[10](Daß die Seele der göttlichen Wesenheit verwandt ist und dem Ewigen, das geht auch daraus hervor, daß sie, wie man gezeigt hat, nicht Körper ist. Ferner: ‘sie hat keine Gestalt, keine Farbe und läßt sich nicht ertasten’. Aber man kann es auch auf folgende Weise zeigen.)
Da uns jetzt also feststeht, daß alles Göttliche und wahrhaft Seiende gutes und vernunfthaftes Leben hat, so müssen wir als nächstes prüfen, welcher Art unsere menschliche Seele ist. Nehmen wir die Seele nicht wie sie im Leibe mit unvernünftigen Begierden und Wallungen versetzt ist und andern Affektionen Einlaß gab, sondern wie sie dies von sich abstreift und soweit möglich nicht dem Leibe sich gesellt. An ihr wird es deutlich, daß das Böse ein Zusatz ist für die Seele und anderswoher stammt, wenn sie sich aber rein macht, ist in ihr das Edelste, Einsicht und die andere Tugend, und das ist ihr angestammter Besitz. Ist also die Seele, wenn sie zu sich selbst aufsteigt, solcher Art, so muß sie ja von jener höheren Art sein wie wir sie dem Göttlichen und Ewigen allein zuschreiben. Denn Einsicht und wahre Tugend, die göttlich sind, können sich nicht wohl in einem minderwertigen und sterblichen Ding befinden, sondern ein solches Ding muß göttlich sein, da es Teil hat am Göttlichen zufolge angestammter Verwandtschaft, Wesensgleichheit. Weshalb auch, wer von uns solcher Art ist, nur ein weniges vom Oberen abweicht was die Seele selbst angeht, und nur um das Stück, das im Leibe ist, geringer ist. Daher denn, wenn jeder Mensch solcher Art wäre oder doch eine größere Zahl solche Seelen hätte, keiner so ungläubig wäre daß er nicht glaubte daß das Seelische im Menschen durchaus unsterblich ist. So aber, wo sie sehen daß die Seele der meisten Menschen auf tausend Weisen verstümmelt ist, können sie sich nicht vorstellen, sie sei ein göttliches, ein unsterbliches Ding. Man muß aber, will man das Wesen eines Dinges erkennen, auf sein reines Sein blicken, denn Zusätzliches ist immer hinderlich für die Erkenntnis dessen dem es zugesetzt ist. Prüfe sie also indem du das ausscheidest, oder vielmehr: man scheide es aus und blicke auf sich selbst, dann wird man vertrauen unsterblich zu sein, wenn man erschaut, wie man selbst ins Geistige, Reine eintritt. Man wird nämlich den Geist sehen wie er schaut – nichts Sinnliches, nichts von unsern sterblichen Dingen, sondern mit dem Ewigen das Ewige erkennt, all die Dinge im geistigen Kosmos, wobei er selbst auch seinerseits zu einem geistigen, lichthaften Kosmos wird, erleuchtet von der Wahrheit, die von dem ‘Guten’ kommt, welches über allen geistigen Wesen strahlt. Da wird dann jenes Wort ihm immer wieder treffend scheinen: ‘Heil euch! Ich aber bin unsterblicher Gott’, nämlich im Aufstieg zum Göttlichen und im unverwandten Blicken auf die Gleichheit mit ihm.
Wenn so die Reinigung uns des Herrlichsten in der Seele inne werden läßt, so wird auch sichtbar wie die Wissenschaften drinnen in der Seele liegen, diejenigen welche denn im wahren Sinne Wissenschaften sind; denn nicht irgendwo draußen schweifend erschaut die Seele Zucht und Gerechtigkeit und Wissenschaft, sondern bei sich selbst, in dem Innewerden ihres eignen Wesens und ihres früheren Zustandes, sie sieht gleichsam Standbilder in sich errichtet, die durch die Zeit von Rost befleckt sind, und sie macht sie wieder rein; wie wenn Gold beseelt wäre und ausstieße was an Schlacke in ihm ist: vorher kannte es sich nicht selbst als es das Gold nicht sah, dann aber, wenn es sich für sich allein sähe, würde es staunen über die Pracht und innewerden daß es keine von außen kommende Schönheit brauchte, da es von selber herrlich ist wenn man es nur rein für sich sein läßt.
[11]Daß ein solches Ding unsterblich ist, welcher Verständige könnte daran noch zweifeln? Ihm wohnt ja aus sich selbst Leben bei, welches unmöglich vergehen kann, denn es ist nicht nachträglich erworben; wiederum hat es auch die Seele nicht derart wie dem Feuer die Wärme beiwohnt. Ich meine das nicht in dem Sinne daß die Wärme eine nachträgliche Zutat zum Feuer sei; aber wenn auch nicht zum Feuer, so doch zu dem dem Feuer zugrundeliegenden Stoff; durch ihn geht denn auch das Feuer zu Ende. Die Seele aber hat ihr Leben nicht in dem Sinne daß sie als Stoff zugrundeliegt, dann das Leben in sie kommt und sie damit erst zur Seele macht. Denn entweder ist das Leben Substanz und die Seele ist eine solche Substanz die von sich selbst aus lebt: das ist das was wir suchen, und dessen Unsterblichkeit müssen sie zugeben; sonst müssen sie auch das wieder als zusammengesetzt auflösen, bis sie schließlich doch zu einem Unsterblichen gelangen das von sich selbst bewegt wird; und dem ist nicht beschieden dem Todeslose zu verfallen; oder wenn sie das Leben als eine erst zum Stoff hinzutretende Affektion ansehen, dann sind sie gezwungen eben dem die Unsterblichkeit zuzubilligen von dem her diese Affektion in den Stoff gekommen ist; denn das kann dem Gegenteil von dem was es hinzubringt nicht ausgesetzt sein. Aber es gibt ja eine einheitliche Wesenheit, die aktual Leben hat.
[12]Und ferner, wenn sie jede Seele vergänglich sein lassen, so müßten längst alle Dinge zu Grunde gegangen sein. Lassen sie aber nur einige Seelen sterblich sein und andre nicht, also z. B. die Allseele unsterblich, die menschliche nicht, dann müssen sie dafür einen Grund angeben. Denn bewegendes Prinzip ist eine wie die andre, beide haben von sich aus Leben, beide ergreifen mit demselben Organ dasselbe, indem sie denken was im Himmel ist oder noch jenseits des Himmels, indem sie aufsuchen alles was wesenhaft ist und aufsteigen bis zur ersten Ursache.
Ferner wird der Seele von sich aus vermöge dessen was sie in sich erschaut und vermöge der Wiedererinnerung Erkenntnis des Wesens der Einzeldinge zuteil, und das gibt ihr eine Existenz die vor dem Körperlichen liegt, ein ewiges Sein, da sie ewige Erkenntnisse zu eigen hat.
Alles Auflösbare ferner muß seiner Natur nach, da es durch Zusammensetzung zur Existenz gelangt ist, sich in demselben Sinne auflösen in dem es zusammengesetzt wurde. Die Seele aber ist eine einheitliche und einfache Wesenheit, die aktual Leben hat; sie kann also nicht auf diesem Wege zu Grunde gehen. – ‘Aber dann könnte sie doch durch Teilung und Zerstückung vernichtet werden’. – Aber die Seele ist wie gezeigt keine Masse und nichts Quantitatives. – ‘Dann wird sie durch Veränderung ihren Untergang finden’. – Aber eine Veränderung, die vernichtet, benimmt die Form und beläßt den Stoff; das aber widerfährt nur einem Zusammengesetzten. Wenn sie also auf keine dieser Weisen vergehen kann, ist sie notwendig unvergänglich.
[13]Warum geht nun aber, da das Geistige abgetrennt ist, die Seele in den Leib ein? Soweit der Geist für sich allein ist, verharrt er ewig ohne Affektion oben in der geistigen Welt, ein rein geisthaftes Leben führend; denn es ist kein Trieb in ihm und kein Trachten. Das aber bei dem das Trachten hinzutritt – es folgt dem Oberen, dem Geist als nächste Stufe –, das schreitet durch das Hinzutreten des Trachtens nunmehr gewissermaßen aus sich heraus ins Weite, von dem was es im Geist sah ist es gleichsam trächtig, hat Zeugungsdrang und den Trieb die Dinge zu ordnen nach dem Bilde dessen was es im Geiste sah; so wird es eifrig zum Hervorbringen, zur Schöpfung. Aus diesem Eifer streckt sich die Seele zum Sinnlichen; in der Gemeinschaft mit der Allseele ragt sie hinaus über das was sie verwaltet und nimmt Teil an der Fürsorge für das All, mit einem