Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter. Felix Pinner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Pinner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 4064066112011
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geheimnisvollen Kraft wurde halb durch Zufall getan. Lange Zeit ging die herrschende Ansicht dahin, daß die magnetischen und elektrischen Erscheinungen nicht miteinander zusammenhingen. Ein dänischer Physiker Hans Chrystian Oersted entdeckte 1820 das Prinzip des Elektromagnetismus, indem er bemerkte, daß eine auf seinem Experimentiertische befindliche Magnetnadel durch galvanischen Strom abgelenkt wurde. Deutsche, französische und englische Forscher warfen sich bald darauf mit intensiver Energie auf das neue Gebiet der Wissenschaft und suchten die schmale Eingangspforte durch systematische Arbeit zu erweitern. Während man auch nach der Entdeckung Oersteds zunächst noch an der Ansicht festhielt, daß nicht die Elektrizität, sondern der Magnetismus die einfachere, grundlegende Kraft sei, begründete Ampère die Theorie, daß das Grundphänomen das elektrische sei und daß alle Äußerungen des Magnetismus auf elektrischen Strömen beruhten, eine Theorie, die als erwiesen gelten konnte, nachdem gezeigt worden war, daß durch elektrischen Strom ein Magnetfeld erzeugt werden konnte. Damit war die industriell so außerordentlich fruchtbar gewordene Einwirkung der elektrischen Kraft auf den Grundstoff aller modernen industriellen Betätigung, das Eisen, festgestellt, das die Eigentümlichkeit besitzt, durch einen elektrischen Strom sehr kräftig magnetisiert zu werden. Gauß und Weber gelangten auf Grund ihrer Arbeiten im Jahre 1833 zur Erfindung des elektrischen Telegraphen und stellten bald darauf die erste telegraphische Verbindung auf eine kurze Strecke — zwischen ihren beiden Arbeitsstätten in Göttingen — her. Damit schien die deutsche Forschung, nachdem sie dieses eminent praktische Problem wissenschaftlich gelöst hatte, sich zunächst begnügen zu wollen. Für eine praktische Ausnutzung fehlte es in Deutschland damals an einer entwickelten Industrie und gerade umgekehrt wie bei späteren großen Erfindungen, die im Auslande gemacht, aber in Deutschland systematisch-praktisch durchgebildet wurden, ließ man bei den ersten epochemachenden Entdeckungen auf dem Gebiete der Elektrotechnik die grundsätzlichen Erkenntnisse der Wissenschaft ohne Folgen. Wie später auch das von dem deutschen Physiker Philipp Reis erfundene Telephon wurde der elektrische Telegraph in Amerika entwickelt. Schon im Jahre 1835 konstruierte der Amerikaner Samuel Morse den nach ihm benannten Fernschreibapparat, auch andere Amerikaner und Engländer, wie Wheatstone und Coke befaßten sich erfolgreich mit der Ausbildung des Telegraphen. Im Jahre 1844 wurde die erste öffentliche Telegraphenleitung zwischen Washington und Boston eingerichtet und dem öffentlichen Verkehr zugänglich gemacht. Die verkehrstechnische Entwicklung des Telegraphen schritt nun mit schnellen Schritten fort. In Amerika, wo besonders große Entfernungen zu überwinden sind, war das Bedürfnis nach rascher Nachrichtenübermittelung naturgemäß am stärksten, und der praktische Sinn überdies am schnellsten bereit, die Errungenschaften der Technik nutzbar zu machen. Aber auch Europa rührte sich. England, Frankreich und Deutschland vermochten sich der Bedeutung nicht zu entziehen, die der Telegraph für das ganze wirtschaftliche, soziale und politische Leben gewinnen mußte. Die Welt war damals bereits aus dem handwerklichen in das maschinelle Zeitalter getreten, und sie rückte auch immer entschiedener in das Zeichen des Verkehrs. Im Jahre 1838 war die erste Eisenbahn in Deutschland fertiggestellt worden, nun folgten allenthalben neue Schienenwege, und die Eisenbahnverwaltungen erkannten bald die Vorteile, die es ihnen bot, ihre Linien von telegraphischen Leitungen begleiten zu lassen. So trafen sich die Bedürfnisse der maschinellen Verkehrstechnik mit denen der elektrischen. Der erste Anstoß für die Einführung des Telegraphen kam in Preußen allerdings nicht von der verkehrspolitischen, sondern von der militärischen Seite her. Die Kommission des preußischen Generalstabes für die Einführung der elektrischen Telegraphen übertrug im Jahre 1847 dem Artillerieleutnant Werner Siemens die Herstellung einer unterirdischen Telegraphenlinie von Berlin nach Großbeeren zu Versuchszwecken. Eine glücklichere Wahl hätte die Militärbehörde nicht treffen können. Damit wurde zum ersten Male der Mann mit der Lösung einer bedeutsamen Aufgabe betraut, der zu den größten technischen Konstrukteuren aller Zeiten gehörend, die Entwicklung der elektrotechnischen Industrie in ihrer ersten, grundlegenden Periode anregen, führen und verkörpern sollte wie kein zweiter in Deutschland, wie nur wenige andere in der ganzen Welt. In der Mitte zwischen technischer Wissenschaft und Praxis stehend, war es Werner Siemens in einer Zeit, in der eine tiefe Kluft zwischen der Theorie und der ausübenden Technik gähnte, vergönnt, sich beide Gebiete ganz zu eigen zu machen, auf beiden Gebieten Gedanken aus erster Hand, von primärem Wert und schöpferischer Auswirkung zu prägen und miteinander zu verschmelzen. Die eiserne Folgerichtigkeit seines technischen Denkens, und die nie ermüdende und nie abschweifende Konstanz seiner Arbeit ermöglichten es ihm, die fruchtbaren Gedanken zur industriellen Reife zu entwickeln. Kein schnelles Blitzlicht, das hier und dorthin springend dunkle Gebiete der Forschung einen Augenblick erhellt und es dann anderen oder auch dem Zufall überläßt, sie dauernd aufzuklären, sondern eine ruhig brennende Flamme, die sich von dem zu erforschenden Gegenstand nicht früher abkehrt, bis sie ihn von allen Seiten abgeleuchtet hat. Nicht so geniefunkelnd, experimentell-geistreich und vielseitig wie der amerikanische „Zauberer“ Thomas Alva Edison, aber nicht weniger finderisch als dieser. Der ernste Kopf, das tiefe Auge, die feste Hand des Niederdeutschen, eine Natur, die mit einer Sache ringt und sie nicht läßt, bevor sie sich ihm ergeben hat. Gewiß, auch Werner Siemens fehlte manches, wovon später noch zu reden sein wird. Aber es war vielleicht gut, daß ihm dieses fehlte, wofür in seiner Zeit die Bedingungen wenigstens in Deutschland noch nicht vorhanden waren, was ihn möglicherweise in der Sicherheit seines Wesens und Wollens nur beirrt, in der Gradlinigkeit seines Schaffens zersplittert hätte. Gerade dadurch, daß Werner Siemens die Möglichkeiten und Forderungen seiner Zeit so völlig erschöpfte, erschöpfte er sich in ihnen, ging die Entwicklung schließlich über ihn hinweg, vermochte er sich einer anderen Zeit nicht mehr so recht anzupassen.

      Werner Siemens wurde im Jahre 1816 in Lenthe in Hannover als Sohn eines Gutspächters geboren. Schon den jungen Gymnasiasten drängten Begabung und Neigung zur Technik. Da das Studium auf der Bauakademie, dem damals einzigen technischen Lehrfach, dem Vater zu kostspielig war, wurde auf Anraten eines Freundes der Familie ein Kompromißweg gefunden. Werner Siemens sollte preußischer Pionieroffizier werden, wo er Gelegenheit haben würde, dasselbe zu lernen wie auf der Bauakademie. Wie so viele strebsame Jünglinge aus den deutschen Mittel- und Kleinstaaten wandte sich Siemens nach Preußen. „Der einzige feste Punkt in Deutschland ist jetzt der Staat Friedrichs des Großen und die preußische Armee,“ sagte ihm zustimmend der Vater, als er seinen Entschluß zu erkennen gab. Werner Siemens wurde aber nicht Pionier-, sondern Artillerieoffizier, da ihm gesagt wurde, daß er als solcher bedeutend bessere militärische Aussichten und dieselbe technische Vorbildung haben würde. Die Zeit auf der Artillerie- und Ingenieurschule nutzte der junge Mann in ernster Weise aus, auch als Offizier in verschiedenen preußischen Garnisonstädten befaßte er sich mit wissenschaftlichen Studien und Experimenten. Die Erfindung Jacobis, Kupfer in metallischer Form durch den galvanischen Strom aus reiner Lösung von Kupfervitriol niederzuschlagen, veranlaßte ihn, sich im Jahre 1840 mit der Galvanisierung zu beschäftigen. In der Zitadelle von Magdeburg, in der er eine ihm wegen Sekundierens beim Duell auferlegte Festungshaft absolvieren sollte, richtete er sich, ganz zufrieden mit der ihm ermöglichten Muße, ein Laboratorium ein, und es glückte ihm, ein neues Verfahren galvanischer Versilberung und Vergoldung zu entdecken. Der praktische Sinn des jungen Offiziers äußerte sich darin, daß er, obwohl als Militär in der Wahl der Mittel zur Einleitung von Geschäften sehr beschränkt, darauf bedacht war, aus seiner Erfindung Kapital zu schlagen. Es gelang ihm, mit der Neusilberfabrik J. Heninger einen Vertrag abzuschließen, auf Grund dessen er dieser eine Anstalt für Vergoldung und Versilberung nach seinen Patenten gegen Gewinnbeteiligung einrichtete. Seinen Bruder Wilhelm schickte er nach England, damit er dort den Versuch mache, die elektrolytischen Patente und das später erfundene Verfahren der Vernickelung zu verwerten. Diesem glückte es auch, die Patente für 1500 Pfd. Sterl. an eine englische Firma zu verkaufen. Bald lenkten größere Aufgaben das Interesse Werner Siemens auf sich. Er beteiligte sich an den Versuchen, die Leonhardt im Auftrage des Generalstabes der preußischen Armee über die Frage der Ersetzbarkeit der optischen Telegraphie durch elektrische anstellte. Siemens konstruierte einen Zeigertelegraphen mit Selbstunterbrechung, dessen Herstellung er einem jungen Mechaniker namens Halske anvertraute. Kurze Zeit später fand er in dem damals neu auf dem englischen Markte erschienenen Guttapercha ein ausgezeichnetes Isolationsmaterial für unterirdische elektrische Drahtleitungen, wie sie damals angesichts der herrschenden Meinung, daß oberirdische Leitungen zu leicht der Zerstörung ausgesetzt seien, für allein anwendbar gehalten wurden. Er stellte ferner auch eine Schraubenpresse