie sollte ich das überstehen? Ich hatte nur ein einziges Mal in meinem Leben Sex gehabt, und es war das komplette Gegenteil von dem gewesen, was mir bevorstand. Meine Brust wurde eng und ich bohrte die Fingernägel in die Handflächen. Ich schaffte es gerade so einen Nervenzusammenbruch zurückzuhalten. Das war wahrscheinlich, worauf Cristiano es anlegte. Zu wissen, was für eine Macht er, nicht nur über meinen Körper, sondern auch über meinen Verstand, hatte.
„Du hast kaum etwas gegessen“, sagte er mit einem Stirnrunzeln. „Tatsächlich siehst du etwas blass aus. Du musst mehr essen.“
„Ich kann etwas bringen“, sagte Jaz.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht hungrig.“
„Bring uns von allem etwas“, sagte Cristiano mit einem Nicken. Jaz rührte sich nicht, sondern kaute auf ihrer Unterlippe und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
„Señor?“
„Ja?“
„Sie hat Fragen gestellt“, sagte sie schnell und ihr Blick huschte zu mir. „Darüber woher ich komme.“
Cristiano tadelte mich mit seinem Blick. „Warum verhörst du deine Angestellten, Natalia?“
„Sie sind nicht meine Angestellten.“ Ich reckte das Kinn und Frustration brodelte unter meiner Haut. „Ich war einfach nur neugierig.“
„Dann frag mich. Was hast du zu ihr gesagt?“, fragte er Jaz.
„Nichts, gar nichts.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich kenne sie nicht. Ich weiß nicht, wer sie geschickt hat. Und ich vertraue ihr nicht.“
„Mir?“, fragte ich.
„Du vertraust mir, nicht wahr?“, fragte Cristiano sie. „Glaubst du, ich würde jemanden hier herbringen, der eine Gefahr für dich wäre?“
Nach einem Moment schüttelte Jaz langsam den Kopf. „Nein.“
„Natalia ist nur interessiert. Genau wie du, ist sie den Menschen um sie herum gegenüber auch misstrauisch.“ Er öffnete die Tabletten und nahm zwei heraus. „Kann sie die nehmen, oder muss ich mir Sorgen machen, dass du sie vergiftest?“
Mein Herz begann heftig zu klopfen, bis Jaz lachte. „Wenn ich sie vergiften wollen würde, würde ich es nicht so auffällig tun.“
Er zwinkerte ihr zu. „Dachte ich mir.“
Zwischen den beiden lag eine Vertrautheit, die ich nicht verstand. Sie verhielt sich ihm gegenüber nicht verängstigt, eher … flirtend.
„Jaz, bitte zieh die Vorhänge für uns zu“, sagte er.
„Selbstverständlich“, sagte sie mit einem Nicken und ging wieder hinein. In meinem Magen formte sich ein Knoten, als sie uns vom Rest des Hauses abschottete.
Cristiano öffnete die Wasserflasche und gab sie mir, zusammen mit den Tabletten. Ich schluckte sie schnell.
„Komm her“, sagte er.
„Ich bin doch hier.“ Ich saß keinen halben Meter entfernt.
„Näher.“ Er nahm meine Finger und fuhr mit den Lippen über meinen Handrücken. „Es hat mich Mühe gekostet, die ganze Zeit die Finger von dir zu lassen.“
Erinnerungen blitzten auf. Wie er im Nachtclub mein Gesicht umfasst hatte, wie in meinem Badezimmer seine rauen Handflächen über mein Bein glitten, wie er im Auto meinen Fußknöchel umfasste. Bisher fühlten sie sich schwielig an, waren aber niemals grausam gewesen.
Bei dem Gedanken, dass er mich heute Abend hatte berühren wollen, zupfte ein nicht willkommenes Gefühl von Verlangen an etwas in mir. Was hatte ihn vorhin davon abgehalten? Warum dachte ich überhaupt darüber nach, wenn ich doch dankbar sein und einfach darüber hinweggehen sollte? Ich wollte nicht auf seine Berührungen reagieren. Ich konnte nicht.
„Noch näher und ich sitze auf deinem Schoß“, sagte ich.
„Du liest meine Gedanken.“
„Du hast mich den ganzen Abend über ignoriert.“
„Jetzt ignoriere ich dich nicht.“ Er betrachtete mich erwartungsvoll. Jetzt, wo wir allein waren, hatte ich wieder seine volle Aufmerksamkeit. Ich verstand, warum sich so viele Menschen darum rissen. Erst der kleine Junge, der seinen Zahn verloren hatte. Dann, den ganzen Abend lang, die vielen Leute, die ihn angesprochen und um seine Zeit gewetteifert hatten. Keinen von ihnen hatte er so angesehen, wie mich gerade.
Er zog an meiner Hand, bis ich stand, dann zog er mich auf seinen Schoß.
„So mag ich dich haben“, raunte er und umarmte mich, zog mich an sich. „Stelle niemals deine Anziehung auf mich infrage.“
„Was bin ich denn?“ Mein Herz schlug schneller bei