Violent Ends - Die Kartell-Königin. Jessica Hawkins. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jessica Hawkins
Издательство: Bookwire
Серия: White Monarch Trilogie
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783864439438
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nach unten hielten wir an und konnten den ganzen Saal überblicken. Alte Holzbalken formten ein X an der hohen Decke und Wandleuchter warfen Schatten an die weißen Wände. In der Mitte des Raums standen lange, stabile Tische, an denen Leute saßen und von einem Buffet wie in einem Restaurant, aßen.

      Auf der einen Seite eines großen Tisches saß eine Gruppe von Frauen zwischen Kindern vor Tellern mit Torte darauf. Ihre langen Röcke und Kleider ähnelten denen der Frauen in meinem Ort, in der Kirche heute früh. Sie stibitzten Kuchen von den Tellern der Kinder und lachten miteinander über den Tisch.

      Cristiano drängte mich an meinem Rücken voran. Und auch wenn meine Hände jetzt nicht wirklich zusammengebunden waren, fühlte es sich an, als schritt ich über die Schiffsplanke.

      „Das ist jetzt dein Zuhause“, sagte er und nahm seine Hand von mir. „Diese Menschen sind deine Leute.“

      Wie sind sie nur in diese Situation geraten?

      „Sie feiern einfach nur Ostern.“

      Ich sah zu ihm und mir war nicht klar, ob ich laut gesprochen hatte. „Ostern? Hier?“

      „Es ist ja nicht so, als hätten wir das Land verlassen. Wir feiern immer noch die Feiertage hier.“

      Aber alles, was über das grundsätzliche Überleben hinausging, wäre Luxus für Menschen, die gegen ihren Willen festgehalten und zum Arbeiten gezwungen waren. Und sie waren gefangen hier, oder? Die Alternative wäre, dass sie freiwillig in den Badlands lebten. Als eines von Cristianos Opfern konnte ich einfach nicht verstehen, wie das sein konnte.

      „Glaubst du Menschen in Not essen Kuchen?“, fragte er, als könne er meine Gedanken lesen.

      Vielleicht, wenn es das Beste war, was sie aus ihrer Situation machen konnten.

      Das Herz wurde mir schwer. Ich sollte bei meinem Vater sein, mich gerade zum Osterfest hinsetzen oder in einem Flugzeug zurück zu meinen Freunden und meinem Leben in Kalifornien sitzen. Stattdessen war ich umringt von den Verlorenen und Vergessenen.

      Mein Blick blieb an einem älteren Mann hängen, der hochblickte und mir in die Augen sah. Mit einem Stirnrunzeln stellte er seinen Bierkrug ab. Die Leute wurden nach und nach stiller, je mehr sie sich unserer Anwesenheit bewusst wurden. Die Musik stoppte. Große Augen starrten uns an. Die Menge an Kindern und Frauen machte mich traurig. Mütter zogen Kinder an ihre Seiten. Männer stellten sich aufrechter hin. Sie fürchteten sich vor Cristiano aber ihre Blicke lagen auf mir. Hatten sie auch vor mir Angst? Oder um mich?

      „Ich kann kein Teil hiervon sein“, wisperte ich.

      „Aber das bist du.“

      „Warum?“ Am liebsten wäre ich hinter Cristiano getreten, um der Intensität ihrer Blicke zu entfliehen. Und das war lächerlich. Er war derjenige vor dem ich mich verstecken wollte. „Warum führst du mich so vor?“ Ich fragte es leise. „Du brauchst mich doch gar nicht.“

      „Du wirst lernen, was ich brauche. Bald schon, hoffe ich. Doch noch weißt du nicht genug, um mir zu sagen, was ich brauche.“ Er hielt eine gewisse Distanz, sprach jedoch nur zu mir. „Heute Abend wirst du deine Leute kennenlernen. Und sie werden sehen, dass sie keine Angst haben müssen.“

      „Angst?“, fragte ich. „Vor mir?“

      Ein rundlicher Mann hob ein kaltes Bier und rief: „Ist an den Gerüchten was dran, Patrón?“

      Auch wenn er aussah, als käme er geradewegs vom Feld, musste der Mann zu Cristianos innerem Kreis gehören, bei so einer unförmlichen Anrede.

      „Ja“, sagte Cristiano bewegte sich etwas von mir weg. „Ich habe eine Allianz geschlossen, von der beide Parteien profitieren werden.“

      Ein aufgeregtes Murmeln ging durch die Menge. Der Mann knallte seinen Bierkrug so laut auf den Tisch, dass ich einen Schritt rückwärts machte und gegen Cristiano prallte. Er griff nach meinen Schultern und ließ sie so schnell wieder los, als hätte er sich an dem Spitzenstoff verbrannt.

      Andere Männer knallten ihre Bierkrüge auf und Schaum lief über die Ränder, tropfte auf die Tische, während sie feierliche Rufe von sich gaben.

      „Es sollte ein erfolgreiches Jahr werden …“, fing Cristiano an.

      „Wer schert sich schon ums Geschäft“, sagte ein anderer. „Wer ist das Mädchen?“

      Cristiano lachte leise, als wäre das sein Insider Witz. „Um den Deal abzuschließen, habe ich mir eine Frau genommen.“

      Über die Schulter hinweg sag ich ihn an, aber behielt seinen Blick auf die Leute gerichtet, als wäre ich gar nicht da.

      Auch wenn ein paar der Männer und Frauen lächelten, und die Kinder beeindruckt aussahen, verließ der Enthusiasmus ein wenig den Raum.

      „Meine Braut wird der Einfachheit halber hier bei uns bleiben“, sagte er, und fügte murmelnd hinzu: „Wenn auch widerwillig.“

      Cristiano ging die Treppe weiter herunter und ließ mich allein stehen. Bis zu diesem Moment war er nicht so abweisend gewesen. Im Gegenteil. Sogar als ich gezwungen gewesen war zum Altar zu ihm zu gehen, hatte er mich mit neugierigem und hungrigem Blick angesehen. Im Auto hatte er Interesse und ein Mindestmaß an Wärme gezeigt, als er sich nach dem Befinden meiner Füße erkundigte.

      Und er hatte behauptet eifersüchtig zu sein. Also war ich ihm nicht total egal. Oder? Vorhin hatte er noch behauptet mich an seiner Seite haben zu wollen. Jetzt schien es ihm gleich zu sein, ob ich mit ihm zusammen zu den Leuten ging, oder nicht.

      Mir war die Wärme seiner Aufmerksamkeit nicht bewusst gewesen, bis er sie mir entzog. Insbesondere in einem Raum voller fremder Leute.

      Vielleicht war ich jetzt, wo ich in der Falle saß, nicht mehr, als ein Nebenprodukt einer Fusion. Und genau das, war es doch auch, was ich wollte, nicht wahr? Ihm egal zu sein? Von ihm in Ruhe gelassen zu werden?

      Plötzlich standen die Wachleute hinter mir und ich konnte nur durch sie hindurch zurück, oder die Treppen heruntergehen. Sie sahen sogar noch unfreundlicher aus, als er.

      Ich folgte Cristiano.

      Unten angekommen lief ein kleiner Junge auf Cristiano zu, ohne zu zögern. Ich machte mich auf etwas gefasst. Auf was, wusste ich nicht. Vielleicht darauf, dass Cristiano sauer werden würde, dass man so auf ihn zulief.

      „Schau mal“, sagte der Kleine öffnete den Mund und zeigte auf die fehlenden Schneidezähne.

      Cristiano hielt an. „Was sehe ich da, Felix?“

      Der Junge grinste noch breiter. „Ich hab noch einen verloren.“

      „Das ist aber schade“, antwortete Cristiano. „Dann kannst du ja gar keinen Kuchen essen.“

      „Doch, kann ich“, verkündete der Kleine. „Ich hab schon einen gegessen.“

      Eine Frau, ich vermutete Felix‘ Mutter, nahm seine Hand und zog ihn beiseite. „Entschuldigung“, sagte sie zu Cristiano und sah mich an. „Er ist einfach nur so aufgeregt, ob el Ratoncito Pérez, die kleine Zahnratte, ihm ein Geschenk unter das Kopfkissen legen wird.“

      „Wer wäre das nicht? Sie wird kommen, Teresa“, sagte Cristiano und warf einem Mitglied seines Sicherheitsteams einen Blick zu.

      Der Mann nickte und humpelte davon, um etwas in sein Funkgerät zu sprechen.

      „Vielen Dank“, sagte Teresa und dankte ihm noch einmal bevor sie mich wieder ansah. „Sie ist wunderschön.“

      „Brauchst du noch etwas für das Projekt, das wir besprochen haben?“, fragte Cristiano.

      „Nein.“ Teresa schüttelte den Kopf. „Aber es war gut, dass ich sie selbst gesehen habe.“

      Bei jeder anderen Gelegenheit hätte ich verlangt, dass man nicht über mich spricht, als wäre ich nicht anwesend. Aber ich konnte mir nicht sicher sein, wer Freund oder Feind war. Oder wer für Cristiano arbeitete und wer sich in der gleichen Position, wie ich befand.