Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter. Felix Pinner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Pinner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 4064066112011
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von großer Bedeutung sein werde, so sah er doch auf diesem Gebiete hauptsächlich nur die äußerlich pompöse Bogenlampe, die in den 70er Jahren erfunden worden war, und für die Siemens & Halske in der Hefner-Alteneckschen Differential-Lampe ein besonders gutes Modell besaßen. Die unscheinbarere, aber für die elektrische Beleuchtung viel wichtiger gewordene Glühlampe lehnte Siemens nicht gerade ab. Er ließ sich, als Emil Rathenau mit genialem Blick die großartige Zukunft dieser Lampe erkannt hatte und zu ihrer Einführung in Deutschland die Unterstützung der damals maßgebenden deutschen elektrotechnischen Firma nachsuchte, sogar ziemlich leicht von ihrem Wert überzeugen, aber seine ganze Stellung zur Glühlampe war doch mehr passiv. Sie mußte ihm erst plausibel gemacht, fast aufgedrängt werden. Er riß sie nicht an sich, wie er vor 30 Jahren den Telegraphen an sich gerissen hatte. Auch von der gewaltigen quantitativen Ausdehnungsfähigkeit der Dynamomaschine machte er sich nicht das richtige Bild. Als Emil Rathenau, der in den ersten Jahren seiner Tätigkeit für die Edison-Gesellschaft die Maschinen vertragsgemäß bei Siemens & Halske bauen lassen mußte, von Siemens bis dahin unerhört große Maschinentypen verlangte, sah ihn der große Konstrukteur verwundert, und fast geringschätzig wie einen überspannten Dilettanten an, und sagte ihm: „Gewiß, bauen kann ich Ihnen solche Maschinen, aber gehen werden sie nicht.“ Emil Rathenau ließ die Maschinen schließlich aber doch bauen, und sie gingen nicht nur, sondern es gingen auch noch solche, neben denen sich seine ersten heute als Zwerge ausnehmen würden. Emil Rathenau reichte als positiver Techniker auch nicht entfernt an Werner v. Siemens heran, aber in diesen Dingen und zu diesen Zeiten hatte er den größeren technischen Weitblick.

      Auch im Kaufmännischen ging Werner v. Siemens nicht ganz mit der aufkommenden neuen Zeit mit, wenngleich ein Unternehmen, wie das von Siemens & Halske naturgemäß genug innere Triebkraft und Elastizität besaß, um seine Stellung — allerdings hier und da nach einigem Zaudern — allen Methoden der Konkurrenz gegenüber zu verteidigen, und wo es nottat, sich ihnen anzupassen. Einrosten ließ diese Firma ihren Betrieb auch auf der Höhe der Entwicklung nicht, lebendig blieb ihr Geschäft auch in der Folgezeit, aber das Bahnbrechende ging doch in mancher Hinsicht verloren. Das Kämpfen wurde nicht verlernt, aber doch das Angreifen und Erobern. Die Zeiten, in denen Werner Siemens nacheinander sechs Außenseiterlinien gegen den englischen Kabelring aufbot, und immer eine neue Linie begann, wenn sich der Ring mit der früheren verglichen hatte, wichen ruhigeren Perioden, in denen nicht das Erringen des Besitzes, sondern seine Wahrung dem Ganzen den Stempel aufdrückte. Das lag sozusagen an der zunehmenden „Klassizität“, in die sich Werner v. Siemens hineinwuchs. Der Grundzug seines Wesens war ja nie loderndes Temperament, heiße Flamme gewesen, wie sie manchmal auch Grauköpfe noch zu Ausbrüchen, Überraschungen, Neuerungen bringen mögen. Die ruhige Wärme, die gleichmäßige Kraft, die seiner ganzen Natur eigen war, gaben seinem reifen Alter etwas Zurückhaltendes, in sich Geschlossenes, manchmal Abweisendes. Eine gewisse — wenigstens äußere — Abkühlung war bei Menschen seines Schlages mit den zunehmenden Jahren nicht zu vermeiden. Wir haben bereits früher einmal gesagt, daß Werner v. Siemens in der Mitte zwischen Wissenschaft und Technik stand und durch die eine die andere zu erobern trachtete. In seinen späteren Jahren suchte er immer tiefer von dem Technischen in das Wissenschaftliche vorzudringen, und wie ernst seine Wissenschaftlichkeit nicht nur war, sondern auch von der Zunft und ihren Königen genommen wurde, zeigt sich darin, daß Männer wie Magnus, Dove, du Bois und Helmholtz ihm eng befreundet waren und ihn durchaus als ihresgleichen betrachteten. Du Bois-Reymond sagte von ihm, daß er nach Beanlagung und Neigung in weit höherem Maße der Wissenschaft als der Technik angehöre und Werner Siemens war mit dieser Charakteristik durchaus zufrieden. Er wurde philosophischer Ehrendoktor, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, und war als solches nicht nur genötigt, sondern auch gern bereit, sich über Probleme der angewandten technischen Wissenschaft hinaus, auch mit rein naturwissenschaftlichen Untersuchungen und Arbeiten allgemeiner Art zu beschäftigen. Diese Beschäftigung und dieser Umgang mußten auch auf die kaufmännische Seite seiner Tätigkeit zurückwirken. Er wurde als Kaufmann sehr vornehm, und als der alte Kaiser Wilhelm ihm durch die Ernennung zum Kommerzienrat eine Ehre erweisen wollte, bemerkte er ablehnend zu dem Beauftragten des Monarchen: „Premierleutnant, Dr. phil. honoris causa und Kommerzienrat vertrügen sich nicht, das mache ja Leibschmerzen.“ — Es wäre indes völlig falsch, wenn man Werner Siemens, wie dies hier und da geschehen ist, kaufmännische Talente und Neigungen absprechen wollte. Er besaß sie in hohem Maße, wie sich schon in seiner ersten Periode der technischen Erfindungen, für die er mit großer Geschäftsgewandtheit noch als Offizier sofort die richtige kaufmännische Ausnutzung zu finden wußte, hinlänglich gezeigt hat; wie noch stärker die spätere meisterhafte Ausnutzung aller nationalen und internationalen Kaufmannschancen bewies. Man vergleiche damit z. B. die Weltfremdheit, mit der ein Gauß auf jede kommerzielle Verwertung seines Telegraphen verzichtet hatte, man vergleiche damit auch moderne Erfinder, wie Nernst, Röntgen, Ehrlich usw., die zwar — im Zeitalter der technischen Ausnutzung — sehr wohl verstanden, Industrielle für ihre Entdeckungen zu interessieren und Kapital aus ihnen zu schlagen, aber trotzdem Gelehrte gewesen und geblieben sind. Werner Siemens war — das kann man auch seiner eigenen anders lautenden Ansicht gegenüber aufrecht erhalten — im Kerne seines Wesens vor allem nicht nur praktischer Techniker, sondern auch praktischer Kaufmann. Er beherrschte nicht nur die großen, sondern auch die kleinen kaufmännischen Mittel und konnte nicht nur klug, sondern auch gerissen sein. Erst nachdem er sich in diesen Richtungen so weit ausgelebt hatte, als es die Bedingungen seiner Zeit und seine Veranlagung erlaubten, gab er der dritten Fähigkeit seiner reichen Natur freie Bahn, die vielleicht nicht die innerste, aber doch die innerlichste seines Wesens war, in der er am reinsten und klarsten zu einer Vertiefung und Sammlung seiner Gedankenarbeit, zu einem einheitlichen, geschlossenen Wissensbild, zu einer Klarheit über sich, die Wurzeln und Kräfte seiner Welt gelangen konnte. Diese Verinnerlichung und Veredelung seines Wesens, die gewiß nur wenig mit Akademikerstolz, mit geschmeichelter Eitelkeit des wissenschaftlich Anerkannten zu tun hatte, ehrt den Menschen Siemens gewiß; diese schließliche seelische Intensivierung ist keine geringe ethische Leistung für einen von Hause aus praktisch veranlagten Menschen, dessen Leben lange Zeit im Zeichen der äußersten, vielgestaltigsten Expansion gestanden hatte. Dem industriellen Kaufmann und seinem Unternehmen hat sie naturgemäß nicht in gleicher Weise zum Vorteil gereicht.

      Die Starkstromtechnik brachte bald das zu Wege, was in den Zeiten der Schwachstromtechnik — wenigstens in Deutschland — nicht gelungen war. Es entstand neben Siemens & Halske eine ganze Reihe von Unternehmungen, die sich im industriellen Großbetrieb der Elektrotechnik zuwandten. Auf dem Gebiete des Telegraphen und des Kabels hatten die Verhältnisse so gelegen, daß zur Gründung von Betrieben, die den Bau von großen Telegraphenlinien und Kabelverbindungen für fremde oder auch für eigene Rechnung unternehmen wollten, umfangreiche Kapitalien und eingehende Erfahrungen nötig waren. An solche Aufgaben traute man sich in Deutschland, besonders angesichts des Vorsprungs, den Siemens & Halske darin erworben hatten, nicht heran. Für die Herstellung von Apparaten, Instrumenten und Materialien der Schwachstromindustrie genügten aber kleinere Mechanikerbetriebe, die der großgewerblichen Methoden entraten konnten, da es auf die feinmechanische Arbeit, nicht auf die Maschinentechnik ankam. Dies wurde mit einem Schlage anders, als die Starkstromtechnik auf dem Plane erschien. Dynamomaschinen, elektrische Lampen usw. ließen sich nur in fabrikmäßigen Betrieben herstellen. Hierzu waren aber weder — wenigstens in der ersten Zeit — besonders große Kapitalien nötig, noch war die weit überlegene Konkurrenz älterer Fabriken zu überwinden. Die Firma Siemens & Halske mußte hier genau so von vorn anfangen, wie alle anderen Fabriken, und es gab eine ganze Menge von Fachleuten, die in der Maschinentechnik ebenso große, vielleicht noch größere Vorkenntnisse besaßen, als die Ingenieure dieser Firma. Gegen Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre entstanden infolgedessen mehrere elektrotechnische Fabriken, die sich vornehmlich der Starkstromindustrie zuwandten. Von ihnen sind besonders zu erwähnen die Elektrizitätsgesellschaft vorm. Schuckert und die Deutschen Elektrizitätswerke Garbe, Lahmeyer & Co., die später in die Kommanditges. und schließlich in die Elektrizitäts-Aktiengesellschaft W. Lahmeyer & Co. überführt wurde. Ihre Entstehung hat mit der Lichtelektrizität, die — ihrerseits vorbereitet durch die Konstruktion der Dynamomaschine — wiederum eine Reihe weiterer Unternehmungen wie die Deutsche Edison-Ges. (A. E. G.), die Helios-Elektrizitäts-Ges., die Elektrizitäts-Akt.-Ges. Kummer ins Leben rief, noch nicht viel zu tun. Jene Gründungen