Jeder im Raum verstummte. Der Chefkoch lehnte sich gegen die Arbeitsfläche und trank Eintopf aus einer Schale, wie ein Kellner während der Essenspause. Die vernarbte, ältere Frau blickte von Jaz zu mir und dann schnell woanders hin.
Ich drehte mich zu Alejandro um. „Ich wollte … um ein Aspirin bitten.“
Jaz drehte das Wasser ab und zog sich die Gummihandschuhe aus. Sie pfefferte sie mit einem Klatschen auf die Arbeitsplatte. „Ich werde Ihnen eins bringen, Doña Natalia“, sagte sie mit offensichtlichem Sarkasmus in der Stimme und einem finsteren Blick, bevor sie ging.
„Na komm“, sagte Alejandro. „Jaz wird uns finden.“
Ich hatte sie offensichtlich verärgert und hoffte, sie nicht in Schwierigkeiten gebracht zu haben.
„Wie alt ist sie?“, fragte ich.
„Weiß nicht genau. Anfang zwanzig?“
„Aber sie hat hier schon jahrelang gearbeitet? Als was?“
Er sah mich düster an. „Wie meinst du das? Sie ist eine Hausangestellte. Sie kocht, macht sauber … solche Sachen eben.“
„Aber wird noch mehr von ihr verlangt?“
„Na ja, es ist ein großes Haus“, seine Augenbrauen zogen sich zusammen. „Sie hilft dabei die Zimmer in Ordnung zu halten, regelt die Arbeiten der Gärtner …“
„Schon gut“, sagte ich seufzend. Ich verstand einfach nicht, wie so ein junges Mädchen hier herkam und ob sie irgendwelche Schwierigkeiten hatte. Es sah nicht so aus. Also was war die Wahrheit über die Badlands?
Alejandro brachte uns weg von der Feier in die Richtung der Wohnräume, die ich vorhin gezeigt bekommen hatte.
„Wohin gehen wir?“, fragte ich.
Er zeigte mit der Hand nach vorn. Ein paar der Balkontüren des Hauptraums waren geöffnet und der Geruch von Regen und nasser Erde kam von der Terrasse, die ich vorhin gesehen hatte. Cristiano saß uns mit dem Rücken zugewandt an einem runden Tisch mit einer Gruppe von Männern. Er hatte einen Fuß über sein Knie gelegt und eine Zigarre in der Hand. Alejandro lief weiter nach draußen, und setzte sich auf den letzten freien Stuhl am Tisch, während er mich an der offenen Tür zurückließ.
Cristiano trommelte mit den Fingern auf der Armlehne seines Stuhls und sah fast gelangweilt aus. Er schien beinahe entspannt, als er Alejandro zur Kenntnis nahm, mich aber nicht hinter ihm bemerkte.
„Schon gut“, sagte er nach ein paar Momenten der Stille. „Sprich weiter.“
„Also wie ich schon sagte, Cortez verlangt mehr von uns, als der Käufer bezahlt hat“, sagte der Mann mit dem Glasauge, nachdem er einen Schluck von seinem Drink genommen hatte. Max. Er hatte mich heute aus dem Kirchgarten geholt.
„Die Lieferung ist unschätzbar, aber das muss er nicht wissen“, sagte Cristiano. „Bezahle ihm einen fairen Preis, aber nicht mehr.“
Max nickte in einer Wolke aus weißem Rauch. „Wenn er das nicht mag, wird er die Alternative noch viel weniger mögen.“
Ich trat leise auf die Terrasse hinaus, um die Aufmerksamkeit nicht auf mich zu lenken. Obwohl Alejandro und Max wussten, dass ich da war, fühlte es sich immer noch an, als würde ich etwas Falsches tun. Aber auch nur ein paar Worte von Cristianos Unterhaltung aufzufangen konnte hilfreich sein herauszufinden, was wirklich innerhalb dieser Badlands Mauern vor sich ging.
Cristiano stellte beide Füße auf den Boden, legte die Ellbogen auf Knie und zeigte mit der Zigarre auf Max. „Aber stelle ganz sicher, dass er versteht, dass unsere Bezahlung eine Gefälligkeit ist, die ich nicht zweimal gewähren werde.“
Ich hielt den Atem an, war sicher, dass Cristiano sich umdrehen würde und mir befahl, sofort zu verschwinden.
„Das nächste Mal, wenn wir ihn dabei erwischen, dass er für BR transportiert“, sagte Cristiano, „werde ich die Ware an mich nehmen. Und niemand kriegt irgendetwas bezahlt. Und ich kann nicht dafür garantieren, dass er das überleben wird.“
„Ich stimme zu“, sagte Max.
Cristiano lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Gentlemen, es gibt eine Sache, die ihr über meine frischgebackene Ehefrau wissen solltet. Ihr müsst jetzt noch vorsichtiger sein. Sie hat von klein auf gelernt, dass Belauschen ihre einzige Möglichkeit ist an Informationen zu gelangen.“
Einige der Männer lachten leise, während ich rot wurde. Er hatte noch nicht einmal in meine Richtung gesehen. Wie hatte er wissen können, dass ich da war?
„Du kümmerst dich also darum, Max?“, fragte Cristiano.
„Klar, Jefe.“
Ich wartete darauf weggeschickt zu werden, faltete die Hände und stieß dabei gegen den Diamanten an meinem Finger. Es würde eine Weile dauern, bis ich mich daran gewöhnt hätte. Es fühlte sich frevelhaft an ihn zu tragen, wie eine Verhöhnung der Ehe, die ich hätte haben können.
„Sonst noch etwas?“, fragte Cristiano. „So gern ich euch alle habe, es gibt nur eine Person, mit der ich meine Hochzeitsnacht verbringen möchte.“
„Da ist noch die Sache mit Sandra“, sagte Alejandro.
„Richtig. Denkst du, sie ist bereit?“ Cristiano paffte seine Zigarre, schickte mich aber immer noch nicht weg. Er wusste es besser, als anzunehmen, ich würde von allein gehen. Was bedeutete, dass er mir erlaubte alles mit anzuhören.
Süßer, holziger Zigarrenrauch wehte zu mir herüber. Nur Alejandro rauchte nicht mit. „Sie wird nicht für immer so jung aussehen“, sagte er. „Sie geht locker als Vierzehnjährige durch.“
„Sie geht seit über einem Jahr zu Solomon“, sagte Cristiano. „Sie ist bereit. Stell sie an die Ecke.“
Ich keuchte, nur wenig mehr schockiert über Cristianos Vorschlag, als ich es über die Geschäfte war, die sie in meinem Beisein besprachen.
„Wenn Sandra sagt, sie habe Angst, dann schickt sie zu mir“, fügte Cristiano hinzu.
„Du kannst doch keine Vierzehnjährige auf die Straße schicken“, platzte es aus mir heraus.
Jeder, außer Cristiano, sah mich an. „Sie ist nicht vierzehn, sie ist achtzehn.“
„Und du bietest sie als Minderjährige an? Das ist krank.“
Endlich sah Cristiano zu mir. „Vielleicht war es ein Fehler dich hierbleiben zu lassen. Du stellst die falschen Fragen und du hast noch nicht den Mumm für das hier.“
Ich presste die Lippen aufeinander. Er ließ mir die Wahl. Etwas, das mehr war, als mir jemals von einer Autoritätsperson zuvor zugestanden wurde. Ich konnte bleiben und weiter Informationen aufsaugen, die mir vielleicht dabei halfen zu verstehen, was hier unter diesem Dach vor sich ging, oder ich konnte die Flucht ergreifen und mich in einem Zimmer verstecken gehen.
Als ob sie auf ein stummes Signal reagierten, löschten die Männer ihre Zigarren und standen auf. Auf ihrem Weg nach drinnen, nickten sie Cristiano zu. Der mit dem Gesichtstattoo und der Gehbehinderung, Eduardo nannte Cristiano ihn glaubte ich, war der Letzte der ging. Zögernd schloss er die Tür hinter sich.
Als wir allein waren, drehte sich Cristiano zu mir.
„Setz dich.“
Ich gehorchte, hoffte ich bekam die Chance zu sagen, was ich zu sagen hatte. Denn auch wenn ich in einer ähnlichen Situation war wie sie, oder gerade deswegen, konnte ich nicht stumm bleiben, wenn eine junge Frau ausgebeutet wurde.
„Ich habe den Mumm dafür“, sagte ich so ruhig, wie es mir möglich war, damit er nicht abwehrend wurde. „Aber das könnte ich sein, dort an dieser Ecke. Du hast mich als Kind einmal beschützt. Hast du das noch in dir?“
Cristiano betrachtete mich ungerührt. „Was meinst du mit, das könntest du sein?“