Schriften in deutscher Übersetzung. Plotin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Plotin
Издательство: Bookwire
Серия: Philosophische Bibliothek
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783787339341
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keine Seele.

      Ist sie aber Körper und dem Körper ‘durch und durch’ beigemischt, wobei der eine Mischungsbestandteil an derselben Stelle wie der andre sein soll, indem beide Bestandteile der Mischung die gleiche Masse, den gleichen Raum einnehmen und keine Vermehrung durch Hinzufügung des andern eintreten soll, so läßt diese Mischung nichts Unzerstücktes nach. Denn die Mischung geschieht nicht in großen Stücken nebeneinander – das nennen sie ‘Anhäufung’ – sondern durch den ganzen Körper dringt das Hinzutretende, auch wenn es kleiner ist; was unmöglich ist, daß das Kleinere dem Größeren an Ausdehnung gleich wird – gut aber, es durchdringt ihn ganz, und damit zerstückt es ihn überall; soll es ihn also Punkt für Punkt zerstücken und soll kein Stück Körper dazwischen unzerstückt bleiben, dann muß notwendig die Aufteilung des Körpers bis zu Punkten gehen; und das ist unmöglich. Geht aber die Zerstückung bis ins Unendliche (denn wie klein man sich einen Körper vorstellt, immer ist er noch teilbar), dann müßte das Unendliche nicht nur potential sondern auch aktual existieren. Es ist also nicht möglich, daß ein Körper einen andern durch und durch durchdringt; die Seele tut es: folglich ist sie unkörperlich.

      83Die Behauptung ferner, daß derselbe Hauch zunächst nur vegetative Kraft war, und erst als er (bei der Geburt) ins Kalte kam und wie Stahl ‘abgeschreckt’ wurde, Seele wurde, indem sie nämlich im Kalten sich verdünnte – eine Behauptung die ja schon an sich unsinnig ist, denn viele Lebewesen werden im Warmen geboren und haben also eine Seele die nicht durch Abkühlung entstanden ist – gut aber, sie behaupten daß das Vegetative früher als die Seele ist die erst durch die außen (außerhalb des Mutterleibes) eintretenden Umstände entstehe. So geraten sie dahin das Geringere zuerst entstehen zu lassen, und davor noch ein Geringeres, das sie ‘Zuständlichkeit’ nennen, der Geist aber ist erst das letzte, da er nämlich erst von der Seele her entsteht. Wenn aber der Geist vor allem ist, dann mußte man erst nach ihm die Seele entstehen lassen, dann die vegetative Kraft, und immer als nächstes das Geringere, wie es seiner Natur entspricht. Wenn so auch der Gott, entsprechend dem Geist, für sie später ist und geworden, und den Geist erst als nachträgliche Zutat besitzt, dann wäre es möglich daß weder Seele noch Geist noch Gott überhaupt existierte, da das Potentiale, wenn das Aktuale nicht vorher existiert, nicht vorhanden sein und nicht zur Aktualität gelangen kann. Denn was sollte es dazu bringen, wenn nicht vorher ein andres als es existiert? Soll es sich selbst zur Aktualität bringen, was ein Unding ist, aber gut: so muß es auf ein Vorbild sich dabei richten, und das kann nicht potential, sondern nur aktual sein. Freilich, wenn das Potentiale die Eigenschaft haben soll immer das Nämliche zu bleiben, dann kann es sich nach seinem eigenen Vorbild in die Aktualität überführen; dabei muß dies Nämliche dann aber stärker sein als das Potentiale, da es gleichsam Gegenstand seines Strebens ist. Früher also ist das Höhere, das ein vom Körper verschiedenes Wesen hat und immer in Aktualität ist; früher ist also auch Geist und Seele als die vegetative Kraft. Die Seele steht also anders als der Hauch und als der Körper.

      Daß die Seele nicht als Körper angesehen werden darf, darüber ist von andern noch andres ausgeführt, aber das Gesagte mag [84]genügen. Da sie also von anderm Wesen ist, muß untersucht werden, von welchem. Ist sie etwa ein Anderes als der Körper, aber doch ein Etwas des Körpers, etwa seine Fügung (Harmonie)? Während die Pythagoreer diese in einem andern Sinn verstanden, hat man geglaubt es sei das etwas wie die Harmonie der Saiten. Denn wie dort bei der Spannung der Saiten etwas hinzutritt, eine Art Affektion der Saiten, eben die Harmonie: in derselben Weise bringe, da unser Körper aus einer Mischung ungleicher Bestandteile bestehe, deren so und so bestimmte Mischung Leben und Seele hervor, welche die an der Mischung anfallende Affektion sei.

      Gegen diese Lehre ist schon vieles zum Erweis ihrer Unmöglichkeit geltend gemacht worden. So, daß die Seele das Frühere ist, die Harmonie aber das Spätere; daß die Seele herrscht und dem Körper gebietet und vielfach mit ihm uneins ist, was sie nicht könnte, wenn sie seine Harmonie wäre; daß die Seele Substanz, die Harmonie nicht Substanz ist; daß die Mischung der Körper, aus denen wir bestehen, wenn sie in guter Proportion ist, Gesundheit ist (also nicht Seele); daß an den einzelnen Teilen des Körpers, die doch verschieden gemischt sind, verschiedene Seelen sein müßten, so daß es viele Seelen (in einem Körper) geben müßte; und das Wichtigste: daß dann notwendig vor dieser Seele eine andre vorhanden sein müßte die diese Harmonie erzeugt, so wie bei den Instrumenten der Musiker, der den Saiten die Harmonie eingibt und die Proportion, nach der er sie abstimmt, von sich aus mitbringt. Denn sowenig dort die Saiten von sich aus, so können hier die Leiber sich selbst in Harmonie versetzen. Überhaupt aber: auch diese Lehre läßt aus Unbeseeltem Beseeltes entstehen und aus Ungeordnetem zufällig Geordnetes, und statt die Ordnung aus der Seele läßt sie vielmehr die Seele aus zufälliger Ordnung zur Existenz kommen. Das ist aber weder bei den Einzeldingen noch im All möglich. Folglich ist die Seele nicht Harmonie.

      [85]In welchem Sinne aber die Seele als Entelechie bezeichnet wird, versteht man folgendermaßen. Die Seele, sagt diese Lehre, verhält sich in dem Zusammengesetzten zum Körper wie die Form zum Stoff; sie ist aber nicht Form eines beliebigen Körpers und nicht sofern er bloß Körper ist, sondern eines ‘naturhaften’, ‘organischen’, ‘der potential Leben hat’. Ist sie dabei nun dem angeglichen mit dem sie verbunden ist, wie die Form einer Statue dem Erz, so muß die Seele, wenn der Körper zerlegt wird, mit geteilt werden, und wenn ein Teil abgehauen wird, muß auch bei dem Abgehauenen ein Teil der Seele sein. Dann kann auch die Entrückung der Seele im Schlaf nicht stattfinden, wenn anders die Entelechie fest verbunden sein soll mit dem dessen Entelechie sie ist; in Wahrheit aber könnte es nicht einmal Schlaf geben. Wenn sie ferner Entelechie ist, könnte die Vernunft nicht den Begierden entgegentreten, sondern die Seele müßte als ganze immer nur einer einheitlichen, gleichmäßigen, widerspruchslosen Affektion unterliegen. Wahrnehmungen könnte es vielleicht geben, Gedanken aber unmöglich. Weshalb sie denn auch selbst eine andere Seele einführen, den Geist, welchen sie als unsterblich setzen. Die überlegende Seele muß also in einem andern Sinn als diesem Entelechie sein, wenn überhaupt dieser Ausdruck zur Anwendung kommen soll. Die wahrnehmende Seele ferner trägt in sich Abdrücke von den Wahrnehmungsobjekten auch wenn sie nicht da sind; sie können also nicht an die Gemeinschaft mit dem Körper gebunden sein; sonst müßten sie in ihr sein wie eingeprägte Formen und Abbilder; dann aber wäre es unmöglich andre aufzunehmen. Die Wahrnehmungsseele ist also nicht Entelechie in dem Sinne daß sie untrennbar vom Körper sei. Ferner das Begehrende, das nicht nach Speis und Trank sondern nach anderem, Überkörperlichem verlangt, auch es kann nicht untrennbare Entelechie sein. Es bleibt also das Vegetative, bei welchem man zweifeln könnte ob es nicht in der genannten Weise untrennbare Entelechie ist. Aber auch das ist offenbar nicht so. Da nämlich der Ursprung jeder Pflanze in der Wurzel sitzt und die Seele bei vielen Pflanzen auch wenn der übrige Körper vertrocknet in der Wurzel und den unteren Teilen verbleibt, so hat sie offenbar die andern Teile verlassen und sich in einem Teil zusammengezogen; folglich ist sie nicht als untrennbare Entelechie in dem Ganzen. Anderseits ist sie, bevor die Pflanze wächst, in der kleineren Masse. Geht sie also aus einer Pflanze die größer ist, in eine die kleiner wird und anderseits aus einem kleinen Raum in die ganze Pflanze, warum soll sie dann nicht auch sich gänzlich abtrennen können? Ferner, da die Seele teillos ist, wie kann sie des teilbaren Körpers Entelechie werden? Ferner: dieselbe Seele gehört mehreren Lebewesen nacheinander an. Wie kann die des ersteren die des zweiten werden, wenn sie die Entelechie von einem war? (Dieser Einwand wird deutlich an den Lebewesen die sich in andre Lebewesen verwandeln.)

      Die Seele hat ihre Existenz also nicht dadurch daß sie die Form von etwas ist, sondern sie ist Wesenheit indem sie dies ihr Sein nicht empfängt durch ihr Gegründetsein auf den Körper, sondern indem sie existiert, schon bevor sie gerade diesem bestimmten Lebewesen angehört. Mithin kann der Leib die Seele nicht erzeugen (?)

      Welches ist nun also ihr Wesen? Ist sie denn weder Körper noch eine Affektion des Körpers, sondern Handeln und Schaffen und viel ist in ihr und wird aus ihr, was für eine Wesenheit ist sie dann, da sie eine außerkörperliche ist? Offenbar die, die wir im eigentlichen Sinne Seinsheit nennen. Denn alles Körperliche darf man Werden nennen nicht Sein, ‘werdend und vergehend, niemals aber wahrhaft seiend’; nur durch Teilhabe am Seienden wird es erhalten, soweit es denn daran teilhaben kann. Die[9] andre Wesensart aber, die von sich selbst das Sein hat, sie ist all das wahrhaft