Auch nach dem Einzuge der preußischen Truppen in Holstein hatte der Prinz nämlich nicht aufgehört, sich als dem Landesherrn huldigen zu lassen. Solche Thatsachen empfand der König als Verletzungen seines Hoheitsrechtes. Er gab in einem eigenhändigen Schreiben dem Wunsche Ausdruck, der Erbprinz möchte die Herzogtümer verlassen, um die Schwierigkeiten der Lage zu vermindern. Derselbe hatte früher einige Jahre in Potsdam beim ersten Garderegiment gestanden und war als Besitzer einer Herrschaft in Schlesien preußischer Unterthan. Der König war daher unangenehm überrascht, als eine bestimmt ablehnende Antwort einging.
Am 6. Juli wurde der Geburtstag des Erbprinzen in mehreren Städten der Herzogtümer, namentlich in Kiel, durch öffentliche Veranstaltungen gefeiert; auch empfing er verschiedene huldigende Deputationen. Fast gleichzeitig erhielt der König in Karlsbad ein Rechtsgutachten der Kronjuristen, welches den Anspruch des Hauses Augustenburg auf die Thronfolge in den Herzogtümern verneinte.
Das Kronsyndikat, welches im Dezember 1864 aufgefordert war, die augustenburgischen, oldenburgischen und brandenburgischen Ansprüche zu prüfen, bestand damals aus 18 Juristen, von denen sich 14 in absolut unabhängigen Stellungen befanden. Ihr Beruf30 war nicht etwa, Rechte der Krone zu vertreten, sondern, dem König auf Befragen über zweifelhafte Rechtsverhältnisse Auskunft zu geben. Diese Männer, unter welchen sich die ersten juristischen Autoritäten des Landes befanden, hatten nach gründlicher Prüfung des ganzen urkundlichen Materials durch Majoritätsbeschluß festgestellt, daß die augustenburgischen Ansprüche infolge des Verzichts des Herzogs Christian erloschen seien und daß kein anderes Hoheitsrecht in den Herzogtümern bestehe als das von Preußen und Oesterreich durch den Wiener Frieden erworbene.
Durch dieses Gutachten fühlte der König sich von den Gewissensbedenken erlöst, welche ihn 1864 in Schönbrunn und später verhindert hatten, für die Annexion einzutreten.
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Am 26. Juni schlossen sich Bismarck und Abeken dem Gefolge des Königs in Karlsbad an, ich konnte mich erst einige Tage später dort melden. Wir wohnten diesmal in der hoch über dem Sprudel inmitten eines schattigen Gartens einsam gelegenen Villa „Helenenhof“.
Einige Wochen vorher hatte ein Hofbeamter mir diese Wohnung für den Minister telegraphisch angeboten, und in Abwesenheit desselben hatte ich sie gemietet, ohne zu bedenken, daß das täglich mehrmalige Ersteigen von vielleicht hundert Treppenstufen ihm lästig sein würde. Beim Ankommen sagte er zu Abeken: „Die Aussicht ist ja hier recht schön; aber die Wohnung paßt doch mehr für einen Dichter als für einen Geschäftsmann.“ Er soll in den ersten Tagen über das viele Steigen geklagt haben; empfänglich aber war er für die reine Luft auf der kleinen Höhe. Auch daß unmittelbar unter seinem Schlafzimmer ein Paar Kühe standen und sich mitunter hörbar machten, war ihm angenehm. Alles, was an das Landleben erinnerte, pflegte ihn anzuheimeln. Als ich ankam, verlor er kein Wort über die Wohnung.
Abeken, auf dessen Leistungsfähigkeit gerade in diesen Wochen viel ankam, wurde durch den Aufenthalt in diesen idyllischen Umgebungen sichtlich erfrischt und gestärkt. Unsere kameradschaftliche Freundschaft befestigte sich und ist niemals auch nur für einen Augenblick durch irgendeine Mißempfindung getrübt worden. Die Geschäftsverteilung zwischen uns war dieselbe wie im Jahre vorher; Abeken bearbeitete die ganze politische Korrespondenz, welche damals Wien gegenüber ernste Töne anzuschlagen hatte.
Man war über die Behandlung der Februarbedingungen einig geworden, aber die Anwesenheit des Erbprinzen in Holstein erwies sich als ein unübersteigliches Hindernis der Verständigung. Wir bezeichneten die fortgesetzten öffentlichen Demonstrationen für einen willkürlich aufgestellten Landesherrn als unverträglich mit dem unanfechtbaren Hoheitsrechte des Königs.
Man erwog alle für den Fall der Selbsthilfe erforderlichen Vorkehrungen und faßte die Möglichkeit des Krieges mit Oesterreich scharf ins Auge.
Zum 21. Juli berief der König alle Minister sowie Goltz und Werther nach Regensburg. Dort wurde die letzte nach Wien zu richtende Depesche festgestellt, welche darauf hinausging, daß, wenn Oesterreich der Herstellung der Ordnung in den Herzogtümern zuzustimmen beharrlich ablehne, Preußen einseitig das Erforderliche vorkehren werde.
Bezügliche Befehle sollten jedoch während der beabsichtigten Anwesenheit des Königs in Gastein noch nicht erlassen werden; man hatte schon in Karlsbad das Anerbieten des Grafen Mensdorff, einen Vertrauensmann zur Besprechung der Lage zu senden, bereitwillig angenommen.
Auf der Reise von Regensburg nach Gastein gab es einen Ruhetag in Salzburg. Dorthin kam Pfordten, welcher, obwohl ein Führer der Mittelstaaten, doch in manchen Beziehungen unseren Anschauungen weniger fernstand als Beust. Bismarck legte ihm mit rückhaltloser Offenheit die Schwierigkeiten der Lage dar, worauf Pfordten die relative Berechtigung unserer Auffassung anerkannte und sowohl auf Graf Mensdorff wie auf den Erbprinzen vermittelnd einwirken zu wollen erklärte.
Zwei Tage später wurde in Altona der Redakteur der Schleswig-Holsteinischen Zeitung, ein preußischer Unterthan Namens May, wegen der strafbaren Angriffe seiner Zeitung auf den König von einer preußischen Patrouille gefangen genommen und nach der Festung Rendsburg abgeführt. Gegen dieses Verfahren protestierten die Kieler Landesregierung und Baron Halbhuber. Briefe, welche den Letzteren kompromittierten, wurden unter Mays Papieren gefunden.
In Wien war inzwischen eine seit längerer Zeit vorbereitete vollständige Wandlung der inneren Politik durch einen Ministerwechsel zum Ausdruck gekommen. Nur Graf Mensdorff, der Kriegsminister und Graf Moritz Esterhazy blieben davon unberührt; aber Herr von Schmerling, der Leiter der liberalen inneren Politik, und seine gleichgesinnten Kollegen wurden entlassen. Schmerling hatte zwar einige Jahre hindurch das Parlament mit ungewöhnlichem Geschick geleitet, vermochte aber zuletzt weder das stetig wachsende Deficit im Staatshaushalt zu beseitigen noch wiederholte Abstriche unerläßlicher Forderungen im Militäretat zu verhindern. Auch sein Verhalten gegen die grollenden Ungarn führte nicht zu annehmbaren Ergebnissen; seine Stellung wurde unhaltbar.
Schmerling war in Uebereinstimmung mit Biegeleben und mit der großen Mehrzahl seiner Landsleute von dem Gedanken Schwarzenbergs erfüllt, daß zum Gedeihen des Reiches die Niederhaltung Preußens notwendig sei.
Diese Denkweise war ein natürliches Ergebnis der Vorgänge von 1849 und 1850. Das Frankfurter Parlament hatte die durch Jahrhunderte von den Beherrschern Oesterreichs getragene deutsche Kaiserkrone dem König von Preußen angeboten und dieser hatte daraus ein Anrecht auf die „Unionspolitik“ hergeleitet. Die Erhaltung der Präsidialstellung Oesterreichs im Deutschen Bunde, des letzten Restes des ehemaligen Kaisertums, lag jedem Deutsch-Oesterreicher am Herzen. Man hatte 1850 den Nebenbuhler gedemütigt und man durfte ihn doch nicht mächtig genug werden lassen, um wieder eine Unionspolitik einzuleiten.
Die Mittelstaaten hatten sich im Jahre 1850 als die natürlichen Bundesgenossen erwiesen, in Frankfurt die Präsidialmacht bis 1863 konsequent unterstützt und durch ihre Bestrebungen für Augustenburg die öffentliche Meinung in Oesterreich derselben Richtung zugeführt.
Es ist erstaunlich, daß inmitten dieser Strömungen der ihn umgebenden politischen Welt Graf Rechberg vermocht hat, eine Zeit lang die preußische Politik zu fördern. Von allen Seiten gedrängt, mußte er jedoch schon im Mai 1864 wieder in mittelstaatliche Bahnen einlenken. Nach seinem Sturze dominierte Schmerlings und Biegelebens Einfluß.
Als nun Schmerling fiel, wurde mit dessen innerer Politik von dem Ministerium des Grafen Belcredi vollständig gebrochen, nach kurzer Zeit sogar die Verfassung suspendiert. Rückwirkungen dieses Bruches traten auch in der Gestaltung des Verhältnisses zu Preußen hervor.
Der eigentliche Leiter des neuen Ministeriums, Graf Moritz Esterhazy, stand in enger Fühlung mit den ungarischen Magnaten, haßte die liberalen Deutsch-Oesterreicher wie die liberalen Regierungen und Landtage der Mittelstaaten und hielt für ratsam, mit dem konservativen Preußen eine Verständigung zu suchen. Die öffentliche Meinung verlangte zwar den Krieg, da der preußische Uebermut unerträglich wäre; Esterhazy aber erkannte klar, daß augenblicklich aus militärischen und finanziellen Gründen ein großer Krieg mit Aussicht auf Erfolg nicht unternommen werden konnte. Er begrüßte daher als willkommenes