Alles Alltag. Sascha Wittmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sascha Wittmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903061828
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findet, dass ich mich zu sehr hineinsteigere und es ja wohl nicht meine Aufgabe sei, ganz alleine die Welt zu retten. Demo oder Mann?

      22.03.

      Jetzt habe ich die Janacek aus dem dritten Stock erwischt. Sie wirft ihre Küchenabfälle einfach in den Restmüll. Und frech ist sie auch noch geworden, als ich sie zur Rede gestellt habe. Ich soll mich nicht so aufspielen, der Mist werde bei den Stadtwerken ohnehin zusammengeschmissen. Sie verschwendet wertvolle Rohstoffe, und dann beschimpft sie mich auch noch!

      Markus besteht auf den Osterurlaub. Er habe schließlich hart gearbeitet und sich eine kleine Auszeit verdient. Soll er doch alleine fahren. Eine kleine Beziehungspause tut uns sicher ganz gut.

      23.03.

      Das ist die Höhe. Ein Brief von der Hausverwaltung. Ich dürfe mein Rad nicht im Gang stehen lassen, weil es im Weg sei. Außerdem fühlen sich Hausparteien von mir belästigt, weil ich sie beim Mistwegtragen beobachte und kontrolliere, ob sie alles in die richtigen Tonnen werfen. So eine Frechheit! Gerade die Hausverwaltung sollte doch Interesse an korrekter Mülltrennung haben!

      24.03.

      So, jetzt werden sie nicht mehr über mich lachen! Es war zwar ziemlich viel Arbeit, und dreckig wird man dabei auch, aber es musste endlich einmal ein Exempel statuiert werden. Jeden Fetzen Papier habe ich aus dem Restmüll geklaubt, jedes Plastiksackerl aus der Biotonne und dem Altpapier. Wie viel Mist die Leute produzieren! Zuerst wollte ich den stinkenden Haufen einfach liegen lassen, aber es musste etwas Spektakuläres geschehen, damit sie es sich merken. Brennendes Plastik erzeugt wirklich einen ekeligen Geruch.

      So, jetzt ab in die Dusche, dann gehen sich vor der Arbeit noch zwei Stunden Schlaf aus.

      »Frau Haselsteiner, wollen Sie jetzt endlich etwas dazu sagen? Uns eine Erklärung geben?« Obwohl der Verhandlungssaal klimatisiert ist, zeigen sich erste Schweißtropfen auf der Stirn des Richters. »Nein? Noch immer nichts? Ist Ihnen eigentlich bewusst, was Sie da angerichtet haben? Nicht nur, dass die gesamte hofseitige Fassade erneuert werden muss. Sie haben Menschenleben in Gefahr gebracht. Wenn Frau Janacek nicht rechtzeitig aufgewacht wäre und nicht geistesgegenwärtig sofort die Feuerwehr gerufen hätte, nicht auszudenken, was hätte passieren können. Sie wollen weiterhin schweigen? Gut, dann ergeht hiermit folgendes Urteil: Sie kommen für den Schaden, den Sie verursacht haben, auf. Zusätzlich werden Sie zweihundert Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Und zwar beim Stadtgartenamt. Sie werden der Müllsammelbrigade zugeteilt. Frau Staatsanwältin, Herr Verteidiger, nehmen Sie dieses Urteil an? Ja – somit ist es also rechtskräftig!«

       Fuck Bad Burgensee!

      Also, das war doch wohl eine Frechheit: Ich und ein Burnout! Sicher nicht. Das ist doch nur eine Ausrede für Faule und Unfähige. Ich bringe sehr wohl meine Leistung! Schon seit Jahren. Und daran wird sich nichts ändern. Ich drehe nicht um Punkt siebzehn Uhr meinen Computer ab und verschwinde unauffällig. Ich nicht! Das ist in meiner Position ja überhaupt nicht drinnen. Nicht nur, dass die Arbeit erledigt werden muss, ich bin ja auch noch Vorbild für meine Mitarbeiter. Die ganz oben haben doch keine Ahnung, sitzen in ihren Luxusbüros mit Glasschreibtischen und sauteuren Bildern an den Wänden. Keiner sieht, wann sie kommen, wann sie gehen, sie geben nur irgendwelche sinnlosen Anweisungen und bringen Neuerungen heraus, damit man überhaupt merkt, dass sie da sind. Wir vom mittleren Management hingegen müssen schauen, dass der Laden läuft. Wir müssen die Mitarbeiter bei der Stange halten, damit nicht alle Fähigen sich einen besseren Job suchen.

      Ob ich schlafen kann, hat er mich gefragt. Was geht den das an?! Ich frag ihn doch auch nicht, ob er regelmäßig scheißt. Dir kann ichs ja sagen: In letzter Zeit bin ich schon manchmal in der Nacht aufgewacht. Das ist aber auch kein Wunder, so wie es bei uns zugeht. Das ist kein Burnout, das ist normal. Wärs ihm lieber, ich würd mir keine Gedanken machen? Über Profitmaximierung und Einsparungsmöglichkeiten? So mitten in der Nacht kommen mir oft die besten Ideen. Ich schreib das eh nicht als Dienstzeit, also ist es auch ganz allein mein Kaffee.

      Er tät mich bei einem Kurantrag unterstützen, ich solle das als zusätzlichen Wellnessurlaub sehen. Und dann gleich meinen restlichen Urlaub verbrauchen und Überstunden abbauen. Was glaubt denn der, warum ich achtundvierzig Tage und über hundert Stunden stehen habe? Weil ohne mich eben nichts geht! Weil irgendjemand die Arbeit machen muss, wenn die Kollegen krank sind oder mit ihren Kindern in den Urlaub fahren. Außerdem reicht mir ein verlängertes Wochenende in Istrien oder eine kurze Städtereise absolut, dann bin ich wieder voll fit. Das Ganze ist eine einzige Frechheit!

      Vielleicht will er mich ja auch auf die Elegante abservieren. Kur und dann Urlaub und Zeitausgleich – vier Monate weg. Dann heißt es sicher: Sie ist nicht mehr so belastbar, sonst hätte sie die Auszeit nicht gebraucht. Außerdem hat sie die Entwicklung der letzten Zeit verpasst. Man weiß ja, wie schnelllebig unsere Branche ist. Ihre Vertretung hat sich so gut eingearbeitet. Und so weiter und so fort.

      Nein, ich bin nicht paranoid. So läuft das einfach. Aber nicht mit mir! Ganz im Gegenteil: Ich werde nicht mehr später kommen, wenn ich am Abend vorher eine Veranstaltung hatte. Ich werde mir nie wieder eine verlängerte Mittagspause gönnen. Nur ja keine Angriffsfläche bieten. Ich werde allen beweisen, dass ich die einzig Richtige für den Job bin, dass ich besser bin als alle anderen.

      Ich bin nicht am Zusammenklappen! Jetzt fängst du auch noch damit an! Wie soll ich sonst wohl reagieren, wenn man versucht, mich abzusägen? Ich bin stark! Ich brauche keine Hilfe! Ich mache keine Fehler! Und ich lasse mich schon gar nicht ausbooten! Ich will doch nur …

      Was machst du? Du kannst doch jetzt nicht einfach gehen! Das ist so was von …

      Warum sind nur alle gegen mich? Am liebsten würd ich jetzt schlafen gehen und erst in einer Woche wieder aufwachen. Und dann ist alles wieder wie vorher. Ich will das alles nicht mehr. Ich will … Ich brauche …

      Ich will es überhaupt nicht ruhiger angehen!

       Und es war doch schön!

      Martha ist eine attraktive Frau. Für ihr Alter. Was heißt hier Alter? Sechzig ist das neue Vierzig! Sie hat alles noch vor sich, alles, worauf sie sich in den letzten Jahren gefreut hat.

      Martha steht vom Frühstückstisch auf, gewohnheitsgemäß öffnet sie die Badezimmertür. Nein, heute muss sie sich nicht rasch fertig machen, um rechtzeitig im Büro zu sein. Der erste Tag der Pension! Endlich Zeit für sich selbst.

      Für diese Woche hat Martha sich vorgenommen, Platz zu schaffen. Wofür? Das steht noch nicht fest. Für etwas Neues auf jeden Fall. Da hat es keinen Sinn zu duschen; sie wird sicher staubig werden. Vielleicht gönnt sie sich abends ein Bad.

      Martha beginnt mit dem ehemaligen Kinderzimmer. Das ist am schwierigsten. Schon seit Jahren wird es hauptsächlich als zusätzlicher Abstellraum verwendet. Hier ist alles gelandet, was Martha nicht unmittelbar braucht: diverse Bücher, die Skripten vom EDV-Kurs, Fotos, aus der Mode gekommene Kleidung. Und natürlich ist noch einiges von Ursulas Sachen da. Die werden jetzt auch endlich entsorgt.

      So eine hübsche und erfolgreiche junge Frau – wieso hat sie sich nur von diesem Typen so fertig machen lassen? Dabei hatte sie ihn ja noch gar nicht so lange gekannt. Waren die beiden überhaupt ein richtiges Paar? Ihr hatte sie ihn jedenfalls nicht vorgestellt.

      Schluss! Das ist vorbei. Aus diesem Zimmer würde Martha ihr neues Büro machen, endlich genug Platz haben für die Unterlagen zu ihren Reisen, dem Konzert- und Theaterabonnement, den Wohnungsordnern. Ursulas Schreibtisch ist ja noch da. Der Schreibtisch, an dem sie für die Schule gelernt hat, in dem sie ihr erstes Tagebuch versteckte, die Briefe ihrer ersten Verehrer.

      Das Foto vom letzten gemeinsamen Urlaub in Griechenland. Zwei Monate danach ist Günther damit herausgerückt, dass seine Sekretärin nicht nur beruflich wichtig für ihn war. Im Grunde kann Martha froh sein, dass er weg ist. Wahrscheinlich ist er mittlerweile fett geworden und hat eine Glatze, das soll sich doch diese Tipse jeden Tag anschauen. Anfangs …

      Ursula sieht man auf dem Bild schon an, wie hübsch sie einmal werden wird und dass sie intelligent ist. Das Mädchen sollte durch die