Al Capone Staffel 1 – Kriminalroman. Al Cann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Al Cann
Издательство: Bookwire
Серия: Al Capone Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783863775209
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den Hut.

      »Entschuldigen Sie, vielleicht habe ich Sie ganz unnötig gestört. Ich bin Schriftsteller und möchte für den Winter ein Haus hier draußen mieten. Ich habe weiter unten etwas gesehen, das für fünfhundert Dollar vermietet werden soll, aber es ist weit weniger idyllisch gelegen als Ihres. Eine Frau oben an der Straße sagte mir, daß Sie vielleicht auch vermieten würden?«

      Es war ein billiger Trick. Ness war auch keineswegs stolz darauf; aber es war andererseits ein Trick, der nicht selten erfolgversprechend war. Hatte der Inspektor doch die Erfahrung machen müssen, daß Leute, die vor der Stadt wohnten und nicht gerade allzu wohlhabend aussahen, dazu vielleicht noch alleinstehend waren, niemals direkt nein sagten, wenn man sie fragte, ob sie ihr Haus vermieten wollten. Das war eine Erfahrungstatsache; eine der vielen tausend kleinen Hilfen, die der Polizeioffizier Eliot Ness zur Erreichung seiner Ziele immer wieder einsetzte. Vielleicht kein sehr feiner Trick, aber da er ja niemandem schadete, mußte der Zweck das Mittel heiligen.

      Der Mann hatte die Pfeife wieder in den Mund gesteckt, zog daran und paffte eine blaßblaue Tabakswolke vor sich hin, die sein Gesicht sekundenlang verschwinden ließ.

      Der Inspektor hatte inzwischen Zeit, die übrige Erscheinung des Mannes zu mustern. Der rote Pullover war abgetragen und mit andersfarbiger Wolle mehrfach gestopft worden. Die Blue jeans waren blankgewetzt, und die braunledernen Pantoffeln hatten sicherlich auch ihre Pflicht längst getan. Das blaue Hemd wirkte verwaschen wie der Pullover, und als jetzt das Gesicht des Mannes wieder zum Vorschein kam, sah der Inspektor, daß es schlecht rasiert war und keinen sonderlich gepflegten Eindruck machte. Der Mann hatte eine ungesunde gelbliche Haut und graue Augen, unter denen dicke Tränensäcke lagen. Das Haar war an den Schläfen leicht ergraut und sicherlich schon seit Monaten nicht mehr unter die Schere eines Friseurs gekommen.

      »Ja, dann kommen Sie mal ins Haus«, meinte Lubber. Er wandte sich um und schlurfte vor dem FBI-man in die Diele seines Hauses. Es war ein kleines Gebäude mit vielleicht vier, fünf Zimmern und einer breiten Veranda. Und es war so von Pfeifenrauch durchzogen, daß der Inspektor es anstelle des vorgeblichen Schriftstellers selbst dann nicht genommen hätte, wenn der Mann statt der Miete noch eine Zugabe von fünfhundert Dollar gemacht hätte.

      Lubber hatte die Tür zur Wohnstube aufgestoßen, und der Inspektor blickte in einen Raum, der so vollgestopft mit scheußlichen Bildern war, daß nicht nur das Terpentin und die Farben einen den Atem benahmen. Auf einer gewaltigen Staffelei stand ein riesiges Bild, das ganz in kaltem Kobaltblau ?

      Der Mann deutete mit dem Mundstück der Pfeife darauf, grinste seltsam starr und meinte:

      »Es ist mein neuestes. Vor kurzem erst fertiggestellt.

      Der Inspektor nickte. »Aha, und was stellt es dar?«

      »Ja, ich hatte da natürlich eine ganz besondere Vorstellung. Es sind Fabrikschornsteine um Mitternacht. Eine ganz dunkle Nacht, wissen Sie, und dann müssen Sie die Quellpunkte der Arbeit bedenken. Das ist etwas ganz Wichtiges, der Quellpunkt. Nur wer den gründlich studiert hat, kann wirklich die Tiefe einer solchen Arbeit begreifen. Wissen Sie, ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht…«

      Während er sprach, ging er hastig im Zimmer auf und ab und blieb schließlich am Fenster stehen, wobei er dem Inspektor den Rücken zukehrte.

      Der Ausblick aus dem mit Farbklecksen bedeckten Fenster war nicht allzu angenehm. Man sah in einen ungepflegten Garten, der im regnerischen Novembermittag da lag und alles andere als eine einladende Aussicht bot.

      Irgendwoher kam der scharfe Geruch von Ammoniak, und ein penetranter Küchendunst mischte sich darunter, der auf Kohl hinwies.

      Der Inspektor hätte etwas darum gegeben, wenn der »Maler« einen Moment das Fenster geöffnet hätte. Statt dessen schloß der Mann noch das Oberlicht, und als er seinen Vortrag jetzt beendet hatte, wandte er sich um und sagte:

      »Übrigens, mein Name ist Lubber.«

      »Ja, ich weiß, ich habe ja von Ihnen gehört.« Sofort hob der Mann den Kopf, nahm die Pfeife aus dem Mund, öffnete die Lippen ein wenig und seine riesigen gelben Zähne, die vorn in der Mitte weit auseinanderstanden, kamen zum Vorschein.

      »Ach – wo haben Sie von mir gehört?«

      »Von der Frau, ich erzählte es Ihnen doch.«

      »Ach so, ja. Die Leute reden viel. Nein, nein, es soll erst noch alles kommen. Alles ist noch im Wachsen und Werden, wissen Sie.« Mit einer theatralischen Geste hob er die Hand, deutete auf das Gemälde der Fabrikschornsteine um Mitternacht und meinte: »Ein Künstler kommt erst in der Mitte seines Lebens auf den Weg, der ihn zum Zenit führt, und bei mir, ja…« Er hielt plötzlich inne und lachte auf eine sonderbare Art gurrend in sich hinein. Dann hielt er plötzlich den Atem an, schloß die Augen und zog den Mund so weit auseinander, daß die Mundwinkel die Ohren fast erreichten. Es war ein erschreckender Anblick, und der Inspektor befürchtete schon, daß dem Mann die Luft wegbleiben würde.

      Da aber japste Lubber plötzlich mit schon puterrotem Gesicht nach Luft, riß die Augen sperrangelweit auf, schob den Zeigefinger nach vorn wie ein Komiker und hob das Kinn an. »Ja, man muß das alles richtig verstehen«, dozierte er. »Die Dinge wollen geistig ausgeleuchtet werden. Mit Farben ist es ganz ähnlich. Man kann überhaupt nur mit Tönen oder mit Farben die Dinge ausleuchten und sehen. Ich bin ein Mann der Farben. Die Harmonie der Farbe ist das Schönste im Leben. Nur wer das richtig versteht, hat das Leben überhaupt begriffen. Es ist doch der Sinn aller Dinge…« Fast eine halbe Stunde mußte sich der Inspektor eine Tirade über den Sinn des Lebens oder vielmehr über den Unsinn der Vorstellung, die der Maler Harry Lubber davon hatte, anhören.

      Vertane Zeit! dachte Ness. Er bereute bereits, den Weg hier heraus gemacht zu haben. Aber er war es ganz einfach gewohnt, jeder Spur nachzugehen, und wenn sie auch noch so unbedeutend zu sein schien.

      Aber war hier überhaupt eine Spur? Hatte er sie nicht selbst gesucht? Wie konnte er hoffen, bei diesem Mann eine Spur des Mörders Sillot zu finden. Geschweige denn eine Spur jenes Mannes, der die beiden Morde im Washingtonpark verübt hatte.

      Es waren die Unwägbarkeiten im Leben des Eliot Ness, die ihn hierhergeführt hatten. Er stand unter dem großen Jupiterstern, der ihn in einer schwindelnd steilen Kurve aufwärts führen würde. Auch wenn er einmal einen Weg vergeblich getan hatte.

      Er unterbrach den nicht versiegenden Redestrom des anscheinend etwas wirren seltsamen Malers und deutete an, daß er sich verabschieden wollte.

      »Ich werde mir das alles überlegen, Mr. Lubber. So schnell kann ich mich allerdings nicht entscheiden, denn ich habe noch zwei weitere Angebote. Aber es gefällt mir wirklich gut, und ich könnte mir vorstellen, daß es sich hier ausgezeichnet arbeiten läßt.«

      Da kam der Maler plötzlich mit einer Schnelligkeit auf ihn zu, die der Inspektor ihm nie zugetraut hätte. Dicht vor ihm blieb er stehen und hob den Kopf an. Das Gesicht mit der gelben großporigen Haut war direkt vor dem des Inspektors. Die Lippen waren von einem weißen Rand umgeben und mit rissiger Haut bedeckt. Die Augen lagen zu weit auseinander. Und was für große Ohren der Mann hatte; die Lappen reichten ihm fast bis auf die Schultern und waren gelblich wie bei einem Toten im Leichenschauhaus. Eine messerscharfe Falte zog sich von der linken Augenbraue quer durch die Stirn bis zu einer Narbe unterm Haaransatz. Das Frappierendste in diesem Gesicht aber waren die Augen. Sie wirkten müde und wach zugleich, und wie scharfe Deckel fielen die rötlichen Lider schräg darüber.

      Wie war das, erinnerte sich der Inspektor: mit Leuten, deren Augenlider in einer scharfen Falte über den äußeren Augenwinkel fallen, ist nicht gut Kirschen essen.

      Aber das waren Hausweisheiten aus Großmutters Zeiten. So etwas mußte abgeschüttelt werden. Auch der Bäcker gegenüber vom FBI-Bureau unten in der Stadt hatte solche Augenlider, und man konnte nicht behaupten, daß deshalb schlecht mit ihm Kirschen essen sei.

      Aber der Bäcker Florian Cramer war auch nicht der Freund des Verbrechers José Sillot!

      War dieser Mann wirklich Sillots Freund? Das war noch keineswegs bewiesen, und der Inspektor konnte ihm ausgerechnet diese Frage nicht stellen. Überhaupt,