Ferner, ist das Wahrnehmende Körper, so kann das Wahrnehmen nicht anders zustande kommen als ein Siegel, das von einem Petschaft in Wachs abgedrückt wird, ob die Sinneseindrücke nun ins Blut oder in die Luft sich abdrücken. Geschieht das aber wie es in feuchte Körper zu geschehen pflegt, und das wäre das Wahrscheinlichste, dann wird der Abdruck zerrinnen wie in Wasser, und es kann keine Erinnerung geben; bleiben aber die Abdrucke haften, so ist es entweder unmöglich daß andere Eindrücke sich abprägen weil die ersten den Platz besetzen: dann kann es keine andern Wahrnehmungen geben; oder wenn andere Eindrücke entstehen, müssen jene ersten verschwinden: dann kann es wieder keine Erinnerung geben. Da es nun aber Erinnerung gibt und die Möglichkeit eins nach dem andern wahrzunehmen ohne daß die vorigen Wahrnehmungen im Wege stehen, so ist es unmöglich, daß die Seele Körper ist.
[7]Man kann aber auch aus der Wahrnehmung des Schmerzes das Gleiche ersehen. Wenn man sagt daß einem Menschen der Zeh schmerzt, so ist das Wehtun natürlich am Zeh, die Wahrnehmung des Schmerzes aber, das werden sie zweifellos zugeben, hat statt im Leitenden Organ. Wenn also der schmerzende Teil ein andrer ist, nimmt das leitende Organ den Affekt wahr, und die ganze Seele nimmt Teil an diesem Affekt. Wie kommt das zustande? Durch ‘Weitergabe’, behaupten sie, indem zuerst der seelische Hauch am Zeh affiziert werde, dieser dem Nachbar daran Teil gebe, dieser dem nächsten, bis es zum Leitenden gelangt. Wenn also das erste eine Wahrnehmung des Schmerzes hatte, muß notwendig die des zweiten eine andere sein, wenn anders die Wahrnehmung durch ‘Weitergabe’ fortgeleitet wird, und die des dritten wieder eine andre, es müssen also viele, ja unzählige Wahrnehmungen aus der einen Schmerzwahrnehmung entstehen, und das Leitende Organ muß nachher all diese Wahrnehmungen wahrnehmen und obendrein noch seine eigne. In Wahrheit aber wäre jede dieser einzelnen Wahrnehmungen nicht Wahrnehmung des Schmerzes im Zeh, sondern die dem Zeh benachbarte hätte zum Inhalt, daß der Mittelfuß schmerzt, die dritte, daß der nächstobere Teil, und so entständen viele Schmerzempfindungen, und das leitende Organ nähme nicht einen Schmerz am Zeh wahr, sondern einen Schmerz an sich selbst, nur dieser letztere käme ihm zur Kenntnis, die andern aber ließe es auf sich beruhen und wüßte gar nicht daß der Zeh schmerzt. Ist es also unmöglich, daß die Wahrnehmung eines solchen Affekts durch ‘Weitergabe’ entsteht, und kann kein Körper – denn Körper ist bloße Masse – Kenntnis vom Affekt eines anderen haben (denn von jeder Größe ist jeder Teil ein andrer als jeder andere): so muß man das Wahrnehmende solcher Art ansetzen daß es überall in allen Teilen mit sich identisch ist. Das aber kommt einer andern Wesenheit und nicht dem Leibe zu.
[8]Daß aber auch kein Denken möglich wäre, wenn die Seele ein Körper welcher Art immer wäre, läßt sich folgendermaßen zeigen. Wenn nämlich Wahrnehmen ein Begreifen durch die Seele mit Hilfe des Leibes ist, dann kann nicht auch das Denken ein Erfassen vermittels des Körpers sein; sonst wäre es ja dasselbe wie das Wahrnehmen. Ist also das Denken ein Erfassen ohne Körper, so muß erst recht das was denken soll selbst unkörperlich sein. Ferner wenn Gegenstand der Wahrnehmung das Sinnliche, Gegenstand des Denkens das Geistige ist – lehnen sie das ab, nun so gibt es doch wenigstens von gewissen unsinnlichen Dingen ein Denken und von größelosen ein Erfassen: wie kann dann etwas das Größe ist das denken was nicht Größe ist, wie durch das Teilbare das Unteilbare denken? Vielleicht durch einen unteilbaren Teil seiner selbst? Dann braucht das, was denken soll, nicht mehr Körper zu sein; es ist ja zum Erfassen des Gegenstandes gar nicht mehr das Ganze vonnöten, die Berührung mit einem einzelnen Stück reicht ja aus. Wenn sie also wenigstens zugeben, daß die obersten Gedanken, wie es wahr ist, die Dinge zum Gegenstand haben die völlig und gänzlich von Körperlichem rein sind, dann kann auch seinerseits das was den einzelnen Gegenstand denkt, ihn nur erkennen, wenn es vom Körperlichen rein ist oder wird. Behaupten sie aber daß die in der Materie befindlichen Formen Gegenstand des Denkens sind, so können sie es doch erst werden wenn von den Körpern abstrahiert wird, wobei der Gedanke es ist der abstrahiert; denn die abgetrennte Vorstellung Kreis Dreieck Linie oder Punkt schließt die Verbundenheit mit Fleisch und überhaupt Stoff aus. Die Seele muß also ihrerseits bei solchem Verfahren sich vom Körper trennen. Folglich kann die Seele nicht ihrerseits Körper sein.
Ausdehnungslos ist, sollte ich meinen, auch das Schöne und das Gerechte. Folglich auch das Denken von ihnen. Sie muß ihnen also, wenn sie sie heimsuchen, mit ihrem ungeteilten Sein Empfang und Willkomm bereiten, und dann wohnen sie in ihr als teilloser.
Und wie sollen denn, wenn die Seele Körper ist, ihre Tugenden zustande kommen, Zucht Gerechtigkeit Tapferkeit und die anderen? Eine bestimmte Art Hauch oder Blut soll Zucht, Gerechtigkeit oder Tapferkeit sein? oder wohl Tapferkeit die Unempfindlichkeit des Hauches, und Zucht seine gute Mischung? Schönheit aber eine Art Wohlgestalt in Prägungen, dergemäß wir jemand schön und blühend am Leibe nennen? Kraft und schöne Ausprägungen kommen dem Hauch ja wohl zu; aber was hat der Hauch mit der Zucht zu schaffen, hat er nicht im Gegenteil nötig in Umarmung und Berührung sich wohl sein zu lassen wo er warm werden kann oder wohltemperiert ‘nach Kühlung verlangen’, oder sich an weiche zarte glatte Dinge schmiegen? Nach Gebühr aber zu verteilen (Gerechtigkeit), was schiert das den Hauch?
Erfaßt nun aber die Seele die Inbegriffe der Tugend, wie die der andern geistigen Dinge, als ewige, oder wird einem Tugend zuteil und fördert, und schwindet dann wieder? Aber wer wirkt sie dann, und woraus? Dann muß nämlich dies Wirkende seinerseits beharren. Die Tugenden müssen also als ewige und bleibende begriffen werden, so wie die geometrischen Objekte. Sind sie aber ewig und bleibend, so sind sie nicht körperlich. Dann muß aber auch das worin sie sein sollen ebenso sein; also nicht Körper. Denn nicht beharrt, sondern es fließt das körperliche Wesen alles.
[81]Wenn sie aber in Ansehung des Umstandes daß das körperliche Tun Wärme und Kälte, Stoßen und Schwere hervorruft, in diesem Bereich die Seele ansetzen, sie also lokalisieren gewissermaßen im Bereich des Handelns, so verkennen sie dabei erstlich, daß die Körper erst vermöge der ihnen innewohnenden unkörperlichen Kräfte diese Wirkungen hervorbringen; zweitens ist zu bedenken, daß nach unserer Auffassung nicht diese Kräfte der Seele zugehörig sind, sondern Denken, Wahrnehmen, Überlegen, Begehren, verständige und edle Vorsorge: alles Dinge die eine andre Substanz voraussetzen. Wenn sie aber die Kräfte des Unkörperlichen auf die Körper übertragen, so lassen sie für das Unkörperliche keine Kraft mehr nach. Daß vielmehr umgekehrt die Körper vermittels unkörperlicher Kräfte vermögen was sie vermögen, wird folgendermaßen deutlich. Sie werden zugeben daß Qualität und Quantität etwas verschiedenes ist, ferner daß jeder Körper quantitativ ist (weiter aber, daß nicht jeder Körper qualitativ ist, so die Materie); mit diesen Zugeständnissen geben sie zugleich zu, daß die Qualität, da sie verschieden ist von der Quantität, auch verschieden ist vom Körperlichen; denn da sie nicht quantitativ ist, kann sie nicht Körper sein, wenn anders jeder Körper quantitativ ist. Wenn ferner, wie oben schon gesagt wurde, jeder Körper und jede Masse durch Teilung seinen früheren Zustand verliert, dagegen aber, wenn der Körper zerschlagen wird, die Qualität bei jedem Teile die gleiche, ganze bleibt, z. B. die Süßigkeit des Honigs um nichts minder Süßigkeit bleibt an jedem einzelnen Teil des Honigs, so kann die Süßigkeit nichts Körperliches sein … ebenso die übrigen Qualitäten. Ferner, wären die qualitativen Kräfte Körper, so müßten notwendig die starken Qualitäten große Masse, die mit geringerer Wirkungskraft kleine Masse haben. Da es aber große Massen von kleiner Qualitätskraft, dagegen kleine und kleinste Massen von sehr großer qualitativer Kraft gibt, so ist die Wirkung einem andern als der Größe zuzuschreiben: also dem Größelosen. Der Tatbestand ferner, daß die Materie ein und dieselbe ist – und zwar nach ihrer Behauptung ein Körper –, dabei aber die verschiedensten Wirkungen hervorbringt wenn die Qualitäten zu ihr hinzutreten, muß doch deutlich machen, daß das Hinzutretende unstoffliche, größelose Begriffe sind.
Sie sollen auch nicht einwenden, daß das Lebewesen ja stirbt, wenn der Hauch oder das Blut es verläßt. Denn wie ohne diese beiden, so kann man auch ohne vieles andere nicht leben, und doch ist keines von dem darum Seele.
Ferner: weder Hauch noch Blut durchdringt den ganzen [82]Körper, sondern nur die Seele. Wäre nun die Seele die alles durchdringt, ein Körper, so wäre sie dem Durchdrungenen beigemischt so wie bei den andern Körpern die Mischung stattfindet. Da nun aber die Mischung der Körper keinem von den vermischten Dingen die Aktualität beläßt,