Alles Alltag. Sascha Wittmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sascha Wittmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903061828
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Morgen werden Mama und Papa ihn mitbringen. Dann hat sie mich ins Bett geschickt, weil das Christkind jetzt sicher nicht mehr kommt. Es wartet nämlich, bis auch Emil zu Hause ist. Die Geschenke bringt es heuer also einen Tag später.

      Obwohl ich so lang aufgeblieben bin, war ich in der Früh total zeitig auf, damit ich ja nicht versäume, wenn Emil kommt. Es ist aber lang nichts passiert. Die Oma hat aufgeräumt und eine Suppe gekocht. Zu Mittag hat es nur Brote gegeben. Die Suppe ist für die Mama, hat die Oma gesagt, weil die jetzt etwas Kräftigendes braucht. Dann habe ich wieder fernsehen dürfen. Die Oma hat zwar immer wieder den Kopf darüber geschüttelt, was für ein Dreck im Kinderprogramm läuft, nicht die netten Filme, die sie mit der Mama früher geschaut hat, wie die Mama noch ein Kind war. Aber sie war so mit dem Herrichten für unseren Emil beschäftigt, dass sie mich meistens in Ruhe gelassen hat.

      Kurz nach dem Mittagessen sind dann Mama und Papa mit meinem kleinen Bruder gekommen. Ich habe mich so gefreut und wollte ihm sogar das Weihnachtslied vorsingen, das wir im Kindergarten gelernt haben, aber sie haben gesagt, ich soll ruhig sein, damit er nicht aufwacht. Auch das Bild, das ich schon letzte Woche für ihn gemalt habe, habe ich ihm nicht geben dürfen. Dabei ist er da schon drauf, mit Mama und Papa und mir unter dem Christbaum. Mama ist mit Emil sofort ins Schlafzimmer und hat sich niedergelegt. Der Papa hat in der Küche Brote gegessen und der Oma vom Spital erzählt. Ich habe ihn gefragt, ob das Christkind nicht bald kommt, aber er hat mich fernsehen geschickt, damit er mit der Oma in Ruhe reden kann. Die Mama ist erst aufgestanden, da war es schon fast wieder dunkel.

      Endlich hab ich zum kleinen Emil dürfen, aber nur kurz. Er hat überhaupt nicht wie eine Puppe ausgeschaut. Ganz rot war er, mit einem hässlichen Gesicht. Außerdem sind komische schwarze Haare von seinem Kopf weggestanden. Angreifen hab ich ihn nicht dürfen, sonst schreit er. Das war fad. Die Erwachsenen waren total begeistert von ihm.

      Dann hat es die Suppe mit Fleisch, Nudeln und Gemüse drin gegeben. Ich wollte wissen, ob nachher das Christkind endlich kommt, wenn doch jetzt alle da sind. Die Oma hat gesagt, ich soll aufhören, nur an die Geschenke zu denken. Jetzt gibt es etwas Wichtigeres, nämlich, dass es dem kleinen Emil und der Mama gutgeht und dass die jetzt viel Ruhe brauchen. Der Papa hat wenigstens gemeint, er wird später schauen, ob das Christkind kommen kann. Die Mama ist mit dem Baby gleich nach dem Essen wieder im Schlafzimmer verschwunden. Aber da sind sie nicht lange geblieben.

      Der Emil hat nämlich begonnen, fürchterlich zu schreien. Die Mama und der Papa haben ihn abwechselnd durch die Wohnung getragen, aber er hat sich einfach nicht beruhigt. Ich hab nicht einmal fernsehen können, so laut war er. Wenn ich etwas gesagt habe oder gefragt, wie es jetzt mit dem Christkind weitergeht, hat mich einer von den Erwachsenen angefahren, ich soll ruhig sein, nicht auch noch nerven. Außerdem bin ich jetzt die Große und muss vernünftig sein. Endlich war der Emil dann ruhig. Ich hab schon Angst gehabt, er zerplatzt.

      Und das Christkind haben sie wieder nicht gerufen. Mama und Papa waren ganz fertig und sind ins Bett gegangen, den Emil haben sie mitgenommen. Der Papa hat nur gesagt, dass das Christkind morgen schon noch kommen wird. Die Oma hat in der Küche aufgeräumt und mich dann schlafen geschickt. Sie hat nicht einmal geschaut, ob ich mir die Zähne richtig putze.

      Ich habe aber nicht einschlafen können. Das Christkind ist ja noch immer nicht dagewesen, weil der Emil so geschrien hat. Ich hab Angst gehabt, dass es nicht mehr zu uns findet, weil es schon ganz weit weggeflogen ist. Bei den anderen war es doch schon am Abend vorher und bei den Engländern und Amerikanern heute in der Früh. Das hat uns auch die Tante Evelyne erzählt, dass das Christkind bei denen erst nach dem Heiligen Abend kommt. So teilt es sich die Arbeit auf. Aber dann muss es zu uns ja wieder zurückfliegen. Und da ist jetzt alles dunkel! Ich habe mir gedacht, es glaubt vielleicht, wir haben dieses Jahr auf seinen Besuch vergessen, weil sich alles um das neue Baby dreht oder wir brauchen es nicht mehr wegen dem Emil. Aber das stimmt ja nicht! Die Mama hat mir doch versprochen, dass ich heuer etwas ganz Besonderes bekomme.

      Also bin ich wieder aufgestanden und ins Wohnzimmer geschlichen. Ich wollte doch dem Christkind den Weg zeigen. Die Kerzen am Baum habe ich nicht angezündet, das macht man ja erst, wenn es schon ganz in der Nähe ist. Die Zündhölzer sind neben dem Kerzenleuchter im Regal gelegen. Dort sind sie sonst nie. Die Mama versteckt sie immer, weil man damit nicht spielen darf. Ich habe nur die große, runde Kerze am Fensterbrett angezündet und den Kerzenständer zum anderen Fenster gestellt, damit das Christkind sieht, dass es noch gebraucht wird. Mir ist kein einziges Zündholz runter gefallen, und die Kerzen waren wirklich schön hell. Niemand hat mich bemerkt, wie ich wieder in mein Zimmer zurück bin. Mama und Papa haben die Schlafzimmertür zugehabt, und die Oma ist vor dem Fernseher eingeschlafen. Jetzt habe ich auch endlich schlafen können.

      Dann hat mich ein fremder Mann aus dem Bett gerissen. Er hat ausgeschaut wie ein Außerirdischer mit dem Helm und der Maske vor dem Gesicht.

      Mama, Papa, Oma und Emil sind jetzt wieder im Spital. Da war ich auch kurz. Der Doktor hat gesagt, dass ich großes Glück habe und dass es meinen Eltern hoffentlich bald besser gehen wird, aber bei meinem kleinen Bruder schaut es gar nicht gut aus. Die Eltern sind jetzt bei ihm. Ich muss in eine große Wohnung, wo noch ein paar andere Kinder wohnen, für die ihre Eltern auch gerade keine Zeit haben. Für wie lange hat mir niemand gesagt.

      Aber wann kommt denn jetzt das Christkind?

       Der Club der Möglichkeiten

      Der Tag war schön gewesen, sonnig, aber nicht zu heiß. Rikki war mit ihrem neuen Fahrrad auf dem Rückweg von ihrer besten Freundin, sie beide waren damals gerade neun Jahre alt. Die beiden Elternhäuser lagen nur ein paar Hundert Meter voneinander entfernt in einer verkehrsberuhigten Zone am Rand der Großstadt. Rikki war schon fast daheim angelangt, als sie ein schepperndes Geräusch hörte, beim Treten keinen Widerstand mehr fühlte. Sie war kein ungeschicktes Kind, hatte einen Sturz vermeiden können. Sie stützte das Rad ab, setzte sich auf den Randstein und versuchte, die Kette wieder einzuspannen. Beinahe war es ihr gelungen, die kleine Reparatur war bei einem Dreigangrad ja auch nicht so schwierig, da stand ihr Vater plötzlich neben ihr. Er musste den Unfall vom Haus oder dem Vorgarten aus beobachtet haben und war seiner Tochter sofort zu Hilfe geeilt. Rikki wollte protestieren, sie könne das alleine, sei schon ein großes Mädchen. Wie sie aber ihren Vater ansah, wie stolz er war, seiner kleinen Prinzessin helfen zu können, schwieg sie. Rikki erinnerte sich auch an die Worte ihrer Mutter, sie müsse auf den Vater gerade jetzt besondere Rücksicht nehmen, in der Bank habe man ihm einen neuen Abteilungsleiter vor die Nase gesetzt, seine eigene Bewerbung für diesen Posten überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Also hatte Rikki ihn machen lassen, sich sogar noch überschwänglich für die Hilfe bedankt.

      Michaela hatte recht, diese Strategie hatte wirklich schon begonnen, als sie ein Kind war.

      Rikki saß mit ihrer Kollegin in der Kantine des Versicherungsbüros, in dem sie beide als Sachbearbeiterinnen beschäftigt waren. Die Frauen hatten ihren jeweiligen Salat schon fast aufgegessen, Michaela tunkte den Rest ihres Kornspitzes in das Joghurt-Dressing, Rikki knabberte an ihrem trockenen Sesamweckerl.

      »Wie kommst du darauf, dass ich auch ganz anders sein könnte? Vielleicht bin ich einfach eine ungeschickte Tussi.«

      Während des Essens hatte Michaela Rikki auf den Vorfall in der vergangenen Woche mit dem IT-Support angesprochen. Die neuen Computer waren endlich gekommen. Rikki hatte voll Vorfreude die Verpackung ihres Geräts geöffnet, war gerade dabei gewesen, es auf den vorgesehenen Platz zu stellen und die Kabel zu ordnen, als der junge Mann von der EDV hereingekommen war. Sofort hatte sie ihre Aktivitäten eingestellt und ihm die Arbeit überlassen.

      »Nein, das glaube ich nicht. Ich sehe doch, wie du an Aufgaben herangehst. Du rufst auch nicht sofort den Hausmeister, wenn bei deiner Schreibtischlampe die Glühbirne kaputt ist oder sich eine Rolle an deinem Sessel gelockert hat. Nur wenn ein Mann in der Nähe ist, wirst du plötzlich zum hilflosen Mädchen.«

      »Ich weiß nicht so recht, ob das etwas für mich ist. Muss auch schauen, wann ich Zeit habe.«

      »War nur ein Vorschlag. Überleg es dir halt noch, und sag mir Bescheid. Ich gehe meistens mittwochs hin.«

      Es war einer der ersten