Alles Alltag. Sascha Wittmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sascha Wittmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903061828
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wird nach Ketchup verlangt.

      Der Mann regt an, um des lieben Friedens willen doch für die Kinder ein Ersatzprogramm … Man hätte doch sicher noch … Nein, man hat nicht.

      Das große Messer wird aus dem Block gezogen. Ja, es ist frisch geschliffen, wird das Fleisch teilen wie Butter, die Haut sauber abziehen. Und dann saust es nieder.

      Doraden-Fischstäbchen. Dafür müsste die Strafe mindestens so hoch wie für Mord angesetzt werden.

       Ganz bei mir

      »Kannst du denn nicht einmal etwas anderes schreiben?«

      Was sollte diese blöde Bemerkung? Johanna hatte wieder einmal überhaupt nichts kapiert. Schließlich war das der Plan: Jeden Tag ein Foto, aufgenommen vom Balkon aus, mit dem aktuellen Zustandsbericht auf Facebook posten. Einen eigenen Blog einzurichten wäre zu viel Arbeit gewesen. Und wozu gab es denn dieses ganze Social-Media-Zeug?

      »Du musst endlich deinen Urlaub verbrauchen, du hast jetzt schon fünfundvierzig Tage stehen. Und von den Überstunden wollen wir gar nicht reden. Ein bisschen Ruhe wird dir gut tun. Du schaust in letzter Zeit ziemlich abgespannt aus.«

      Ja, da saß sie nun, in diesem gottverlassenen Kaff, alleine, mit einer unübersehbaren Anzahl von Tagen vor sich. Christian hatte keine Zeit zum Wegfahren gehabt, Stress in der Firma. Keine ihrer Freundinnen konnte oder wollte etwas mit ihr unternehmen, nicht einmal ein paar Tage Wellness waren sich spontan ausgegangen.

      Aber Alexandra Blazek ließ sich von solchen Kleinigkeiten nicht unterkriegen. Nicht davon, dass der Chef offenbar wenig schätzte, was sie für die Firma leistete. Warum hatte sie wohl in den letzten Jahren kaum Urlaub genommen? Nicht von Christians Desinteresse, der ohnehin kaum für ein paar Tage Wegfahren zu haben war. Erst einmal die Karriere auf Schiene bringen, für Privatleben sei später immer noch Zeit. Nicht von der Ablehnung der Freundinnen. Wenn man einmal wirklich jemanden brauchte, sah man ja, wer für einen da war. Nur man selbst. Dabei hatte sie immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte aller anderen. Wenigstens hatte Johanna ihr eine Bleibe für den Zwangsurlaub verschafft.

      Und natürlich würde sie das Beste daraus machen: eine Reise zum Selbst. Fernsehen und Computer waren verboten, sie gestattete sich nur, einmal am Tag das Smartphone zu benutzen. Dafür hatte sie Tees, Obst- und Gemüsesäfte, Reis, Getreideflocken und Trockenfrüchte eingekauft. Zusätzlich hatte sie sich reichlich mit Literatur ausgestattet: Bücher, die schon ewig am Nachttisch gelegen hatten, unter anderem »Wie ich werde, wer ich wirklich bin« von Adalbert Silberbauer, dem zurzeit angesagtesten Experten für Selbsterfahrung. In diesem Buch, das sie sicherheitshalber schon vor Reiseantritt durchgeblättert hatte, empfahl er, sich einmal ausgiebig Zeit für sich selbst zu nehmen, alleine, ohne Ablenkung, sich ganz auf die eigene Person zu konzentrieren, am besten in einer einsamen, abgelegenen Gegend.

      Genau das Richtige jetzt, da sie ohnehin niemanden hatte. Nur den täglichen Eintrag auf Facebook erlaubte sie sich als Nabelschnur zur Außenwelt. Schon den dritten Tag war der Nebel so dicht, dass man den Baum vor dem Haus nicht erkennen konnte. Was also hätte sie tun sollen? Es regte sich auch kein Lüftchen, um das undurchdringliche Grau zu vertreiben. Nichts mit goldenem Herbst. Aber das war schon gut so, passte genau in den Plan, sich nicht von sich selbst ablenken zu lassen.

      Gut, sie war nicht gerade in einer einsamen Berghütte mit Plumpsklo und Wasser aus dem Brunnen vor dem Haus, sondern im Ferienappartement von Johannas Eltern in Kaltendorf am See: Wohnzimmer, Schlafzimmer, die Küche voll ausgestattet, die Zentralheizung brauchte man nur aufzudrehen. Wenn man wollte, gab es sogar Frühstücksservice. Nur zwei Gassen entfernt lagen der Hauptplatz mit Kirche, Wirtshaus und Kulturzentrum.

      Trotzdem war es eine neue, bereichernde Erfahrung, sich ganz mit sich selbst und den eigenen Bedürfnissen auseinanderzusetzten. Aber auch nicht einfach, so lange Zeit ohne von außen vorgegebene Struktur zu leben. Aufstehen, Frühstück, Spaziergang, zu Mittag in Gemüsesuppe gekochter Reis, eine halbe Stunde schlafen, Spaziergang, zeitiges Abendessen, lesen, früh schlafen gehen. Genau diese Eintönigkeit sei wichtig für die Selbstfindung, hatte der Experte betont. Aber es war auch unglaublich langweilig.

      Und noch so viel Zeit. Vier Tage!

      »Gehst du heute Abend ins Sara Dark-Konzert im Kulturzentrum?« Sie hatte einmal zu oft an diesem Tag auf Facebook geschaut.

       Südseeträume

      »Was hast du denn da für ein Blattl, Vroni?«

      Michl Schwarzmauer schiebt die Lesebrille von der Stirn auf die Nase, greift nach der bunten Illustrierten.

      »Das? Das ist die Hallo in Stadt und Land.«

      Vroni Schwarzmauer räumt weiter Häferl, Untertassen und Frühstücksteller in den Geschirrspüler.

      »Für so einen Dreck gibst du Geld aus?«

      »Eh nicht. Das hat mir die Anni im »Gut und Billig« so mitgegeben. Ist eine Probenummer.«

      »Und wozu brauchen wir das?«

      Vroni schaltet den Geschirrspüler ein, wäscht sich die Hände, zieht einen Block aus der Tischlade und setzt sich ihrem Mann gegenüber.

      »Schau, Michl, ich hab mir da so Gedanken gemacht wegen der Zimmervermietung«, beginnt sie. Und dann erklärt sie, warum sich nun alles ändern werde und müsse. »Wir haben doch jetzt den Hof unserem Michi übergeben. Aber das heißt ja nicht, dass wir das Zimmervermieten aufgeben. Der Michi zieht ohnehin bald aus, wenn das neue Haus für ihn und seine Hanna fertig ist.«

      »Ja, aber was hat das mit diesem Blattl zu tun?«

      »Langsam, Michl. Der Bub will doch nicht nur ein neues Wohnhaus bauen, sondern vor allem diesen vollautomatisierten Stall für fünfzig Milchkühe. Er will halt richtig Geld machen. Beim Land haben sie ihm schon gesagt, dass die Förderung praktisch durch ist, wenn er gleich im nächsten Jänner ansucht. Jetzt im Mai ist das ganze Geld schon verplant. Das heißt aber, dass wir nächstes Jahr im Sommer hier eine riesige Baustelle haben. Das kann man doch den Gästen nicht zumuten.«

      »Ja, ja, ich kann mich noch erinnern, wie wir sogar den Hahn haben weggeben müssen, weil er den einen Wiener immer um fünf in der Früh aufgeweckt hat und der dann nicht mehr hat einschlafen können. Aber was hast du denn vor? Machen wir halt einfach für ein Jahr zu.«

      »Daran hab ich auch schon gedacht«, erwidert Vroni. Aber das sei alles nicht so einfach. Dass man die Stammgäste vielleicht halten könne, wenn man ihnen für das folgende Jahr ein Spezialangebot mache. Sicher sei das nicht. Und außerdem: »Wenn erst einmal der neue Stall dasteht, dann ist das hier nicht mehr der Bauernhof, den sich die Leute vorstellen. Da gibts dann keine kleinen Kalberln zum Streicheln mehr, keine Kühe mit dicken Eutern auf der Wiese hinter dem Haus, keinen großen Stier, vor dem sich die Kinder ein bisschen fürchten können. So ein Stall schaut doch aus wie eine Fabrik. Das Futter kommt automatisch über eine Rutsche rein. Wenn einer Kuh das Euter weh tut, geht sie in die Melkstation, und die Milch fließt dann gleich in den Tank. Der Mist fällt direkt in die Güllegrube. Und vor allem: Hinter dem Haus gibts dann einen Lagerplatz für die Silage-Ballen statt der Wiese mit den Obstbäumen. Alles total hygienisch und computergesteuert. Ich glaub, unser Michi weiß schon, was er tut. Nur für unsere Gäste ist das nichts. Da kann das kleine Mädchen nicht mehr melken üben. Die Aussicht ist verdorben. Fabriken haben sie in der Stadt auch genug.«

      »Da hast du schon recht, Vroni, aber was willst du jetzt tun? Und vor allem: Warum brauchst du dieses Heftl dazu?«

      Vroni blättert im Block mit ihren Notizen, schlägt die Illustrierte auf. »Schau, Michl, das ist es, was die Leute aus der Stadt wollen.« Sie deutet auf das Foto eines blumengeschmückten Holzhauses, das von alten Bäumen umstanden ist, im Hintergrund Berggipfel. »Diese Illustrierte verkauft sich total gut, sagt die Anni. Berichte vom heilen Leben am Land, schöne Bilder, bäuerliche Kochrezepte. Das wollen die Leute.«

      »Ja, aber was sollen wir …?«

      »Wir haben doch noch die Hütte oben auf der Burglehen-Alm.«