Vollbringt denn aber wirklich eine alldurchdringende Seele alles, indem jedes Einzelne als Teil sich so bewegt wie das Ganze es führt? Und muß man, wenn die Folgegründe von diesem ersten sich herleiten, ihre reihenweise Verbindung und Verkettung Schicksal nennen, so wie man bei einer Pflanze, für die die Wurzel ihre Grundursache ist, die von da aus sich über alle ihre Teile erstreckende Durchwaltung, der Teile gegenseitige Verflechtung und wechselseitiges Bewirken und Erleiden einen einheitlichen Verwaltungsplan und gewissermaßen das Schicksal der Pflanze nennen würde. Aber erstens, das Übersteigerte dieser Notwendigkeit, eines derartigen Schicksals, eben das hebt das Schicksal und die Ursachenkette und Verflechtung wieder auf. Denn wie es sinnlos wäre, wenn unsere Körperteile sich in ihrer Bewegung nach dem ‘Leitenden’ in uns richten, diese Bewegung Schicksal zu nennen – denn es ist ja das was die Bewegung hervorruft kein andres als das was sie entgegennimmt und von jenem den Antrieb dazu erhält, sondern das, was dem Gliede die Bewegung gibt, ist selbst das oberste Prinzip –, ebenso ist es beim All: wenn das All in Wirken und Leiden ein und dasselbe ist, und also nicht eines durch ein andres geschieht auf Grund von Ursachen die sich immer weiter auf ein anderes zurückführen, dann ist es also nicht wahr daß alles nach Ursachen geschieht, sondern Alles ist vielmehr Eins. Dann sind wir also nicht mehr wir und haben keine eigne Wirksamkeit mehr; wir überlegen nicht mehr selbst, sondern unsere Erwägungen sind Überlegungen eines andern; wir handeln auch nicht mehr, so wie nicht unsere Füße aufstampfen sondern wir mit den entsprechenden Teilen unseres Organismus. In Wahrheit aber muß doch jeder Einzelne ein Einzelner sein, es muß Handlungen und Überlegungen geben die unsere eigenen sind, die guten wie die bösen Taten des Einzelnen müssen aus ihm als Einzelnem kommen und man darf nicht dem All ihre Hervorbringung zuschieben – wenigstens nicht die der bösen.
[5]Aber vielleicht vollzieht sich das Einzelgeschehen nicht auf diese Weise, sondern der Himmelslauf regiert alles, die Bewegung der Gestirne, und ordnet ein jedes jenachdem wie ihre Stellung zueinander ist nach Aspekt, Aufgang, Untergang, Konjunktion. Denn auf Grund von Schlüssen aus den Gestirnen prophezeit man ja die zukünftigen Ereignisse, im All sowohl wie auch beim einzelnen Menschen, was für ein Geschick, ja auch was für eine Gesinnung er haben wird. Man sehe doch, sagen sie, wie auch die anderen Wesen, Tiere und Pflanzen infolge des sympathetischen Einflusses der Gestirne so wachsen wie abnehmen wie sonst unter ihrer Einwirkung stehen; die Gegenden der Erde seien unterschieden gemäß ihrer Lage zum Weltall, insbesondere zur Sonne; von der Erdgegend aber seien abhängig nicht nur Pflanzen und Tiere sondern auch die Menschen in Gestalt Größe Farbe, in Leidenschaften und Begierden, Lebensführung und Charakter. Somit ist die Himmelsbewegung Herr über alles.
Dagegen ist erstlich zu sagen, daß auch dieser Denker, wenn auch in anderer Weise, jenen Prinzipien unser Eigenes ausliefert, Wille und Affekt, schlechte Regungen und Triebe, und indem er uns selbst nichts zuteilt, beläßt er uns nur eine Existenz als fallende Steine und nicht als Menschen die von sich aus und aus ihrem Wesen eine eigene Wirksamkeit haben. Man muß uns aber das uns Eigene geben, und dann müssen auf bestimmte Dinge die nunmehr unser und uns eigen sind, bestimmte Dinge aus dem All einwirken; man muß unterscheiden was wir wirken und was wir infolge einer Notwendigkeit erleiden, und nicht alles jenen Himmelskörpern ausliefern. Ferner, es geht gewiß eine Wirkung auf uns aus von der Himmelsgegend und von der jeweiligen Atmosphäre, z. B. Erwärmung oder Abkühlung in der Mischung (aus der wir sind) – aber doch auch von unsern Erzeugern! Sind wir doch meist den Eltern ähnlich im Aussehen und in manchen irrationalen Affekten der Seele. Und weiter, auch dann wenn die Menschen an Aussehen gleich sind nach Himmelsgegenden, beobachtet man doch im Charakter und in der Sinnesart stärkste Abweichung; somit gehen diese Dinge offenbar von einem andern Grunde aus. Das Widerstehen ferner der Seele gegen die Mischungsverhältnisse der Körper und gegen die Begierden könnte man auch hier passend anführen. Wenn sie aber daraus, daß man aus der Beobachtung der Gestirnstellungen das dem einzelnen Geschehende voraussagen kann, schließen wollen daß dies Geschehen von den Sternen auch bewirkt werde, dann müßten ebenso auch die Vögel das, worauf sie deuten, bewirken, desgleichen alle Zeichen, aus denen die Seher wahrsagen. Zur genaueren Prüfung dieser Frage kann man ferner von Folgendem ausgehen. Sie behaupten, das was man auf Grund der Konstellation der Gestirne bei der Geburt des Einzelnen voraussagt, das geschehe auch durch die Sterne, sie seien nicht nur die Anzeiger sondern auch die Bewirker. Aber wenn die Astrologen von einem sagen er sei edler Herkunft, d. h. also väterlicher- und mütterlicherseits von angesehenen Eltern, wie kann man dann behaupten daß die Gestirne das bewirken, was ja an den Eltern schon vorher vorhanden ist, ehe die Gestirnkonstellation eintrat auf Grund derer sie prophezeien? Ja sie geben auch die Schicksale der Eltern nach der Nativität der Kinder an, sogar bei noch nicht geborenen Kindern geben sie auf Grund der elterlichen Nativität ihre künftigen Charaktere an und welche Schicksale sie haben werden, und nach dem Horoskop eines Bruders den Tod eines andern, nach dem von Frauen die Schicksale der Männer und umgekehrt. Wie kann aber die eigene Konstellation des Einzelnen das bewirken, dessen Eintreffen schon auf Grund der väterlichen Nativität prophezeit wird? Entweder muß doch schon jene elterliche Konstellation diejenige sein, die die Wirkung hat, oder, wenn jene nicht wirkt, dann doch auch nicht die eigene. Weiter aber, die Ähnlichkeit des Aussehens mit den Eltern bekundet ja deutlich, daß so Schönheit wie Häßlichkeit aus der Familie kommen und nicht aus der Gestirnbewegung.
Sodann muß man doch annehmen, daß zur selben Zeit vielerlei Tiere wie auch gleichzeitig Menschen geboren werden. Alle diese müßten ja nun dieselben sein, da sie die gleiche Konstellation haben; wie sollen aber im gleichen Augenblick sowohl Menschen wie Tiere von den Gestirnstellungen hervorgebracht werden? In Wahrheit entstehen alle Einzelwesen nach ihrer Natur[6], als Pferd weil aus einem Pferd, als Mensch weil aus einem Menschen und als Wesen von der und der Art, weil aus einem Wesen von der und der Art. Mag denn dabei die Himmelsbewegung mitwirken, indem sie den werdenden Wesen den Hauptanteil überläßt; mögen die Gestirne zur Gestaltung des Körpers vieles körperlich beitragen, Wärme und Kälte und die daraus sich ergebenden körperlichen Mischungsverhältnisse – aber unmöglich doch die Charaktere und Neigungen, insbesondere das was offensichtlich nicht untertänig ist den körperlichen Mischungsverhältnissen, z. B. wer zur Philologie neigt und wer zur Geometrie oder zum Würfelspiel, und wer Erfinder auf diesen Gebieten wird; Schlechtigkeit des Charakters aber, wie kann sie von ihnen die Götter sind, gegeben werden, und überhaupt die Übel die man ihnen, wenn sie in schlechten Zustand geraten, zuschreibt, weil sie untergehen und unter die Erde wandern? Als ob ihnen etwas sonderliches widerführe, wenn sie von uns aus gesehen untergehen, während sie doch immer auf der Himmelssphäre sich bewegen und immer die gleiche Stellung zur Erde haben. Auch darf man nicht sagen daß diese Götter, je nachdem sie den einen oder den andern Mitgott ‘anblicken’ in dieser oder jener Konstellation, schwächer oder stärker sind, so daß sie wenn es ihnen gut geht, uns wohltäten und im andern Falle uns schadeten; vielmehr soll man sagen, daß die Bewegung der Gestirne der Erhaltung der Welt dient, und daß sie daneben noch einen andern Nutzen