Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter. Felix Pinner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Pinner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 4064066112011
Скачать книгу
den einfachen und soliden Bau, sowie den langsamen und sanften Gang, aber er hatte doch bereits ähnliches gesehen. Viel stärker fesselten ihn die Holzbearbeitungs- und Werkzeugmaschinen für Präzisionsarbeiten, die automatischen Maschinen zur Herstellung von Massenfabrikaten, neuartige und feine Instrumente zum Messen, wie sie die deutschen Fabriken nicht einmal kannten. Auch die Schreibmaschine fand sein lebhaftes Interesse. Im allgemeinen war es die neuartige technische und wirtschaftliche Betriebsökonomie, die arbeitssparenden und leistungsverbessernden Maschinen, die Rathenau in Philadelphia und in den amerikanischen Fabriken bewunderte, während die räumlichen und sozialen Einrichtungen ihm im Verhältnis zu den deutschen vernachlässigt zu sein schienen. Auch die deutsche Industrie hatte damals in Philadelphia ausgestellt, und breite Kreise der öffentlichen Meinung in Deutschland waren patriotisch-kurzsichtig genug, um die „soliden und bewährten“ Leistungen der heimischen Industrie den amerikanischen Bluffkonstruktionen an die Seite oder noch voranzustellen. Wer den Unterschied wahrheitsgemäß feststellte, wie Professor Reuleaux, der von der deutschen Industrie damals das bittere, von unseren Neidern und Konkurrenten noch jahrzehntelang auch dem längst führend gewordenen deutschen Gewerbe entgegengehaltene Wort „billig und schlecht“ prägte, wer erkannte und aussprach, daß die deutsche Fabrikation sich damals zum großen Teil auf Vergangenheitsgleisen bewegte, während in der amerikanischen Industrie die konstruktiven Neugedanken vorwärts stürmten, der wurde „gesteinigt und verbrannt“. Emil Rathenau gehörte weder zu den radikalen Verächtern der Heimat, deren guten Industrieboden, deren schlummernde Entwickelungsmöglichkeiten er wohl würdigte, noch zu den Selbstzufriedenen, die da ständig priesen, „wie wir es so herrlich weit gebracht hätten.“ „Die Schätze der Maschinenhalle blieben mir unvergeßlich,“ so erzählte er und in der Tat hat er sich das, was er dort sah, so tief eingeprägt, daß er es in dem Augenblicke, in dem er davon Gebrauch machen konnte, nur aus der Kammer des Gedächtnisses hervorzuholen brauchte. Im Geiste noch übertrumpft mag die mächtige Phantasie Rathenaus auch die derzeitigen Höchstleistungen des Großmaschinenbaus schon damals haben. Denn was Rathenau zu jener Zeit in Philadelphia sah, war neben dem, was er später an gewaltigen Aggregaten von den Konstrukteuren seiner Drehstrom- und Hochspannungsmaschinen verlangte und erreichte, das reine Kinderspiel.

      Aber so stark auch die Anregungen auf dem Gebiete der Maschinentechnik waren, so sehr sie gerade den gelernten Maschinenbauer reizten und beschäftigten, es war vielleicht zu viel des Neuen, das auf ihn einstürmte und ihm die Wahl schwer machte. „Mir schien, als brauche ich nur ins volle Menschenleben hineinzugreifen, um mir die Fabrikation zu sichern, die mich interessierte,“ schrieb er. Aber die Fülle der Gesichte, die den Schauenden und Lernenden überwältigte, hätte entsagungsvoll eingedämmt und eingeschränkt werden müssen, sobald es ans praktische Ausführen gegangen wäre. Er war ja nicht nur nach Amerika gereist, um zu lernen, sein Wissen zu bereichern und zu vertiefen, sondern auch um eine geschäftliche Idee, eine faßbare Grundlage für eine neue aussichtsreiche Unternehmung mit nach Hause zu bringen. Der frühere Sozius Valentin begleitete ihn auf dieser Reise, und beide waren sich darüber klar, daß sie ihr gutes Geld nicht ausschließlich für eine wissenschaftliche Studienreise ausgeben durften, sondern als einen Spesenbetrag betrachten müßten, den sie sich aus den geschäftlichen Früchten dieser Reise vervielfacht zurückholen wollten. Mehrere amerikanische Städte und Fabriken wurden darum besucht, und es wurde nach einer aussichtsreichen Sache gesucht, die man mit den zur Verfügung stehenden, immerhin nicht unbeschränkten Mitteln und Kräften nach Deutschland verpflanzen könnte. Daß diese Mittel für die gewaltigen Maße einer in Deutschland nach amerikanischem Muster zu errichtenden Großmaschinenfabrik nicht ausreichten, sagten sich die beiden Freunde wohl ohne weiteres. Wenn Rathenau diese notgedrungene Entsagung nicht zu schwer fiel, so war dies darauf zurückzuführen, daß sich noch etwas anderes bot, das ihn technisch kaum weniger fesselte, dazu aber leichter und schneller praktische Erfolge versprach:

      In Philadelphia hatte Rathenau das Telephon und Mikrophon, eine dem Gedanken nach deutsche Erfindung, zuerst praktisch brauchbar ausgeführt in überzeugender Funktion gesehen. „Das Telephon und das fast gleichzeitig mit ihm erfundene Mikrophon haben, vielleicht wegen ihrer verblüffenden Einfachheit, die Bewunderung niemals erregt, die minder bedeutsamen Errungenschaften der Technik zuteil geworden war. Mich elektrisierten förmlich die ingeniösen Apparate...“ Rathenau schwankte, ob er ihre Erzeugung im Großen aufnehmen sollte, aber die Befürchtung, daß einerseits fremde Patente den Absatz ins Ausland erschwerten und andererseits die Herstellung so außerordentlich, so fast handwerksmäßig leicht war, daß sie einen verheerenden Wettbewerb anlocken mußte, ließ ihn vorsichtig sein. Der Kaufmann in Rathenau bändigte eben fast immer die Leidenschaft des technischen Gründers. Er entschloß sich, keine Telephonfabrik zu bauen, sondern nur eine Konzession für eine Berliner Telephonzentrale nachzusuchen, gewissermaßen das Telephon in Berlin in Generalentreprise zu nehmen. Die Stadt Berlin hätte die Sache vielleicht mit ihm gemacht, aber der damalige Polizeipräsident v. Madai wollte die Konzession, die Rathenau brauchte, nicht erteilen. „Das Telephon ist ein Reichsregal,“ entschied Herr v. Madai, und, wenn sich auch später bei der Beratung des Telegraphengesetzes ergab, daß er geirrt hatte, Rathenau fürchtete zu jener Zeit die Scherereien des Instanzenweges und bot dem damaligen Generalpostmeister Stephan, dem Verweser des angeblichen Regals, die Durchführung in Reichsregie an. Aber der sonst so weitsichtige Stephan versagte zunächst. Er stellte sich auf den Standpunkt, den die Verteidiger der Postkutsche der Einführung der Eisenbahnen gegenüber eingenommen hatten und prophezeite, daß eine Telephonzentrale in Berlin höchstens 23 Anschlüsse finden würde. Diesen rückständigen Standpunkt nahm er ein, trotzdem die Postverwaltung damals mit dem telephonischen Überlandverkehr zwischen verschiedenen Ortschaften Versuche gemacht und günstige Erfolge erzielt hatte. Die städtische Schaltzentrale hielt die Postbehörde dagegen für ein unlösliches Problem. Später kam Stephan von selbst auf die Idee zurück, er bot Rathenau an, die Einführung des Telephons im öffentlichen Postdienst auf Reichskosten zu leiten. Rathenau, den inzwischen schon ganz andere Dinge beschäftigt und tiefer in das Wesen der elektrischen Industrie hineingeführt hatten, nahm trotzdem an, weil er sich mit der elektrischen Technik praktisch vertraut machen wollte. Ihre Zukunftskraft hatte ihn inzwischen mit Macht gepackt, um ihn nie mehr loszulassen.

      Den ihm von Stephan übertragenen Auftrag führte er ehrenamtlich aus, ohne eine Vergütung dafür zu beanspruchen oder anzunehmen. Nachdem er die grundlegende Organisation geschaffen hatte, verließ er das Arbeitszimmer im Reichspostamt, das ihm Stephan für die Zeit seiner Tätigkeit im Telephondienste der Post eingeräumt hatte. Da Schwachstromanlagen dem Feinmechaniker mehr Spielraum als dem Ingenieur gewährten, so wandte er sich seinem alten Plan, nach kurzer Übung auf dem Schwachstromgebiete zu der durch die Elektrizität veredelten Technik zurückzukehren, ohne längeres Besinnen wieder zu. An einer Tätigkeit, die ihm innerlich nichts mehr sagte, ihm keine Rätsel mehr aufgab, hielt er nicht fest, auch wenn sie ihm noch so gute geschäftliche Erfolge versprochen hätte.

      An die großartige Verbindung und die gegenseitige Befruchtung der Maschinentechnik und der Elektrizität, die Rathenau auf sein ureigenstes Schaffensgebiet, zu der großen Leistung seines Lebens führen sollten, dachte dieser damals noch nicht. Die gewaltige Weite und Tiefe der zukünftigen Verschwisterung hatte sich vor seinem Auge noch nicht aufgetan, und wenn er auch einige Blicke in die Werkstatt der Elektrizität geworfen hatte, so lag es doch nicht in seiner Absicht, sich zum Meister dieser Werkstatt zu machen, sondern er dachte an Rückkehr zum „veredelten“ Maschinenbau. Der „Dynamo“, der Hauptträger der maschinellen Elektrotechnik, befand sich damals allerdings noch immer in einem primitiven Zustand und ließ die gewaltige Entwickelung, die er bald — besonders auf Grund der Anforderungen nehmen sollte, die Rathenau seinen Konstrukteuren stellte, noch nicht ahnen. Wie so viele technische Erfindungen wurde er nicht aus sich heraus, aus seiner eigenen konstruktiven Idee zur vollen Leistungsfähigkeit entwickelt und ihm dann die Anwendungsmöglichkeit geschaffen, sondern als sich die praktischen Bedürfnisse einstellten und immer größere Ansprüche an ihn stellten, wurden die Heere der Techniker mobilisiert, die besten Ingenieurgehirne aufgeboten, um ihm seine Geheimnisse abzulauschen und ihm die Leistungen abzuringen, die der Anwendungszweck von ihm forderte.

       Inhaltsverzeichnis