Die Wolfssymphonie. Marius Daniel Popescu. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marius Daniel Popescu
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783906050171
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ab und wirft sie in den Kücheneimer. Das schwarze Gewand des Diakons ist besprenkelt mit gelben und weißen Wachstropfen. Die Leute bekreuzigen sich, mehrere Male. Der Priester tritt ein und stimmt einen Gesang für deinen Vater an, während der Diakon im Zimmer den Duft und den Rauch von verbranntem Harz verbreitet. Alle bekreuzigen sich. Auch du hast dich bekreuzigt, und du denkst an deinen Vater, der nie zur Kirche gegangen war, außer zu seiner Hochzeit und zu Hochzeiten und Begräbnissen anderer. Dein Vater behandelte die Priester so, wie er die Mitglieder der Einheitspartei behandelte. Für deinen Vater waren die Priester und die Mitglieder der Einheitspartei aus demselben Holz geschnitzt. Die Frau deines Vaters war auf mich zugekommen, um mir zu sagen, sie wünsche sich, dass ich mich alleine um das Begräbnis ihres Mannes kümmere. Sie wollte, dass ich meinen toten Sohn in mein Haus nehme und er von uns aus zu Grabe getragen werde. Die Frau deines Vaters wollte nicht für das Begräbnis ihres Mannes aufkommen. Ich habe ihr gesagt, ihr bliebe nichts anderes übrig. Dein Vater und sie hätten als Mann und Frau zusammengelebt, und dein Vater werde von ihr aus ins Jenseits getragen, vom Haus seiner Frau aus. Die Tochter seiner Frau war nicht da. Die Tochter seiner Frau war nicht am Begräbnis deines Vaters. Die Tochter seiner Frau war nicht am Begräbnis ihres Stiefvaters. Du denkst an dieses Mädchen, mit der du ein paar Mal Schach gespielt hast. Allerdings lag ihr mehr an moderner Musik als an Schach. Es war dein Vater, der dir das Schachspielen beigebracht hat. Zuerst hat er dir die aus Holz geschnitzten Figuren und das Brett mit den schwarzen und weißen Feldern gezeigt. Er hat dir zu jeder Schachfigur eine Geschichte erzählt. Es war in einem Park in der kleinen Stadt auf dem Land, wo du mit deiner Großmutter mütterlicherseits lebtest. Er ist dich an einem Wochenende besuchen gekommen und hat dir dein erstes Schachspiel gekauft. Ihr seid in diesen Park am anderen Ufer des Flusses gegangen und habt euch ins Gras gesetzt, das zwischen den Pappeln wuchs. Von der Stelle aus, wo ihr wart, habt ihr die Bäume, die im Hof deines Onkels wuchsen, sehen können. Dein Vater hat die Figuren auf dem Brett hingestellt, und ihr habt angefangen zu spielen. Ihr habt mehrere Partien gespielt. Er hat sie alle gewonnen, und er hat dir erklärt, dass es normal sei für einen Anfänger, dass er nicht gewinne, und er hat dir erklärt, dass der Zeitpunkt kommen werde, in dem du ihn schlagen würdest. Du erinnerst dich an diesen Tag, den ihr zusammen im Park verbrachtet. Während ihr am Spielen wart, hast du dich erleichtern müssen, und er hat dir gesagt, du könnest hinter eine Pappel gehen, er hat dir die Richtung gewiesen, wegen des Windes, der ging, und der euch den Geruch deiner Exkremente hätte herüberwehen können. Dein Vater war stark im Schachspiel. Er spielte um Geld Schach mit den Leuten. Sie schlossen Wetten ab. Dein Vater gewann mit dem Schach Geld und gab mit diesem Geld eine Runde aus. Die Frau deines Vaters muss irgendwo ein Schachspiel in ihrem Haus haben. Du schaust deinen Vater im Sarg an und denkst an seine Frau und an das Schachspiel. Dein Vater hat mit seiner Frau nie Schach gespielt. Sie ist schwarz gekleidet und trägt keinen Schmuck mehr. Die Frau deines Vaters hat nur den Ehering am Ringfinger anbehalten. Sie kümmert sich um das Begräbnis deines Vaters. Sie hat nicht gedacht, dass ihre Ehe auf diese Weise enden könnte. Sie muss wieder von vorn anfangen. Sie setzt ihren Mann in dem Grab bei, das für ihre Großmutter reserviert gewesen war. Ich wollte deinen Vater nicht in dem Friedhof beisetzen, in dem seine Mutter begraben liegt. Es gibt dort nur noch einen Platz. Der gehört mir. Dein Vater wird seine letzte Ruhestätte in einem Grab des Familienzweigs seiner Frau haben. Dein Vater hat ebenfalls nicht gedacht, so früh zu sterben. Ich wundere mich darüber, dass dein Vater die Gefahr nicht gespürt hat. Ich bin erstaunt darüber, dass er das Spiel der Marionette nicht gewittert hat. Normalerweise hat dein Vater die Gefahren gespürt. Er fühlte sie, und er mied sie. Das hatte er von mir, und du hast es von uns. Genaugenommen bist du anders. Denn du spürst auch die Gefahren, die die anderen bedrohen. Wenn du wie ich und dein Vater die Gefahren, die dich umgeben, zu meiden versuchst, vergisst du dabei nicht die Gefahren, die die anderen umgeben. Du dringst in den Kern der Gefahr ein, die jemanden umgibt, und tust alles, um die Fäden, die die Marionette tanzen lassen, zu durchtrennen. Manchmal gelingt es dir. Manchmal kommst du zu spät. Du gibst die Hoffnung nie auf.

      * * *

      Aus der leeren Konservenbüchse kannst du einen Blumentopf machen. Du brauchst nur ein Loch hineinzumachen, damit der Überschuss an Wasser in den Teller, den du darunter legen wirst, ausfließen kann. Du wirst in den Garten gehen, mit einer kleinen Schaufel in der Hand. Du wirst niederknien und die Erde des Zwiebelbeets ein wenig aufgraben. Du wirst mit der Hand die Erde nehmen, einige Handvoll Erde, die du in einen Plastiksack hineintun wirst. Ich sehe dich: Du leerst die Erde in den Sack, deine Hände kehren zum frisch aufgeschütteten Erdhaufen zurück, senken sich wie eine offene Muschel über den Erdhaufen und graben sich darin ein, dann schließen sie sich wieder, gefüllt mit Blumenerde. Das Kind kann bei dir sein. Sie wird Grashalme im Garten ausreißen. Sie liebt es, Erde in die Hand zu nehmen. Sie sucht Kieselsteine und reibt sie zwischen ihren Fingern. Sie sitzt am Boden, und an ihren Kleidern setzen sich Erdkrümel fest. Von Zeit zu Zeit zeigt sie dir ihre Finger, ihre Hände voller Dreck, und du redest mit ihr, du sagst, «ja!», du sagst, «ja, mein Schatz!» Du wirst deinen mit Erde gefüllten Plastiksack nehmen und zur Terrasse des Hauses zurückkommen, und du wirst die Pflanze in die Konservenbüchse einpflanzen, und das Kind wird neben dir stehen.

      Das Kind hat schon ein Boot. Jenes aus rotem und gelbem Plastik, mit dem sie in der Badewanne spielt, wenn man sie badet. Sie sitzt im Wasser und schlägt mit ihren Händen aufs Wasser, das sie umgibt und das ihr bis an die Brust reicht. Sie dreht ihre Hände, als machte sie an Radioknöpfen herum, sie lehnt sich nach vorne, erwischt das Plastikboot, das sich vor ihr beim Wasserhahn befindet, hebt es aus dem Wasser, schaut den Tropfen zu, die in die Badewanne hinuntertropfen, macht mit dem Spielzeug ein paar Bewegungen in der Luft, taucht es bis zum Grund der Badewanne ins Wasser und hält es so einige Sekunden auf dem Emailboden der Badewanne fest. Dieses Plastikboot hat weder Matrosen noch einen Kapitän. Wenn du keine Pflanzen in die Konservenbüchse tun willst, wird das Mädchen eine Flotte von drei Booten haben. Das aus Papier wird Narzisse heißen. Das aus gelbem und rotem Plastik wird Flagge getauft werden. Sie wird sie alle drei ins Wasser setzen können.

      * * *

      Wegen dir müsste es das Wort «Verzweiflung» nicht geben. Auch dein Vater ist nicht verzweifelt. Er wollte dich in seiner Nähe haben und dachte an die Zukunft. Gott sei mit ihm! Mehrere Arbeiter, die auf der Baustelle deines Vaters arbeiteten, sind gekommen, um Abschied zu nehmen, und sie sind in das Totenzimmer getreten, sind zwischen den Leuten, die auf den Stühlen der Wand entlang saßen und dem Tisch, der den Sarg trug, durchgegangen, haben sich bekreuzigt, haben sich vornüber gebeugt, um die Stirn deines Vaters zu küssen, haben sich erneut bekreuzigt, sind einen Moment lang schweigend stehengeblieben und haben dann den Raum wieder verlassen. Du kanntest die meisten der Arbeiter deines Vaters. Wenn die Arbeiter deines Vaters Fußball spielten, war dein Vater ihr Schiedsrichter. Du warst der einzige Zuschauer des Fußballmatchs, den die Arbeiter deines Vaters austrugen. Dein Vater pfiff das Spiel mit einer Pfeife aus einem Stück Blech und Weißblech. Es war einer der Blechschmiede der Baustelle, der die Pfeife mit dem kleinen Kieselstein darin angefertigt hatte. Die Arbeiter waren je nach Arbeitsteam aufgeteilt. Es gab Matchs zwischen Elektrikern und Betonierern. Es gab Matchs zwischen Maurern und Verwaltungspersonal. Es gab eine Baustellenmeisterschaft, und nach jedem Spiel wurde mit Bier und Wein gefeiert. Sie kauften ganze Kisten Bier, und in jeder Kiste waren vierundzwanzig Flaschen. Jede Flasche enthielt einen halben Liter Bier. Sie kauften zu essen ein. Sie grillten am Rande des improvisierten Fußballfeldes auf dem Gelände der Baustelle. Sie aßen Käse, Salami, Fischkonserven und Schwarzbrot. Die Bauarbeiter liebten das Schwarzbrot aus Kartoffeln. Du hast ihre Matchs geschaut, dann hast du mit ihnen gegessen und sie reden hören. Du hast ihre verschiedenen Gesichter und ihre Sportanzüge angeschaut. Du warst mit deinem Vater bei einigen von ihnen zu Hause. Du kanntest die Familien einiger Arbeiter. Du hast all diese Leute auf der Baustelle arbeiten sehen. Du verbrachtest deine ganze Freizeit beim Fischen oder auf der Baustelle. Wenn du nicht beim Fischen oder auf der Baustelle warst, hast du gelesen. Du hattest mit drei oder vier Bauarbeitern Schwierigkeiten. Sie schikanierten dich. Sie zogen über deinen Vater her oder machten Masturbationsgesten. Du hast ein paar Arbeiter deines Vaters hinter dem Betonmischer oder hinter einem Steinhaufen beim Masturbieren gesehen. Du hast die Angelegenheit mit diesen drei oder vier Arbeitern sofort geregelt. Bevor auch sie zu deinen Freunden wurden, hast du sie bestraft. Du hast ihnen gezeigt, dass du auf eine andere Art und Weise Scherze triebst als sie. Dein Vater hat mir davon erzählt, was du mit ihnen