Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter. Felix Pinner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Pinner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 4064066112011
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des Telegraphenwesens zu widmen, stand nun fest. Er veranlaßte im Jahre 1847 den Mechaniker G. Halske, mit dem die gemeinsame Arbeit ihn näher verbunden hatte, eine Telegraphenbauanstalt zu begründen, in die er nach seiner Verabschiedung aus dem Heeresdienste selbst eintreten wollte. Das Betriebskapital von 6000 Talern lieh ihm ein Vetter, der Justizrat Siemens, der Vater des später so berühmt gewordenen ersten Direktors der Deutschen Bank Georg von Siemens. Die Werkstatt wurde in einem Hinterhaus der Schönebergerstraße in der Nähe des Anhalter Bahnhofs eröffnet. Siemens selbst wollte seine ganze Kraft dem neuen Unternehmen erst widmen, wenn die Generalstabskommission zur Einführung des elektrischen Telegraphen ihre Aufgabe voll erfüllt hatte. So sehr er auch die ihm offenstehende Laufbahn, sich dank seiner beherrschenden Stellung in der Telegraphenkommission allmählich zum Schöpfer und Leiter des preußischen Staatstelegraphen aufzuschwingen, als zu eng, zu wenig selbständig, zu bureaukratisch ablehnte, hier lag doch in der damaligen Zeit noch das Feld, auf dem er am entscheidendsten an der Verwirklichung seiner Pläne mitarbeiten konnte. Bald darauf wurde auch die bereits erwähnte erste unterirdische Telegraphenlinie Berlin-Großbeeren und die oberirdische Linie Berlin-Potsdam fertiggestellt, und von dem freien Blick dieses kaufmännischen Soldaten zeugt es, daß er — im Gegensatz zu den Heeresbehörden — dafür eintrat, daß die neuen Linien nicht nur dem Militär, sondern auch dem Publikum zur Verfügung stehen mußten. Die März-Revolution und der dänische Krieg von 1848 unterbrachen die systematische Arbeit am Telegraphen. Wir sehen Siemens als Kriegstechniker in Kiel, Friedrichsort und Eckernförde, wo er die Verteidigung dieser Seehäfen durch Minensperren — die ersten, die jemals gelegt wurden — und durch Hafenbatterien durchführte. Nach Berlin zurückgekehrt, nahm Siemens die telegraphischen Projekte mit Hochdruck wieder auf. Der brave Halske hatte, unbeirrt durch Revolution und Kriegsgeschrei, seine Telegraphenapparate auch ohne Bestellung weiter fabriziert und dadurch das junge Unternehmen vor dem Zusammenbruch bewahrt. Die Zuversicht sollte sich lohnen. Es gab bald Arbeit in Hülle und Fülle. Eine große unterirdische Telegraphenlinie von Berlin nach Eisenach und eine oberirdische von dort nach Frankfurt, wo damals das erste deutsche Parlament tagte, waren im Auftrage des preußischen Handelsministeriums zu bauen. Die Loslösung des Telegraphen vom rein militärischen Interesse, seine Verwendung im Dienste des Verkehrs war eine Tatsache. Siemens zog nun endgültig den Soldatenrock aus und trat als offener Teilhaber in die Firma Siemens & Halske ein. Die Periode der Versuche, der tastenden Anfänge und kleinen Dimensionen ist überwunden. Die Entwicklung verstärkt, verbreitert, vervielfältigt sich, geht ins Große und trägt die Firma Siemens & Halske zur Bedeutung nicht nur des ersten elektrotechnischen Unternehmens in Deutschland, sondern eines Welthauses empor.

      Neben Telegraphenanlagen wurden bald Läutewerke für Bahnanlagen, Meßinstrumente hergestellt. Der im Jahre 1850 nach Europa gekommene Morse-Apparat wurde von der Firma mit vielen Verbesserungen versehen und zu einer Vollendung gebracht, die ihn über alle früheren Systeme weit hinaushob. Das Absatzgebiet wurde über Deutschland hinaus erweitert. Insbesondere in Rußland verstand es die junge Firma, die im Jahre 1849 immer noch mit 32 Arbeitern auskam, festen Fuß zu fassen; neben kleineren Telegraphenlinien wurden die großen Strecken Petersburg-Warschau, Moskau-Kiew-Odessa, Petersburg-Reval und Petersburg-Helsingfors fertiggestellt. Werner Siemens hatte das Glück, energische und tüchtige Brüder zu besitzen, denen er die Geschäfte im Auslande anvertrauen konnte, was dazu beitrug, den Familiencharakter der Siemensschen Unternehmungen zu wahren, und trotz der notwendig gewordenen Dezentralisation aufrecht zu erhalten. Wie Karl Siemens das russische Geschäft, den technischen Weisungen des genialen Werner folgend, aber kaufmännisch mit einem hohen Grade von Selbständigkeit und Geschick entwickeln konnte, so vermochte Wilhelm Siemens, der früh nach England gegangen war, trotz der starken Konkurrenz in diesem technisch dem damaligen Deutschland überlegenen Lande, eine starke Stellung zu erkämpfen. Er lieferte für den indischen Telegraphen Materialien und Apparate und eröffnete einen lohnenden Fabrikationszweig durch die Konstruktion des nach ihm benannten Wassermessers. Entscheidend wurde die Betätigung in England für die Bedeutung, die sich die Firma Siemens & Halske in der Kabelfabrikation und in der Kabellegung erwerben sollte. Zunächst beschränkte man sich auf die Herstellung von Kabeln und elektrischen Apparaten für die Unterwassertelegraphie, und entwickelte grundlegende Methoden für Kabelprüfung und Fehlerbestimmung. Die erste selbständige Kabellegung für die Linie Kartagena-Oran, die von der französischen Regierung in Auftrag gegeben worden war, aber infolge ungünstiger Formation des Meeresbodens dreimal mißglückte, forderte schwere Opfer, die die Brüder Siemens nicht entmutigten, aber den vorsichtigen, jeder Großzügigkeit baren Halske veranlaßten, die Trennung des Londoner Geschäfts von dem Berliner zu beantragen. Diese erfolgte und das Londoner Geschäft ging unter der Firma Siemens Brothers in den Besitz der Brüder Wilhelm, Werner und Karl über. Das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit dieser Firma für den Bau von Überseekabeln hat nicht getrogen. Im Laufe der Jahre gelang es Siemens Brothers mit einem direkten Kabel von Irland nach Amerika das Monopol eines damals unter den Auspizien Sir William Penders gebildeten Kabelringes zu durchbrechen und andere große Überseekabel in Auftrag zu bekommen. Kein Geringerer als der große Gelehrte Sir William Thomson hatte das erste Siemenskabel geprüft und für fehlerfrei und außerordentlich sprechfähig erklärt. Vorangegangen war die Errichtung einer eigenen Guttaperchafabrik in England, die notwendig wurde, da die einzige englische Fabrik, die bis dahin nahtlos mit Guttapercha umpreßte Drähte nach dem Siemensschen System herstellte, offenbar im Interesse jenes Kabelringes bei der Lieferung von gereinigter Guttapercha an Siemens Brothers Schwierigkeiten gemacht hatte. Die Gesellschaft, die von den Brüdern Werner, Wilhelm und Karl Siemens für den Bau der Kabellinie Irland-Amerika gegründet wurde, mußte ihr Kapital auf dem Kontinent aufbringen, da der englische Markt durch die übermächtige Konkurrenz verschlossen war. Schon vorher hatte der ständig nach neuen Projekten ausschauende Geist Werner Siemens ein anderes gewaltiges Werk ersonnen und ausgeführt. Es handelte sich um nichts geringeres, als um den Bau einer Indo-Europäischen Überland-Telegraphen-Linie, die England über Preußen, Rußland und Persien mit seiner Kolonie Indien verband. Zu diesem Zwecke wurde eine englische Aktiengesellschaft mit einem Kapital von 425000 Pfd. Sterl. gegründet, die sämtliche Konzessionen von den beteiligten Regierungen erwarb und die Linie bis zum Jahre 1869 fertigstellte. Der Bau, die Lieferungen an Materialien und Apparaten und die Unterhaltung der ganzen Linie wurde der Firma Siemens & Halske übertragen, die sich ihrerseits mit einem Fünftel des Aktienkapitals an dem Unternehmen beteiligte. Die Indo-Europäische Überland-Linie und die Kabelgesellschaft Irland-Amerika bilden die ersten Fälle von sogenannten Betriebsunternehmungen, die nicht im fremden Auftrag, sondern auf eigene Initiative von einer Fabrikationsgesellschaft in der elektrischen Industrie gegründet worden sind. Für Werner Siemens sind es Ausnahmefälle geblieben, die nicht einem geschäftlichen System entsprangen, sondern der Verwirklichung technischer und verkehrspolitischer Lieblings-Gedanken dienen sollten, weil diese Verwirklichung auf anderem Wege nicht hätte erfolgen können. Zu den Prinzipien der Firma Siemens & Halske gehörten derartige Eigen-Gründungen durchaus nicht, und wir werden später sehen, daß hier gerade ein Ansatzpunkt für das kaufmännisch anders geartete und modernere System Emil Rathenaus lag.

      Schon der unternehmerische Wagemut, den damals die Firma Siemens & Halske an den Tag legte und der die Grenzen der Firma immer weiter ins Weltwirtschaftliche und Großbetriebliche hinausschob, sagte Halske, dem ersten Sozius Werner Siemens und Mitbegründer der Firma nicht zu. Sein ehrlicher, gediegener, aber immerhin begrenzter und ängstlicher Geist liebte nur Geschäfte, die er überblicken konnte. Wohl fühlte er sich nur in kleineren Dimensionen, das andere schien ihm ein Wagen, das dem Hazardieren verwandt war. Darum schied er im Jahre 1868 aus der Firma, der er in den ersten Jahren ihres Bestehens als geschickter und tüchtiger Feinmechaniker hatte treffliche Dienste leisten können, die ihm aber entwachsen war, seitdem sich die Firma handwerkliche Talente, wie er eins war, zu Dutzenden gegen mäßige Bezahlung halten konnte. An Bedeutung für das Geschäft war Halske schon lange hinter Siemens Jugendfreund William Meyer, der jahrelang die Stellung eines Oberingenieurs und Prokuristen bekleidet hatte, zurückgeblieben. Meyers Nachfolger, der frühere Leiter des Hannoverschen Telegraphenwesens Karl Frischen, überragte als Persönlichkeit Halske noch beträchtlicher. Endlich wuchs in der Person des Herrn v. Hefner-Alteneck, der aus dem jüngeren Schülerstabe Werner Siemens stammend, als Chef des Konstruktionsbureaus tätig war, eine Kraft heran, der als technischer Erfinder in der Folgezeit Bedeutendes leisten sollte und als Konstrukteur