Alles Alltag. Sascha Wittmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sascha Wittmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903061828
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richteten eigene Raucher*innenbereiche ein, um das Verbot zu umgehen. Dieses Problem hat sich – wie Ihr wisst – schnell von selbst erledigt: Die Nichtraucher*innen klagten beim Arbeits- und Sozialgericht, dass sie viel weniger Pausen hätten, weil sie eben nie »schnell einmal auf eine Zigarette« gehen. Und sie bekamen recht!

      Das totale Rauchverbot in allen Bewirtungsbetrieben war nach anfänglichem Widerstand der Betreiber*innen dann schnell umgesetzt. Vor allem, weil immer mehr Lokalbesitzer*innen aus unseren Reihen kamen. Oft waren es Quereinsteiger*innen, die frischen Wind in die muffige Szene brachten. Sie eröffneten vegetarische, oft sogar vegane Lokale, in denen Rauchen schon immer ein No-Go war.

      Am generellen Rauchverbot im öffentlichen Raum – schließlich sollen Kinder und Jugendliche nicht durch negative Vorbilder beeinflusst werden – waren wir schon federführend beteiligt.

      Nun war es also praktisch nur noch möglich, in der eigenen Wohnung, im eigenen Haus zu rauchen. Doch auch hier haben wir schon erste Erfolge erzielt, dies zu unterbinden. Immer mehr unserer Parteigänger*innen haben den Mut, gegen rauchende Nachbar*innen gerichtlich vorzugehen. Und immer öfter gewinnen sie diese Prozesse.

      Liebe Freund*innen, ich bin stolz darauf, Euch mitteilen zu können, dass ein totales Rauchverbot kommende Woche im Parlament beschlossen werden wird! Da wir nun über mehr als zwei Drittel aller Sitze verfügen, ist die Abstimmung reine Formsache.

      Aber wir sind eine Bewegung für die Bürger*innen, nicht gegen sie. Für sehr alte Menschen, achtzig aufwärts, die sich auf die neuen Zeiten nicht mehr einstellen können, wird es eigene Einrichtungen geben, wo sie ihren vertrauten, aber leider schädlichen Gewohnheiten nachgehen können. Wir denken an die Ansiedlung in strukturschwachen Gegenden, die so auch vor der gänzlichen Abwanderung gerettet werden. Einen Modellbetrieb gibt es bereits im nördlichen Waldviertel. Selbstverständlich bekommen Betreuer*innen und medizinisches Personal, das bereit ist, unter diesen erschwerten Bedingungen zu arbeiten, eine spezielle Sicherheitsausrüstung, die auch Gasmasken beinhaltet und eine erhöhte Gefahrenzulage, die gesetzlich festgeschrieben ist.

      Doch diese Erfolge dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch viel zu tun ist. Bei der Reduktion des Zuckergehalts in Getränken und Lebensmitteln haben wir schon erste Schritte gesetzt, auch eine flächendeckende Kennzeichnung sämtlicher allergenen Inhaltsstoffe haben wir durchgesetzt. Was allerdings noch aussteht, ist eine deutliche Reduktion des Fettgehalts unserer Lebensmittel. Vielen von Euch ist jetzt schon bewusst, dass versteckte Fette praktisch überall lauern. Liebe Freund*innen, tun wir uns und allen anderen etwas Gutes: Verbieten wir einfach diese Gefahrenquelle für unsere Gesundheit und damit unserem Wohlbefinden! Ich gebe Euch mein Wort: Wir werden alles in Bewegung setzen, um ein entsprechendes Gesetz durchzubringen. Da können alle Noch-anders-Denkenden sich gerne über eine »Schweinsbratensteuer« lustig machen.

      Überhaupt muss der Fleischkonsum drastisch eingeschränkt werden. Er erzeugt nicht nur einen unverantwortlich großen ökologischen Fußabdruck, er ist auch schlecht für unseren Stoffwechsel, macht uns krank. Gänzlich verbieten wird sich das Fleischessen nicht lassen, weil sonst sofort der Verlust kultureller Identität moniert werden würde. Aber wir denken an eine Rationierung und sind gerade dabei auszuloten, ob sich die Menge des Fleischkonsums über die e-card steuern lässt. Unser Ziel ist es natürlich, dass wir uns in Zukunft nur noch rein pflanzlich, biologisch und ohne künstliche Zusatzstoffe ernähren. »Saisonal, regional, frisch zubereitet« dürfen keine leeren Schlagworte bleiben. Im Gegenteil: Sie müssen unser aller Lebensstil werden, soll unsere Erde weiterhin bestehen. Die Zeit, die wir länger in der Küche verbringen, ist gut investierte Zeit!

      Doch es geht nicht ausschließlich um die Nahrung. Denkt nur an das Verkehrsverhalten vieler unserer Mitbürger*innen. Ihr habt schon das Bewusstsein erlangt, dass der motorisierte Verkehr weitestmöglich aus unserem Lebensraum verbannt werden muss. Ihr fahrt mit dem Fahrrad, führt eure Kinder im Anhänger, konstruiert sogar spezielle Lastenräder. Diese Haltung muss in der gesamten Gesellschaft nachhaltig verankert werden. Als erste Maßnahme werden wir – zumindest in dichtbesiedelten Gebieten – eine lückenlose Videoüberwachung einführen, um unnötige Autofahrten sofort zu registrieren und ahnden zu können.

      Noch einer weiteren Gefahr müssen wir unsere Aufmerksamkeit schenken: Das Binnen-Sternchen war schon einmal fast selbstverständlich, zumindest in Schulen und allen amtlichen Texten. In den letzten Jahren ist allerdings die Fraktion derer, die für eine angeblich bessere Lesbarkeit von Texten plädiert, schriebe man nur die männliche Form, wieder stärker geworden. Dem muss Einhalt geboten werden! In unserer Gesellschaft sollen sich alle Geschlechter, ob weiblich, männlich, transgender oder mehrgeschlechtlich, wohlfühlen!

      Wohlfühlen, das ist es schließlich, wofür wir angetreten sind und wofür Ihr uns gewählt habt. Jegliches Risiko, dass unser Wohlfühlen reduzieren könnte, muss minimiert werden. Darum werden wir Folgendes sofort umsetzen: Aus allen Bildungseinrichtungen – beginnend bei der Kinderkrippe bis zu Universitäten und Hochschulen – werden ab sofort alle Ideologien und Lehren verbannt, die unser Wohlbefinden einschränken könnten. Bildungseinrichtungen müssen Stätten des Wohlfühlens sein, damit wir uns den wichtigen Themen widmen können. Nicht Orte, an denen abweichende Geisteshaltungen unseren Lebensstil stören. Kritiker*innen werden einsehen, dass unsere Haltung die alleinig richtige ist.

      Darum liebe Freund*innen: Wir werden alles daran setzen, dass Ihr Euch in Zukunft ungehindert, umfassend und total wohlfühlen könnt!

      Danke für Eure Aufmerksamkeit. Auf in eine schönere Zukunft!

       Messer

      Es hätte nicht sein müssen. Man hätte dem Problem auch mit anderen Mitteln beikommen können. Schließlich existiert genug Literatur darüber. Im Fernsehen geben mehr oder weniger berufene Experten Tipps: Psychologen, Pädagogen, Ernährungsberaterinnen, Prominente …

      Nur – was nützen diese Ratschläge, wenn es schon nach achtzehn Uhr ist, man gerade den Einkaufskorb in der Küche abgestellt hat und die Kinder noch im letzten Moment daran hindern konnte, in dreckigen Schuhen und tropfenden Mänteln ins Wohnzimmer zu laufen, um sofort den Fernsehapparat einzuschalten?

      Ein Messer ist ein sehr effizientes Werkzeug. Natürlich wurde es nicht sofort eingesetzt.

      Zuerst waren da noch die täglichen, wie immer sinnlosen Versuche, erzieherisch auf zwei Gerade-noch-nicht-Teenager einzuwirken. Erst die Mäntel aufhängen, Schuhe aus- und Hausschuhe anziehen, die Schultaschen in das jeweilige Zimmer tragen, auspacken, Bücher und Hefte für den nächsten Tag einräumen, Turnsachen herrichten. Aber welche Chance hat man schon gegen »Mein cooler Onkel Charlie«?

      Die Frage nach dem Abendessen versucht man mit der Aussicht auf Nachtisch mitten in der Woche diplomatisch zu umschiffen. Das Interesse der beiden an kulinarischen Fragen ist ohnehin endenwollend. Die Fixierung auf das Fernsehprogramm gibt wenigstens Gelegenheit dazu, in der Küche konzentriert und unbeobachtet werken zu können. Der Bub kommt auf der Suche nach Knabbereien herein, rümpft die Nase, als er sieht, dass Erdäpfel gekocht werden. Nein, heute keine Pommes frites, etwas Neues ausprobieren.

      Wenn schon einmal alle vier zugleich zum Nachtmahl zu Hause sind, man nicht endlos in der Firma aufgehalten worden ist, weil ein Projekt noch unbedingt abgeschlossen werden musste, sodass man ausnahmsweise Zeit zum Einkaufen am Markt und Kochen hat, der Mann sich nicht abends mit Geschäftsfreunden trifft und die Kinder weder Theatervorführung noch Fußballtraining oder Elternabend in der Schule haben, gibt es sicher kein Junkfood.

      Der Erzeuger der Brut kommt heim, wird schon im Vorzimmer überfallen. Aufgeregte Diskussion statt Begrüßung. Der Lärm verlagert sich ins Wohnzimmer. Ruhe kehrt ein. Der Mann schaut in die Küche, bekommt leuchtende Augen. Kuss. Zurück im Nebenraum Getuschel, einzelne, lautstarke Proteste, abwechselnd von Mädchen und Bub. Ein resigniert schauender Mann kommt in die Küche. So wird das nichts mit einem schönen, ausnahmsweise stilvollen Abendessen. Die Pommes werden aus dem Tiefkühlfach gefischt, auf ein Backblech geschüttet.

      Der Mann berichtet an der Front über den Fortschritt der Dinge. Doch dieser Kompromiss ist noch nicht genug. Kein Knoblauch, Olivenöl sei unnötig, Mangold sicher nur ein weiterer