Alles Alltag. Sascha Wittmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sascha Wittmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903061828
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hatte natürlich ihr Mann Thomas hinaufgeladen. In den Schaufenstern schon seit Wochen Sommermode. Bikinis mit Tanga-Höschen waren wieder modern, fast so wie damals. Passte diese Episode von ihrem ersten Musikfestival auch in das von Michaela beschriebene Muster?

      Rikki war sechzehn gewesen und zum ersten Mal mit Freunden bei einem Musikfestival. Das Zelt, ein uraltes Ungetüm aus den Beständen ihres Vaters, hatte sie mit ihrer besten Freundin geteilt. Anreise mit der Bahn, dann ein schier endloser Weg auf der schattenlosen Bundesstraße mit Gepäck und Verpflegung am Rücken zum Campingplatz. Sie breiteten die Planen von Unter- und Überzelt aus, das Gestänge hatten sie bereits sortiert. Da stand plötzlich Christian vor ihnen, der gutaussehende Christian aus der Parallelklasse, den anzusprechen sie sich nie getraut hatte. Auch er hatte seine Kontaktversuche bisher auf Blicke beschränkt, doch hier auf dem Campingplatz bot er ihnen einfach seine Hilfe an, nein, es war eher ein Einfordern gewesen, das Zelt aufzustellen. Rikki hatte sofort bemerkt, dass der Bursch genau so nervös war, wie sie selbst. Lehnte sie ab, wären alle Chancen bei ihm vertan. Also überließ sie ihm Planen und Stangen. Und obwohl er sich nicht sehr geschickt anstellte und das Zelt erst nach einer Stunde fertig aufgestellt war, hatte sie ihn ausgiebig gelobt und sich zigmal bedankt.

      Vielleicht hatte Michaela doch recht: Sie machte sich kleiner, als sie war. Mittlerweile war sie die Rolle der ungeschickten Frau schon so gewohnt, dass es ihr überhaupt nicht mehr auffiel, wenn sie wieder einmal eine sogenannte unweibliche Tätigkeit an einen Mann abgab. Aber was war Falsches daran, einem netten Mann die kleine Freude zu gönnen, vor einer Frau zu glänzen? Ja, etwas war falsch: Rikki wollte auch einmal etwas selbstständig fertigbringen, was über einen Kuchen hinausging. Es stimmte schon, eine Waschmaschine war auch ein technisches Gerät, aber das wirklich tolle Spielzeug hatten immer die Männer. Vielleicht war Michaelas Vorschlag doch nicht so schlecht, und sie sollte sich die Sache einmal ansehen. Diese Woche noch nicht, aber in der nächsten.

      »Ist sie vertrauenswürdig?« Die Frau, die sich als Paula vorgestellt hatte, wirkte eigentlich nicht so streng, wie ihre Frage klang.

      »Ich denke schon. Aber ich kenne sie nur von der Arbeit.« Michaela schien etwas nervös. Schließlich würde es auf sie zurückfallen, erwiese Rikki sich nicht des Clubs würdig oder noch schlimmer: stellte sie sich als Verräterin heraus.

      »Sie soll zuerst ihre Geschichte erzählen, dann entscheiden wir.« Paula sah Rikki aufmunternd an.

      So hatte Rikki sich die Sache nicht vorgestellt. Sie stand in einer schmutzigen Werkstätte, überall Maschinen, von denen sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wozu sie dienten, umringt von fünf Frauen, die alle misstrauisch wirkten. Michaela hatte ihr von diesem Frauenclub erzählt, in dem man allen möglich Hobbys nachgehen könne, Verschiedenes ausprobieren, aber dieser Empfang sah nicht nach Freizeitvergnügen aus.

      »Ich … Schon mein Vater hat immer …«

      »So weit in die Vergangenheit brauchst du nicht zurückzugehen. Erzähl einfach eine prägnante Begebenheit aus der letzten Zeit.« Carmens Aufforderung wirkte schon wesentlich freundlicher. Rikki dachte kurz nach. Die neue Stereoanlage.

      Am vergangenen Samstag waren sie und Thomas zu einem dieser großen Elektromärkte gefahren. Schon lange waren sie übereingekommen, dass die alte Stereoanlage jetzt wirklich ausgedient habe, gerade noch für das kombinierte Arbeits- und Bügelzimmer reiche. In den Wochen davor hatten sie Kataloge und Websites studiert, verschiedene Marken verglichen, über das Preis-Leistungs-Verhältnis diskutiert. In der Musikabteilung verwickelte Thomas den jungen Verkäufer sofort in ein Fachgespräch über Boxen, verschiedene Ein- und Ausgänge, Kompatibilität mit Computerprogrammen. Das meiste davon hielt Rikki für Angeberei. Sie wohnten im dritten Stock eines Genossenschaftshauses, konnten also ohnehin keine Heimdisco installieren. Auch war ihr Thomas bisher nicht als Komponist aufgefallen. Wozu brauchte er eine Verbindung zum Computer? Aber sie wollte ihn vor dem Verkäufer nicht bloßstellen und sagte nichts. Endlich hatten sie sich für ein Gerät entschieden. Für die ganz große Variante hatte zum Glück das vorgesehene Budget nicht gereicht. Zu Hause angekommen, begann Rikki sofort mit dem Öffnen der Verpackung und suchte die Bedienungsanleitung heraus. Wie sehr sie sich darauf gefreut hatte, ihre CDs endlich in ordentlicher Qualität anhören zu können! Doch kaum war Thomas mit den restlichen Einkäufen von der Garage gekommen, nahm er ihr das Buch aus der Hand. Den berüchtigten Satz von Frauen und Technik hatte er sich gespart, sein Gesicht drückte aber genau das aus. Rikki wollte aufbegehren, protestieren, dass es ja nicht so schwer sein könne, der Anleitung zu folgen. Doch Thomas war schon mit Feuereifer bei der Sache. Und sie ließ ihn gewähren. Im Job hatte er es in letzter Zeit nicht leicht gehabt. In der Druckereibranche wurde der Kampf um Aufträge immer härter. Er war oft bis spätabends unterwegs und kam dann völlig erschöpft nach Hause. Über seine Angst, vom allgemeinen Stellenabbau auch bald betroffen zu sein, verlor er kein Wort, aber man brauchte nur Zeitung zu lesen und die Augen vor der Realität nicht völlig zu verschließen, um zu merken, was mit ihm los war. Also hatte Rikki ihrem Mann dieses kleine Erfolgserlebnis, die neue Anlage als erster in Betrieb zu nehmen, gegönnt und stattdessen damit begonnen, das Abendessen zu richten.

      »Das kommt mir sehr bekannt vor«, seufzte Gerlinde.

      »Okay, diese Geschichte ist typisch für das, was Frauen tagtäglich erleben. Du kannst bei uns mitmachen. Zuerst einmal auf Probe.«

      Und dann erklärte Paula den Sinn des Clubs und die Regeln. Alle Mitglieder hatten einen Schlüssel zu den Räumen, konnten kommen und gehen, wann sie wollten. Einmal im Monat war gemeinsamer Clubabend, um Vorhaben, Probleme, Anliegen zu besprechen. Es gab verschiedene Maschinen und Werkzeug aus allen möglichen Handwerksbereichen. Ungeübte durften die Maschinen vorerst nur unter Anleitung bedienen. Auf Wunsch wurden Handwerkerinnen für Einschulungskurse eingeladen. Es gab aber auch einen großen, gut ausgestatteten Computerraum, dessen Kapazitäten über die eines normalen Büros weit hinausgingen: Fotobearbeitung, Filmschnitt und vieles mehr konnte man hier ausprobieren und perfektionieren. Zum Schluss erläuterte Paula: »Wir machen hier alles selbst. Niemand wird dich auslachen, wenn du dich bei einer neuen Sache ungeschickt anstellst. Du kannst jederzeit um Rat fragen, aber es wird dir keine andere die Arbeit aus der Hand nehmen. Und ganz wichtig: Du darfst niemals einen Mann hierherbringen! Du kommst alleine, du lässt dich nicht abholen. Die Probezeit beträgt drei Monate. Es gibt für die endgültige Aufnahme keine besonderen Kriterien, außer den schon genannten Regeln und dass du wirklich etwas machen willst. Natürlich hast auch du das Recht, jederzeit auszusteigen. Ist das in Ordnung für dich?«

      Rikki war ein wenig verwirrt, aber fasziniert von diesen neuen Möglichkeiten. »Ja, ich möchte es gerne versuchen. Eine Frage habe ich noch: Ist es euer Ziel, auch im Alltag mehr handwerkliche und technische Aufgaben zu übernehmen?«

      »Ach, weißt du, das ist sehr unterschiedlich«, antwortete Martina, die bisher geschwiegen hatte. »Mir geht es oft so, wie du erzählt hast: Gerade wenn mein Mann einen schlechten Tag hat, lasse ich ihm gerne kleine Erfolge. Es gefällt ihm, wenn er etwas für mich tun kann, dann fühlt er sich als Beschützer. Aber manchmal brauche ich eine Auszeit vom Frauchensein, muss mich richtig austoben. Hier ist der ideale Ort dafür.«

      Rikki war beruhigt. Paulas strenger Ton hatte sie schon befürchten lassen, es werde – vielleicht nur unterschwellig – von ihr erwartet, ihr Leben und vor allem ihr Verhältnis zu Thomas zu ändern. Das lag überhaupt nicht in ihrer Absicht. Sie wollte nur selbst einmal die Urlaubsfotos überspielen, sie etwas bearbeiten, Alben erstellen, vielleicht selbst das Schlafzimmer ausmalen oder einen verstopften Abfluss reinigen. Um sich zu beweisen, dass sie es konnte.

      »Ach ja, das habe ich dir noch gar nicht erzählt«, meldete sich Michaela zu Wort, »ich habe bei der Versicherung gekündigt. Ich habe ein Stipendium bekommen. Im Wintersemester beginne ich an der Technischen Universität Informatik zu studieren.«

       Um die Ecke

      Liebe Mama, lieber Papa,

      um diese Ecke werde ich nicht mehr gehen. Das versteht Ihr nicht? Könnt Ihr Euch nicht mehr an die endlosen Besichtigungen während unserer Italien-Urlaube erinnern? Meine Schulfreundinnen sind einfach in Lignano oder Jesolo am Strand gelegen, haben