[14]Was aber die Seelen der andern Lebewesen angeht, so müssen auch die Seelen, die zu Fall gekommen sind und hinabgerieten bis in Tierleiber, notwendig unsterblich sein. Und gibt es noch eine andre (niedrigere) Art von Seele, so kann auch die nur von der wahrhaft lebenden Wesenheit kommen, denn auch sie ist den betreffenden Lebewesen Ursache des Lebens; und ebenso selbst die Seele in den Pflanzen. Denn sie alle sind ausgegangen von dem gleichen Urgrund und haben alle ein wesenseigenes Leben; auch sie sind unkörperlich und unteilbar und Substanzen.
Wollen sie aber behaupten daß die menschliche Seele, da sie dreiteilig ist, infolge dieser Zusammensetzung sich auflösen wird, so antworten wir, daß die reinen, wenn sie vom Leibe scheiden, zurücklassen was ihnen bei der Geburt angeklebt wurde, die andern aber für länger mit ihm zusammen sein werden; das Geringere aber, losgelassen, wird ebenfalls nicht zu Grunde gehen, solange es das gibt das für es Prinzip ist. Denn nichts kann aus dem Seienden getilgt werden.
[15]Damit ist gesagt, was an die gerichtet werden mußte die Beweise wollen. Für die aber, die einen Glauben wollen der sich auf Augenscheinlichkeiten stützt, ist das was sie brauchen auszuwählen aus der Überlieferung von solchen Dingen, die reichlich fließt. So die Orakel der Götter, die geboten den Zorn beleidigter Seelen zu versöhnen, Toten Ehre zu erweisen, die also davon eine Empfindung haben müssen; wie denn auch alle Menschen tun gegenüber den Abgeschiedenen. Und viele Seelen, die vorher in Menschen waren, haben auch nach dem Austritt aus dem Leibe nicht abgelassen, den Menschen Gutes zu tun: sie haben Orakelstätten gestiftet und bringen mit ihren Prophezeiungen sonst Nutzen, zeigen aber auch so durch ihr eigenes Beispiel, daß auch die andern Seelen nicht ausgelöscht sind.
Das Schicksal
Für alles Werdende und alles Seiende gilt daß es wird und ist: entweder (a) nach Ursachen oder (b) beides ohne Ursachen, oder (c) auf beiden Gebieten teils mit teils ohne Ursache, oder (d) das Werdende geschieht alles mit Ursache, das Seiende aber ist teils mit teils ohne Ursache oder ganz und gar ohne Ursache; oder umgekehrt (e) das Seiende ist alles mit Ursache, das Werdende aber teils mit teils ohne, oder ganz und gar ohne Ursache.
Bei den ewigen Dingen nun kann man das Erste nicht auf andere Ursachen zurückführen da es eben Erstes ist; diejenigen ewigen Dinge aber die vom Ersten abhängen, mögen ihr Sein von jenem her haben, und um ihre Wirksamkeit zu bestimmen, muß man sie auf ihr Sein zurückführen; denn das ist ihr Sein, diese bestimmte Wirksamkeit an den Tag zu legen.
Was aber die werdenden Dinge angeht, das heißt diejenigen die immer da sind, aber nicht immer die gleiche Wirksamkeit hervorbringen, so muß man der Auffassung sein, daß sie alle auf Grund von Ursachen werden und etwas Ursachloses ist bei ihnen nicht zuzulassen; man darf weder einer erdichteten Atomabweichung Raum geben, noch einer plötzlichen Bewegung von Körpern die ohne vorhergehende Verursachung eintritt; aber auch keinen blinden Drang der Seele darf man anerkennen, ohne daß ein Bewegendes sie anstieße etwas zu tun was sie vorher nicht zu tun pflegte (gerade dies würde einen viel stärkeren Zwang für die Seele bedeuten, indem sie dann nicht sich selbst gehörte, sondern von derartigen Regungen hin und her gezerrt würde, die ja ungewollt, grundlos erfolgten); denn es bewegte sie entweder der Gegenstand ihres Wollens – und zwar ist der entweder außer ihr oder in ihr – oder ihres Begehrens; sonst, wenn kein Gegenstand eines Trachtens sie bewegte, würde sie überhaupt nicht in Bewegung geraten.
Von den Ursachen nun, nach denen alles geschieht, ist es leicht die dem Einzelgeschehen zunächst liegenden festzustellen und das Geschehen auf sie zurückzuführen. So ist die nächste Ursache dafür daß man auf den Markt geht: man möchte jemanden treffen oder eine Schuld einziehen; und so allgemein, die Ursache dafür daß man sich für dies oder das entscheidet und zu dem und dem sich aufmacht, ist daß dem Einzelnen gut scheint das und das zu tun. Für anderes wieder läßt sich die Ursache auf die Künste zurückführen, z. B. ist für die Genesung die Heilkunst und der Arzt Ursache. Und für das Reichwerden ein gefundener Schatz oder eine Schenkung von irgendwem, oder der Reichtum kommt aus Arbeit oder durch Kunst der Geldverwaltung. Und für das Kind ist die Ursache der Vater und die etwa von außen an der Zeugung mitwirkenden Ursachen, die sich eine aus der andern herleiten, zum Beispiel bestimmte Speisen; oder, als nur wenig entferntere Gründe, eine für die Zeugung günstige Neigung zum Säftefluß oder eine Frau die zu Geburten tauglich ist; und, allgemein genommen, die Natur.
[2]Wer bei diesen Ursachen angelangt innehält und sich weigert höher hinauf zu gehen, der ist vielleicht doch oberflächlich und will nur nicht auf diejenigen hören, welche zu den ersten und jenseitigen Ursachen aufsteigen. Denn wie kommt es, daß bei ein und demselben Geschehen, z. B. wenn der Mond scheint, der eine raubt, der andre nicht; daß bei gleichen Einflüssen aus der Atmosphäre der eine krank wird der andre nicht; daß auf Grund derselben Handlungen der eine reich wird, der andre arm bleibt? Auch die Verschiedenheit von Charakteren Gesinnungen Schicksalen erfordert ein Zurückgehen auf die entfernten Ursachen.
So bleibt denn auch kein Philosoph bei den nächsten Gründen stehen: die Einen setzen körperliche Grundursachen an, z. B. die Atome; aus ihrer Bewegung, ihren Stößen und ihren wechselseitigen Verflechtungen lassen sie das Einzelne hervorgehen; so soll es sich verhalten und so geschehen, wie die Atome zusammengetreten sind, aufeinander einwirken und voneinander Wirkung erleiden; ja auch beim Menschen sollen die Triebe und Stimmungen sich so verhalten wie sie die Atome hervorbringen; das ist der Zwang wie er von den Atomen ausgeht, den sie in die Wirklichkeit einführen. Aber auch wer andere Körper als Urprinzipien zuläßt und von ihnen aus alles geschehen läßt, macht das Seiende zum Knecht des Zwanges, der von diesen Körpern ausgeht. Andre Denker gehen zurück auf die Grundursache des Alls und leiten von ihr alles ab; sie soll eine alles durchdringende Ursache sein, die alles einzelne nicht nur bewege sondern auch hervorbringe; diese setzen sie als das Schicksal und die eigentlich wirksame Ursache welche selber mit allen Dingen identisch sei; alles, nicht nur was sonst geschieht sondern auch unsere Gedanken sollen aus den Bewegungen jener Ursache entstehen, so wie bei einem Tier die einzelnen Teile nicht von sich aus bewegt werden sondern von dem Leitenden im Tier aus. Andre nehmen an, daß der Kreislauf des Weltalls der alles umfaßt, alles bewirke durch seine Bewegung und durch die Positionen und gegenseitigen Konstellationen der Gestirne, der Planeten wie der Fixsterne, und behaupten daß jedes einzelne Geschehen sich von dort herleite, wobei sie sich berufen auf die Vorhersage aus den Gestirnen. Ferner aber, wer annimmt daß die Ursachen miteinander verknüpft und nach oben verkettet sind, daß das Spätere immer dem Früheren folgt und auf es zurückgeht, da es durch das Frühere entsteht und ohne es nicht entstanden wäre, daß also das Spätere in der Knechtschaft des Früheren steht, der führt, wie sich zeigt, wieder eine andre Art von Schicksal ein. Und die Vertreter dieser Lehre wird man wohl, ohne das Wahre zu verfehlen, in zwei Gruppen teilen können: die einen lassen alles von einem Ersten abhängen, die andern nicht so. Davon wird noch zu handeln sein; jetzt soll unsere Untersuchung sich den Erstgenannten zuwenden, und dann der Reihe nach die Lehre der andern prüfen.
[3]Auf Körpern alles beruhen zu lassen, seien sie nun Atome oder sogenannte Elemente, und aus ihrer chaotischen Bewegung die Ordnung und die Vernunft und die lenkende Seele hervorgehen zu lassen, ist in beiden Fällen ein Unding und unmöglich, die unmöglichere aber von beiden Annahmen (wenn man so sagen darf) ist die Atomherleitung. Dagegen sind schon viele richtige Beweise ins Feld geführt. Aber auch wenn man derartige Grundursachen einmal setzen will, so folgt auch daraus noch nicht zwingend eine sich auf alle Dinge erstreckende Notwendigkeit und auch kein Schicksal in einem andern Sinne. Seien einmal die Atome das Urprinzip. Sie müssen dann doch sich bewegen teils nach unten (es sei angenommen daß es ein Unten gebe) teils quer wie es trifft, alle in verschiedenen Richtungen.