„Du hast mich in der Kirche verspottet und tust es jetzt wieder.“
„Das stimmt nicht.“ Seine Hand glitt unter mein Haar und er rieb mit dem Daumen über meine Kopfhaut. „Du gehörst mir. Ich würde dich niemals fortgeben, Natalia. Ich bin nicht mein Bruder.“
Mein Herz machte einen Satz. Der Schmerz war noch frisch. Diego war beides. Der Mensch, an den ich mich wenden würde, wenn ich Trost brauchte und gleichzeitig der Grund, warum ich hier war. Vielleicht hatte Cristiano recht. Diego hatte mich fortgegeben, und damit auch mein Vertrauen. Doch zerriss sein Verrat an mir auch gleichzeitig meine Liebe zu ihm? Ich glaubte nicht, dass das so einfach war. Ich wollte ihn erwürgen und dann in seine Arme sinken. In mir kämpfte die Wut mit der Trauer.
Aber ich durfte jetzt nicht daran denken. Wenn Cristianos Aufmerksamkeit auf mir lag, musste ich meine komplett für ihn aufwenden. Ich durfte mir nicht in die Karten schauen lassen, bis ich wusste, was Cristiano mit mir vorhatte. Er forderte meine komplette Energie und ließ mir wenig Raum, um mir über Diego Gedanken zu machen.
„Wenigstens hat mich Diego niemals gegen meinen Willen festgehalten.“
„Du bist nicht meine Gefangene.“ Er massierte mir den Nacken. „Du kannst gehen, wann immer du willst, nur ist der Deal dann vom Tisch.“
„Du hast uns dein Wort gegeben, dass wir alle in Sicherheit sind, wenn ich dich heirate.“
„Nicht nur, dass wir die Ehe noch nicht vollzogen haben, unser Arrangement wurde von Diego auch in der Absicht mich zu täuschen geschlossen. Ich hab es dennoch getan, aber mein Schutz bezieht sich nur so lange auf deine Familie, wie sie auch meine ist. Solange du die Meine bist. Verlass mich und meine Verpflichtungen gehen mit dir. Es kostet mich nur einen Anruf bei den Maldonados.“
Er wollte mich. Sogar ein Toter wäre in der Lage seine Begierde zu spüren, die sich an mich drückte. Und dann waren da noch seine Worte. Die Meine. Die Seine. Diego hatte einen riskanten Deal mit einem der mächtigsten Kartelle des Landes gemacht und zugesagt, ihre Drogen über die Grenze in die USA zu schmuggeln. Doch das war ihm nicht gelungen, und es hatte das Maldonado Kartell ein Vermögen gekostet. Das Einzige was sie jetzt davon abhielt an meinem Vater, seiner Familie und seinem Kartell Vergeltung zu üben, war mein frischgebackener Ehemann. Cristiano. Ein Mann, der die Möglichkeiten, die Verbindungen und jetzt auch einen Grund hatte, die Maldonados in Schach zu halten.
Ich versuchte dem Gefühl von Cristianos starken Fingern, die meine Nackenmuskeln massierten, nicht nachzugeben.
„Warum?“, fragte ich. „Was willst du von mir?“
„Ich will Details.“ Er legte seinen Mund an mein Haar. „Sag mir, Natalia. Wie war es mit ihm? Wo habt ihr es getan?“
Ich versteifte mich. Er meinte doch nicht etwa meine Nacht mit Diego? „Das ist mir heilig“, zischte ich.
„Nichts, was du vor mir getan hast, ist mehr heilig. Als dein Ehemann gehören deine Geheimnisse mir.“
„Und lass mich raten. Deine gehören mir nicht. Findest du das fair?“
„Das habe ich nie gesagt. Frag mich, was du willst. Ich werde nach bestem Wissen und Gewissen antworten. Aber nicht, bevor ich deine Antworten bekommen habe. Wo hat mein Bruder dich entehrt? In deinem Zimmer?“
„Entehrt? Aus deinem Mund ist das ja wohl der Gipfel der Scheinheiligkeit.“
„Entehrung ist bereits die netteste Bezeichnung für das, was er getan hat.“ Cristiano ballte die Faust auf meinem Oberschenkel. „Er hat uns beide belogen. Er hinterging meine Bedingungen und hat dir auf die aller schändlichste Weise etwas genommen.“
Ich holte tief Luft, gab mir Mühe den Schauer zu unterdrücken während ich versuchte zu verstehen, was er sagte.
„Wovon sprichst du? Er hat dich angelogen, ja, aber …“
„Nichts aber. Du kennst die Wahrheit. Ich verwette mein Leben darauf, dass du noch Jungfrau gewesen bist, als Diego und ich das Arrangement beschlossen haben.“
„Das würde er nicht …“ Meine Gedanken rasten. Mein ganzes Leben über hatte ich Diego vertraut. Sonst hätte ich mich ihm gegenüber niemals so geöffnet. Vor gerade mal zwei Nächten, kletterte er auf meinen Balkon und in mein Bett. Und die Hochzeit heute früh war nicht spontan gewesen. „Wann habt ihr diese Vereinbarung getroffen?“
Und ich betete. Jederzeit nur nicht vor Freitagabend.
„Nachdem das Lagerhaus abgebrannt war“, sagte Cristiano, „und Diego keine anderen Möglichkeiten mehr hatte.“
Ich drehte meinen Kopf weg und mein Hals wurde eng. Freitagmorgen. Ich wollte es nicht glauben. Cristiano hatte mehr Gründe meinen Verstand manipulieren zu wollen, als dass Diego mich so hätte verletzen wollen. Mich gegen seine Freiheit einzutauschen war schmerzhaft und feige. Aber in mein Bett zu kommen, nachdem er diesen Deal geschlossen hatte? Das war skrupellos. Unverzeihlich.
Als ich Cristiano wieder ansah, betrachtete er mich. Er hatte mich früher schon so angesehen, wie einen Schüler, dem man eine komplizierte Matheaufgabe gestellt hatte. In diesem Moment sah er seinem Bruder ähnlich. Diego hatte den gleichen frustrierten Gesichtsausdruck gehabt, während er versucht hatte das Maldonado Problem zu lösen, als alles anfing, den Bach herunterzugehen.
Wir hatten herausgefunden, dass der Grund dafür Cristiano gewesen war. Er hatte Diego sabotiert, indem er hinterhältig die Ware der Maldonados gestohlen, angegriffen und verbrannt hatte, bevor sie auch nur in die Nähe der Grenze gelangte.
Sollte Diego meine Jungfräulichkeit durch Manipulation von mir bekommen haben, dann hatte er mein Vertrauen in ihn irreparabel gebrochen. Doch das bedeutete nicht, dass ich auch nur ein Wort aus Cristianos Mund glauben konnte. Er war der Mann, der das Ganze fein säuberlich geplant und ausgeführt hatte.
„Ich habe deine Frage beantwortet“, sagte Cristiano. „Jetzt antworte mir. Wo hat er dich genommen? In deinem Schlafzimmer?“
Das Licht und Cristianos Worte verschwammen. Ich hatte kaum gehört, was er gefragt hatte. „Ja“, sagte ich abwesend.
„Hm. Dieses glückliche Arschloch. Ich hätte nicht übel Lust gehabt, dich dort zu nehmen. Dort, wo du dich am sichersten gefühlt hast, wo du geschlafen und geträumt hast …“ Er schob seine Hand außen über meine von Spitze bedeckten Oberschenkel. „Wo du dich selbst berührt hast.“
Alles fokussierte sich wieder. „Woher weißt du das?“
„Geraten. Aber ich habe recht, nicht wahr?“ Ich spürte sein Lächeln an meiner Wange. „Hat er dich wenigstens gut vorbereitet?“
„Hör auf“, wisperte ich.
„Das werde ich, sowie du mir erzählt hast, was ich wissen möchte. Er hat dich verraten. Schütze ihn nicht.“
Ihn schützen? Das war mein natürlicher Instinkt. Aber schuldete ich das Diego noch?
„Ich schütze mich selbst. Was kümmert es dich, wie es mit ihm gewesen ist?“
„Es macht mir Spaß zu wissen wie er dir dein erstes Mal verpfuscht hat und was ich tun muss, um das zu wettzumachen.“
„Er hat es nicht verpfuscht. Ganz und gar nicht.“ Cristianos Arroganz nährte meine Verärgerung. Beide Männer hatten mich wie einen Spielball hin und her geworfen. Trotz meiner Wut auf Diego, zeigte sich, dass er der leichteste Weg war Cristianos Schale zu knacken. Und das wollte ich. Ich musste ihn verletzen. „Er hat mich vorbereitet, mit seinem Mund. Und es fühlte sich wundervoll an.“
„Wundervoll?“, wiederholte Cristiano und klang amüsiert. „Ein Ausflug irgendwohin ist wundervoll, bis du das erste Mal auf dem Mond gewesen bist. Was passierte dann?“
„Dann hatten wir Sex. Wundervollen Sex.“
„Hast du geblutet?“
„Nein. Aber ich hatte einen Orgasmus“, betonte ich extra. „Was