Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter. Felix Pinner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Pinner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 4064066112011
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Praxis, aber wohl das breite Zwischengebiet, das zwischen diesen beiden Exponenten liegt. Er hatte das Gefühl dafür, welche Erfindung nottat, und wußte wohl auch die Richtung ungefähr zu treffen, in der sie zu gewinnen war. Er verstand es auch trefflich, die vielen kleinen und großen Hindernisse zu beseitigen, die auf dem Wege von der prinzipiell gelungenen Konstruktion bis zu ihrem glatten und geschäftlich rationellem Funktionieren in der Praxis wie Steingeröll auf einer schon tracierten, aber noch nicht applanierten Chaussee zu liegen pflegen. Aber die Chaussee zu bauen vermochte er nicht. Dazu fehlte es seinem technischen Sinn an gleichmäßiger Kraft, seiner Arbeit an Freiheit und Selbständigkeit. Darunter scheinen auch seine konstruktiven Versuche in der Maschinenfabrik gelitten zu haben. Gänzlich neue Gebilde vermochte er nicht zu schaffen. Damals bemächtigte sich seiner zeitweilig sogar eine gewisse Resignation hinsichtlich der Entwickelungsfähigkeit des Maschinenbaus überhaupt, und seinem Sozius klagte er in der beginnenden Stimmung des Überdrusses an dem ewigen Kreislauf des kleinen Betriebes, daß die Kolbendampfmaschine in allem Großen und Wesentlichen wohl für alle Zeiten festgelegt sei, und an ihr höchstens mittlere und kleine Verbesserungen noch erreicht werden konnten. Es war schon nach einigen Jahren ersichtlich, daß die Tätigkeit in der Maschinenfabrik dem ruhelos schweifenden Geist Rathenaus, der Entwickelungsfeld, Weite und die Möglichkeit des vollen Schaffens vor sich sehen mußte, keine dauernde Befriedigung zu bieten vermochte. Wäre Emil Rathenau eine Durchschnittsnatur gewesen, ein Mensch, dem es genügt hätte, einen guten und entwickelungsfähigen Wohlstand zu gründen, so würde er in der Chausseestraße zufrieden geblieben sein, mit der Aussicht, es vielleicht allmählich zu einer Position zu bringen, wie sie seine Verwandten Liebermann sich geschaffen hatten. Das Gefühl und der Wert des Erwerbens und Besitzens haben aber Rathenau in seiner Handlungsweise nie geleitet. Gelderwerb war ihm eine Begleiterscheinung der Arbeit und ein äußeres Zeichen für ihren Erfolg. Persönlich bedürfnislos, ohne Sinn für Wohlleben und Luxus, auch in der Zeit des Reichtums noch dem Geld mit kleinbürgerlichen Gefühlen gegenüberstehend, so ist er allezeit geblieben. Nur die Seligkeit des Schaffens war es, die ihn beflügelte und befriedigte. Seinem Werke diente er, weil er in dem Werke und mit ihm wachsen, sich ausleben konnte, nicht weil er durch Geld genießen und Macht üben wollte. Es ist kein Wunder, daß einen so gearteten Menschen nach wenigen Jahren ruhigen Wirkens im gemäßigten Klima Überdruß und Unrast überfielen. Nicht lange vermochte er sie sich und den Seinen zu verbergen. „Lassen Sie mich heraus,“ bat er den Sozius, Valentin. „Behalten Sie mein Geld im Geschäft, ich will keinen Pfennig heraushaben.“ — „Aber warum wollen Sie unser gutes Unternehmen, unsere harmonische Zusammenarbeit im Stich lassen?“ fragte bekümmert der Freund. „Ich finde darin keine Zukunft für mich, ich komme mir auch manchmal unseren Kunden gegenüber wie ein Betrüger vor. Unsere heutigen Maschinen verbrauchen viel mehr Kohlen, als sie dürften. Die Abnehmer rügen es nicht, aber gerade deswegen drückt es mich. Gewiß sind unsere Fabrikate nicht schlechter als die anderer Firmen. Das ganze Niveau ist zu niedrig. Es müßte gehoben werden, aber in einer Fabrik wie unserer, mit unseren Mitteln muß ich daran verzweifeln, es heben zu können.“ So sprach Rathenau, zuerst aus vorübergehenden Stimmungen heraus, die Valentin zurückzudrängen versuchte. „Ich will Ihre Stimmungen und Verstimmungen nicht benutzen, um mich zu bereichern. Wenn Sie aus der Firma herausgehen, bleibe auch ich nicht. Dann liquidieren wir eben oder verkaufen die Fabrik gemeinsam.“ Der Gedanke, den Sozius und Freund der ihm lieb gewordenen Unternehmung zu entziehen, hielt Rathenau dann wieder eine Zeitlang von seinem Vorhaben zurück. Aber die Stimmungen wurden immer düsterer, die Klagen immer dringlicher. „Es ist die typische Veränderungssucht der Rathenaus, ihr Mangel an Sitzfleisch,“ so urteilte vielleicht die Familie über die Nöte des schwer ringenden Mannes. Wer mochte ihn damals verstanden haben? — Nach dem Kriege von 1870/71 schien ein Ausweg zu winken. Ein großer Auftrag der Militärverwaltung auf Umarbeitung von 800000 Gewehren sollte vergeben werden. Rathenau gibt von dem Vorgang folgende Schilderung:

      „Während der Torpedoauftrag zu Ende ging, erfuhr ich, daß man in den Spandauer Gewehrfabriken sich mit Umänderung der Visiere auf den eroberten Chassepotgewehren herumquälte und gern Offerten der Privatindustrie entgegennehmen würde. Ich begab mich unverweilt in das Bureau des Dezernenten und führte aus, daß die Umänderungen mit den hier üblichen Mitteln kostspielig und zeitraubend seien, daß ich mit modernen amerikanischen Millingmaschinen die Arbeit, deren Selbstkosten in Spandau ich auf fünf Taler schätzte, für ebensoviel Mark liefern würde. Der alte General hielt mich zuerst für einen Hochstapler oder Wahnsinnigen, wie ich aus seinen Fragen und Mienen sah, im weiteren Verlauf der Unterhaltung gewann er indessen die Überzeugung, daß meine Offerte Ernst sei, als ich als Garantie für die Erfüllung meiner Verpflichtungen eine imposante Summe (300000 Taler) bei einer ersten hiesigen Bank zu hinterlegen mich erbot. Obwohl ich keine Zusage erhielt, daß der Auftrag an uns zur Vergebung gelangen würde, veranlaßte ich einen Freund, der die Fabrikation der oben bezeichneten Maschinen durch seine Tätigkeit in Amerika genau kennen gelernt hatte, schleunigst nach den Vereinigten Staaten abzureisen und sich zu vergewissern, in welcher kürzesten Zeit der ausgedehnte Maschinenpark zu beschaffen sei. Ein Probevisier hatte er mitgenommen, und bald erhielt ich ein Kabeltelegramm, daß ein großer Teil der Werkzeuge und Maschinen in vier Monaten, der Rest in gewissen, näher bezeichneten Perioden zur Verladung gelangen würde. Mit diesem Telegramm begab ich mich nach der Zimmerstraße in das Bureau des Dezernenten, der fast sprachlos war, als ich auf seine Fragen die Absendung meines Delegierten kurz und bündig schilderte. Er hätte mir weder einen Auftrag erteilt, noch in sichere Aussicht gestellt, meine Handlungsweise sei nicht zu rechtfertigen; als ich ihm entgegenhielt, daß die Arbeit in kürzester Zeit vollendet werden müsse, daß weder die Königlichen Fabriken noch ein Dritter hierzu in der Lage seien, daß mit den alten Werkzeugmaschinen präzise Arbeit nicht hergestellt werden könne und meine Mittel mir gestatteten, für die Möglichkeit, eine große Bestellung zu erlangen, eine Summe zu opfern, beruhigte sich der alte Herr und entließ mich mit dem Versprechen, die Offerte wohlwollend zu prüfen. Als wir am Weihnachtsheiligabend desselben Jahres unsere Kinder unter dem Baum zu bescheren gerade im Begriff waren, meldete sich der Adjutant des Generals mit dem Auftrage, uns zu befragen, ob wir den geforderten Preis für Änderung von 800000 Visieren um 50 Pfg. das Stück zu reduzieren geneigt seien; in diesem Falle würde der Auftrag uns, sonst aber der inzwischen aufgetauchten Konkurrenz erteilt werden. Ohne lange Überlegung lehnten wir den Vorschlag ab, nicht weil wir an einen ernsten Wettbewerb glaubten, sondern weil nach Lage der Dinge diese Behandlung uns nicht fair erschien. Der Konkurrent ging, wie vorauszusehen war, bei der Arbeit zugrunde, denn er hatte weder die Mittel, die neuen Arbeitsmethoden einzuführen, noch kannte er diese. Sein Untergang war die Erweckung der Nähmaschinenfabrik von Ludwig Loewe & Co., die bis dahin Erfolge nicht aufzuweisen gehabt hatte. Nach meinen Kalkulationen sind an diesem Auftrage mehrere Millionen verdient worden, aber wichtiger als der einmalige Gewinn war die hierdurch herbeigeführte Annäherung an die Firma Pratt, Whitney & Co. in Hartford, Conn., deren Maschinen- und Werkzeugbau Loewe an Stelle der unlohnenden Nähmaschinen aufnahm und hiermit das Verdienst erwarb, den amerikanischen Machine tools eine würdige Stätte in unserem Vaterlande zu bereiten.“

      Das Fehlschlagen dieses Geschäfts bedeutete aber für die Maschinenfabrik Rathenaus nicht nur einen entgangenen Gewinn und eine entgangene Entwicklungsmöglichkeit, sondern brachte auch einen — wenn auch nicht allzu schweren — Geldverlust mit sich. Im Vertrauen auf das erwartete Geschäft, an dessen Zustandekommen die Sozien nicht zweifelten, hatten sie zur Aufbringung der erforderlichen beträchtlichen Kapitalien einen stillen Teilhaber aufgenommen oder doch mit ihm einen Vertrag abgeschlossen, nach dem er einen Betrag von 600000 Mark einbringen sollte. Nachdem das Geschäft sich zerschlagen hatte, mußte dieser Vertrag gelöst werden, wobei dem Kapitalisten eine Abstandssumme von 20000 Mark zu zahlen war. Die Frage, ob Rathenau dem Unternehmen treu geblieben sein würde, wenn es durch den großen Auftrag der Militärverwaltung auf eine verbreiterte, und vielleicht wesentlich veränderte Grundlage gestellt worden wäre, ist schwer zu beantworten. Auch auf dem Gebiet der Waffen- und Werkzeugmaschinen-Industrie waren große Entwickelungsmöglichkeiten vorhanden, wie ja der Werdegang der Löweschen Fabrik zeigte, die später einen ganzen Kranz gewaltiger Unternehmungen der Waffen- und Munitionsindustrie, ihrer Hilfs- und Nebengewerbe und der Werkzeugmaschinenfabrikation um sich gruppiert hat. Hinter dem großartigen und vielgestaltigen Sonnensystem der A. E. G. mit seinen Ausstrahlungen nach allen Seiten und Himmelsrichtungen bleibt die beschränkte Spezialfabrikation