Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter. Felix Pinner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Pinner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 4064066112011
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waren und Gelegenheit, ja förmlich Zwang zu produktiver Tätigkeit boten. In dem Agrarland Deutschland war noch so viel Platz für große Industrieunternehmungen, es gab so viele ungehobene industrielle Rohstoffe, so viel überschüssiges, früher auf den Weg der Auswanderung gedrängtes Menschenmaterial, daß die Entwicklung, nachdem einmal die Bahn durch Beseitigung der politischen Hemmungen, durch Freimachung und Anreicherung der kapitalbildenden Kräfte geebnet war, mächtig vorwärts drängen mußte. Man brauchte sich nur von dieser Entwicklung tragen zu lassen, um es zu etwas zu bringen und selbst die mäßige Begabung konnte sich ansehnliche Ziele stecken. Die große aber fand Baustoff und Werkzeug zu stärkstem Vollbringen. Man kann den Anteil, den Zeit und Persönlichkeit an den gewerblichen Schöpfungen unseres Zeitalters hatten, vielleicht am besten charakterisieren, wenn man sagt, daß die Männer dieser Zeit mit der Stromrichtung schwimmen konnten. Sie hatten — natürlich nur im Großen, und nicht im einzelnen betrachtet — kein zähes Gestrüpp an Gewohnheiten, Vorurteilen erst auszuroden, ehe sie mit der eigentlichen Arbeit beginnen konnten. Sie brauchten nicht einen erheblichen Teil ihrer besten Kraft darauf zu wenden, erst den Kampf des Positiven gegen das Negative zu führen, wie etwa der gedankliche Bahnbrecher Friedrich List, sie brauchten auch keiner spröden Materie langsame Gestaltung abzuzwingen, wie David Hansemann, Alfred Krupp und Werner Siemens. Sie fanden den Boden gepflügt und gedüngt. Gewiß, nur fruchtbare Körner konnten auf ihm aufgehen. Aber das fruchtbare Korn wird, wenn es auf einen guten und bereiten Boden fällt, anders und stärker gedeihen, als wenn es in Brachland oder dünnen Sandboden gesenkt wird.

      Es spricht nicht gegen unsere Auffassung von den wirtschaftlichen Wirkungen der reichsdeutschen Gruppierung um die staatenbildende Zentrifugalkraft Preußens, wenn man feststellt, daß einmal der wirtschaftliche Zusammenschluß Norddeutschlands und der spätere Hinzutritt Süddeutschlands zu dem deutschen Zollverein schon vor dem deutsch-französischen Kriege stattgefunden hatten und daß nachher noch fast ein Jahrzehnt hinging, ehe die moderne Wirtschaftsbewegung mit voller Kraft einsetzte. Vor dem Kriege war durch die Zollbündnisse, die den politischen Reichsgedanken vorbereiten halfen, wohl eine gewisse Einheit schon de jure erreicht. Das blieb auch ganz gewiß nicht ohne befruchtende Wirkung auf das Wirtschaftsleben und führte schon in der Mitte der 60er Jahre zu günstigen Geschäftskonjunkturen. Aber die große Revolutionierung des Wirtschaftsbodens, von der wir gesprochen haben, wurde dadurch höchstens angekündigt, noch nicht eingeleitet. Dies konnte erst geschehen, nachdem die wirtschaftliche Einheit durch die feste politische Form endgültig geworden, gegen jede Bedrohung von innen und außen gesichert war. Die allgemeine Überzeugung, daß die Einheit politisch und kriegerisch noch einmal würde erprobt und verteidigt werden müssen, hinderte vorerst das organische Zusammenwachsen der einzelnen Glieder Deutschlands zu einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet. Nach dem Kriege setzte der subjektive Aufschwung sofort ein und zwar in einem Tempo, daß ihm der objektive Aufschwung nicht zu folgen vermochte. Da keine genügende Zahl von industriellen Unternehmungen und von den sie repräsentierenden Wertpapieren da war, an denen die spekulative Hochbewertung sich hätte genug tun können, nahm der Aufschwung die Form der künstlichen „Wertschafferei“ und „Werttreiberei“ an, die sich auch am fingierten Wert entzündeten. Die wirklichen Werte an industriellen Objekten, an Grund und Boden, an Waren und Rohstoffen wurden gewaltig übersteigert, wie das immer der Fall ist, wenn der Kreis der realen Tatsachen nicht schnell genug erweitert und auf den Umfang der neuen geistigen Möglichkeiten gebracht werden kann. Die Plötzlichkeit, mit der die deutsche Binnenwirtschaft vor weltwirtschaftliche, ja imperialistische Probleme gestellt wurde, zeitigte ein gewaltiges schöpferisches Bedürfnis, dem die schöpferischen Verwirklichungen nicht im gleichen Tempo folgen konnten. Die Zukunftsphantasien, die den Gründern und Spekulanten jener Zeit vor Augen standen, waren dabei sicherlich nicht einmal falsch gesehen oder übertrieben. Was seither verwirklicht wurde, hat jene Phantasiegemälde längst überboten und in Schatten gestellt. Falsch war nur die Bemessung der Distanz, der Zeitspanne, in der man zur Verwirklichung jener Ideen kommen zu können glaubte. Man glaubte Tal und Berg im Sprung überwinden zu können, während eine mühselige Wanderung über Hügel und Einsenkungen, durch Schluchten und Gestein notwendig war. Was diesen Trugschluß damals noch so wesentlich förderte, war der französische Milliardensegen, der sich unerwartet und unvorbereitet über Deutschland ergoß. Man glaubte, daß mit diesem Gelde jede Distanz überwunden werden könnte und hatte noch nicht die vorher nirgends so augenfällig gewordene, erst anläßlich dieser gewaltigsten gegenwertlosen Geldübertragung der Geschichte möglich gewordene Erfahrung gemacht, daß ein Überfluß an Geld eine gesunde Entwicklung nicht fördert, sondern stört. Nur Geld, das Kapital geworden ist oder Kapital werden kann, das heißt für das sich eine gesunde Anlagemöglichkeit findet, vermag Früchte zu tragen. Das Geld, das beschäftigungslos umhertreibt oder zu zwecklosen Experimenten verwendet wird, schafft eine künstliche Kaufkraft, eine ungesunde Unternehmungslust, bringt die Faktoren der Preisbildung, die Ventile der Marktregulierung in Unordnung und treibt in Krisen hinein, in denen die künstlichen Gebilde zusammenbrechen müssen, ehe wieder richtige Wertmaßstäbe gewonnen werden können.

      Durch die Delirien dieser Krise mußte erst die subjektive Aufschwungskraft des wirtschaftlichen Deutschland nach seiner Einigung hindurchgehen, ehe der wirkliche, wohlfundierte Aufstieg begonnen werden konnte. In dieser Krise wurde schon die Spreu von dem Weizen gesondert, und wer sie überlebte, hatte schon halb bewiesen, daß er würdig und fähig war, an den Mühsalen und Früchten des aufsteigenden Weges teilzunehmen. Emil Rathenau gehörte zu jenen, die sich durch das falsche Gold der Gründerjahre nicht hatten blenden lassen. Er hatte seine gewaltige Bejahungskraft, seine Phantasie, die doch nicht weniger lebendig und beweglich waren als die des verwegensten Abenteurers aus der Gründerzeit, vollkräftig und doch fast unbeschädigt durch die Jahre getragen, die rings um ihn von Orgien der Unternehmungslust erfüllt gewesen waren. So war er rein und stark für die kommenden Jahre der Stärke geblieben.

       Inhaltsverzeichnis

      „Als Emil Rathenau seine Siegeslaufbahn begann, war die Elektrotechnik wenig mehr als ein bescheidener Versuch, die großartigen Forschungen der Physik des vorigen Jahrhunderts nützlicher Verwertung zu erschließen. Die Erfindungen trugen noch deutlich den Stempel ihrer Geburtsstätte — es waren Erzeugnisse instrumentaler Technik. Werner v. Siemens, selbst aus dieser hervorgegangen, war der erste, dessen weitschauender Geist die Notwendigkeit erkannte, die Hilfe eines Bundesgenossen, der Maschinentechnik, herbeizurufen, das Studium der Elektrotechnik den Technischen Hochschulen zuzuweisen, und mit dem Maschinenbau auf das Innigste zu verschmelzen. Schwierig war die Aufgabe, die er damit den technischen Hochschulen erteilte, fehlte es denselben doch zunächst an geeigneten Lehrkräften, die mit theoretischem Wissen praktisches Können vereinten. Da brachte Hilfe die schnell sich entwickelnde Technik selber. Hervorragende Maschineningenieure, technische Physik beherrschend, traten in die Werkstätten der Elektrotechnik und wurden bald ihre Lenker und Leiter. Als der ersten einer — Emil Rathenau. Es war ein großes Glück für die deutsche Elektrotechnik, daß ihr neben Siemens ein Mann erstand, von gleichen Überzeugungen beseelt, mit genialer Veranlagung zum Maschineningenieur erzogen, der, zwar nicht mit ihm vereint, wohl aber im edelsten Wetteifer mit ihm gleichen Zielen zustrebte. Dem Wirken dieser beiden Männer verdankt die deutsche Elektrotechnik ihre erstaunlich schnelle Entwicklung.“

      (Prof. Dr. Slaby in einer Festrede zur Feier des 25jährigen Bestehens der A. E. G.)

      Im vorigen Kapitel haben wir gesehen, welche allgemeinwirtschaftlichen Bedingungen Emil Rathenau vorfand, als er am Anfang der 80er Jahre daranging, ein neues Unternehmen aufzubauen. Jetzt soll untersucht werden, wie es mit der Entwicklung der elektrotechnischen Industrie stand, der sich Rathenau zuwandte, weil er auf ihrem Gebiet die größten Zukunftsmöglichkeiten für einen technischen Kaufmann sah.

      Die Elektrotechnik, als Grundlage der Elektrizitäts-Industrie, das heißt einer praktisch-wirtschaftlichen Ausnutzung der Wissenschaft von der Elektrizität ist viel jünger als die Erfindung oder besser als die Findung der galvanischen Kraft. Sie ist ganz und gar ein Kind des 19. Jahrhunderts und setzte zu ihrer Ausbildung die Pionierdienste voraus, die auf allgemein-technischem Gebiete erst die Physik