Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter. Felix Pinner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Pinner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 4064066112011
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auch ohnedies erfolgt wäre, so ist sie doch durch den mißglückten Aufschwung und den darauf folgenden Zusammenbruch, mit denen die Rathenau-Valentinsche Fabrik der Zeitentwicklung Rechnung trug, beschleunigt worden. Inzwischen war die Krisis hereingebrochen, und für einen halbverkrachten Unternehmer, als der Rathenau damals in den Augen der Öffentlichkeit erscheinen mußte, war es nicht leicht, etwas Neues und Besseres zu finden, das ihm voll zusagte. Vom Standpunkt der damals nächstliegenden Situation aus beurteilt war das vielleicht ein „Pech“, vom Standpunkte der langsichtigen Entwickelung aber ein Glück für den innerlich noch nicht Ausgereiften. Hätte er seine erste Fabrik vor oder in den Gründerjahren aufgegeben, so würde die hochflutende Welle der Konjunktur ihn vielleicht schnell wieder an irgend einen anderen Strand geführt haben. Von dem hochgestimmten, der Selbstkritik und der Kritik der Dinge abholden Schwunge der Zeit getragen, würde er vielleicht — wie so viele andere auch — Arbeit und Kredit in einer Sache engagiert haben, der es an solider Grundlage und dauernder Lebensfähigkeit fehlte. Selbst eine in der Anlage gute Sache hätte von der Sturmflut der wenig später hereinbrechenden Krisis untergraben und fortgespült werden können. Ein zweites Mißlingen hätte ihm aber innerlich und äußerlich zweifellos noch schwerer geschadet, hätte sein Selbstvertrauen und das Vertrauen, das andere ihm entgegenbrachten, völlig erschüttern können. So war es wohl für ihn am besten, daß er, der innerlich noch nicht fertig geworden, der noch nicht im Feuer des doppelten Kampfes mit sich selbst und mit der Außenwelt dreimal gehärtet war, nach der Aufgabe seiner ersten Selbständigkeit in eine Zeit geriet, die aus Erfahrung kritisch geworden war, die ein berechtigtes Mißtrauen vor neuen Gründungen und Unternehmungen hatte. Im Jahre 1875 war die Auflösung der „Berliner Union“ vollendet, und nun tat der siebenunddreißigjährige Rentier, der seinen wahren Beruf noch nicht gefunden hatte, eigentlich 8 Jahre, — sonst die produktivsten Jahre des Manneslebens — nichts Bestimmtes, wenn man eben für das unablässige Suchen und das leidenschaftliche Lernen eines reifenden Charakters den Ausdruck „nichts Bestimmtes tun“ gebrauchen will. Die Familie, besonders die weitere, die Reichenheims und Liebermanns, die etwas hinter sich gebracht hatten, deren gefestigter Wohlstand sich von dem Aufschwung der Gründerzeit vornehm zurückgehalten hatte, aber auch von den Folgen des Zusammenbruches verschont geblieben war, gebrauchte wahrscheinlich solche Ausdrücke, und vielleicht — wenn sie unter sich war — noch weniger respektvolle. Für sie war Emil Rathenau der kleine Verwandte, der Fiasko erlitten hatte, der sich mit einer Menge von nicht ernstzunehmenden Projekten herumtrug und herumschlug, dem man darum auch keine rechte Zukunft zutraute. Emil Rathenau schwankte und irrlichtellierte in dieser Zeit tatsächlich ziemlich viel hin und her. Er faßte Pläne, ließ sie wieder fallen, erwärmte sich anfänglich für irgend einen ihm von den Brüdern oder Fremden zugetragenen Vorschlag, und lehnte — manchmal im letzten Augenblick — wenn der andere sich schon darauf eingerichtet hatte, aus irgend einem eigensinnigen oder nebensächlichen Vorwande ab. Sein älterer Bruder zum Beispiel, der eine glückliche Hand bei dem Kaufe und Wiederverkauf von Häusern zeigte, hatte ihn einmal zur Teilnahme an einem derartigen Geschäft, das Rathenau von ferne zunächst einen plausiblen Eindruck zu machen schien, aufgefordert. Man war übereingekommen, 80000 Taler für das Objekt anzulegen, der Bruder hatte das Grundstück aber nur zu einem höheren Preise bekommen können und Emil, dem das ganze seinem Charakter fernliegende Geschäft inzwischen leid geworden war, benutzte den Vorwand des überschrittenen Preises, um sich von der Sache loszusagen. „Behalte du das Haus lieber alleine,“ sagte er zu dem Bruder, der ihm den Kaufabschluß melden kam. Ein anderes Mal, als es sich um den von Rathenau eine Zeitlang erwogenen Ankauf der sogenannten Jablochkoff-Patente für elektrische Bogenlampen-Beleuchtung handelte, die in der Avenue de l’opéra in Paris mit vielem Reklame-Tam-Tam als erste elektrische Straßenbeleuchtung größeren Umfangs angewendet worden war, erwog er mit demselben Bruder den Plan, daß jeder zum gemeinsamen Ankauf jener Patente für Deutschland einen Teil des erforderlichen Geldes beschaffen sollte. Auch hier kam es aber nicht zum Kaufabschluß, und die Verstimmungen, die sich aus diesen gescheiterten Unternehmungen ergaben, waren so stark, daß eine Aussöhnung zwischen den beiden Brüdern nie mehr erfolgte.

      Für die Menschen, die ihn damals sahen und kannten, soll Emil Rathenau, wie manch’ einer von den Zeitgenossen berichtet, keineswegs den Eindruck eines überragend genialen Mannes gemacht haben, dessen Stunde noch nicht gekommen ist, und der im vollen Bewußtsein seiner Kraft den richtigen Augenblick für sein Hervortreten abwartet. Er trug noch immer den Marschallstab im Tornister, aber der Durchschnittsmensch sah es ihm nicht an, und er hatte, wo und wann er auch immer mit Plänen an jemanden herantrat, Mißtrauen oder die noch schlimmere Gleichgültigkeit, kurz alle jene Hemmungen zu überwinden, die dem Anfänger, erst recht aber dem, der zum zweiten Mal anfangen will, im Wege stehen. Nur wer selbst mit Genieaugen Menschen und Dingen durch die äußere Schale auf den Grund blickte, wie Werner v. Siemens, spürte aus Rathenaus Reden und Entwürfen den göttlichen Funken überspringen. „Dem Mann geben wir Geld,“ sagte er, und machte sein Versprechen trotz skeptischer Einwände und passiver Resistenz seiner Mitarbeiter schließlich wahr. Für die meisten übrigen Menschen aber mochte Rathenau, der stets bereitwillig die Lippen von dem überfließen ließ, wessen sein Herz voll war, in jener Zeit manche Züge von Hjalmar Ekdal, dem ewigen Genie von morgen, an sich gehabt haben. Eine gewisse leidenschaftliche Beflissenheit und Verbissenheit konnten dem werdenden Genius eigen sein, aber dieselben Eigenschaften weist auch häufig die problematische Natur auf. Auch für Rathenau selbst war die Wartezeit zwischen der ersten provisorischen Unternehmung, die im Niedergang einer alten, überlebten Epoche zerbröckelte, und der zweiten endgültigen Schöpfung, die im Aufstieg einer neuen Zeit sich zu weltenweiten Formen auswuchs, keineswegs immer die bewußt gewählte, in jedem Augenblick gut ausgefüllte Ruhe- und Lernpause, als die sie in den Rückblicken des Vollendeten erscheint. Gar manchmal, wenn der Akkumulator des phantasiebegabten Kopfes zu viel von der aufgespeicherten Gedankenkraft von sich gegeben und sich erschöpft hatte, kamen Stunden und Tage der Verzagtheit, der Trübsal, in denen der beschäftigungslose Vierziger sich in seine Wohnung in der Eichhornstraße mit grauen Gedanken einspann. Aber solche Zeiten wurden von der ihm eigenen Schwungkraft des Wesens bald überwunden, und im Notfalle half die Ablenkung und Abwechselung einer Reise, wie denn Emil Rathenau Zeit seines Lebens vom Reisetrieb beseelt war und auch in den späteren Jahren der Arbeitsüberlastung aus geschäftlichen und privaten Reisen — mochten sie auch noch so kurz sein — immer wieder Frische und Nervenergänzung mit heim brachte. Wenn somit den in der Vollkraft der Jahre stehenden Mann die Tatenlosigkeit manchmal drückte, so zeigt doch seine ganze spätere Entwickelung, besonders die Art, wie er im richtigen Augenblick mit genialer Intuition und unbeirrbarer Entschlossenheit zugriff und alle Zweifelsucht von sich abstreifte, daß nicht er es gewesen war, der in jener Warteperiode an Ziellosigkeit, an Stagnation krankte, sondern die Zeit. Jene Zeit, in der die Triebkräfte der alten Wirtschaftsordnung abgestorben waren und die der neuen Epoche nach dem ersten überschwänglichen Aufflackern in der Gründerperiode noch nicht so recht Wurzelboden gefunden hatten. Rathenau wartete — innerlich betrachtet — nicht aus Unentschlossenheit, sondern aus Prinzip, und, wenn seine oberflächlichen Einsichten auch manchmal vielleicht ihn selbst der hamletischen Charakterschwäche anklagen mochten, die instinktiven, tieferen Einsichten waren stark genug, um sich dieser Selbstkritik und der Kritik der Außenwelt gegenüber durchsetzen zu können. Es waren nicht Jahre der inneren Klarheit, der bewußten Selbstzügelung und überlegenen Voraussicht, die Emil Rathenau damals durchmachte, sondern Jahre des inneren Kämpfens und Ringens. Mit dieser Feststellung setzt man die Größe des Mannes und seines Charakters nicht herab, dessen Bild weder menschlich-richtig, noch glaubhaft erscheinen würde, wenn man ihm nur geniale Frühzüge andichten wollte. Zu seiner vollen Entfaltung ist Rathenau, wie so viele seiner Zeitgenossen, erst dadurch gelangt, daß die Zeit sein Werk und sein Werk ihn zu einer Höhe trug, die er unter weniger glücklichen Bedingungen kaum erreicht hätte. Was er vorher darstellte, war ein Charakterboden, auf dem alle die reichen Saaten der Zeit Wurzel fassen und in reicher Blüte aufgehen konnten.

      Der Fehler mancher früheren Biographen, den jungen Rathenau zu bewußt, zu klar und gewissermaßen zu seherisch-weise darzustellen, ist vom Standpunkt des nachgeborenen Betrachters verständlich und er ähnelt der Art der dichterischen oder zweckhistorischen Schilderung, die ihrem Helden bereits pränumerando Gedankengänge und Ereignisdarstellungen prophetisch in den Mund legt, welche erst viel später als Ergebnis von Notwendigkeiten, Zufällen,