Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert von Keudell
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783806242683
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am Bundestage ohne irgendwelche thatsächliche Vorkehrungen würde eine Verletzung des Allianzvertrages vom 16. Januar 1864 nicht zu finden sein.

      In Berlin aber meinte man, daß die wochenlangen geheimen Verhandlungen mit den gegnerischen Mittelstaaten und die angekündigte Zustimmung zu deren Antrage am Bunde mit den jedem der beiden Verbündeten vertragsmäßig obliegenden Pflichten nicht vereinbar schiene. Bismarck sagte dem Grafen Karolyi mündlich:

      „Wir sind leider an einen Scheideweg gelangt. Unsre Fahrbillets lauten auf divergierende Linien; und ich wünsche nur, daß wir nicht zu weit auseinanderkommen.“

      Dieser unfreundliche Schachzug des Verbündeten sollte nicht nur mit Worten in Frankfurt bekämpft werden, sondern eine That sollte aller Welt zu erkennen geben, daß wir uns aus Holstein verdrängen zu lassen nicht gesonnen seien. Der König befahl am 24. März die Verlegung der Marinestation von Danzig nach Kiel.

      * * *

      Die Zustände in den Herzogtümern hatten auch nach dem Abzuge der Bundestruppen und nach der Ersetzung der Bundeskommissare durch Vertreter Preußens und Oesterreichs (Zedlitz und Halbhuber) sich in entschieden partikularistischer Richtung fortentwickelt. Der Erbprinz behielt seinen Aufenthalt in einem Vororte Kiels, umgeben von den als seine Minister geltenden Vertrauenspersonen. Diese hatten Anfang 1864 dafür gesorgt, daß zu Mitgliedern der sogenannten Landesregierung fast nur augustenburgisch gesinnte Beamte ernannt wurden, und vermochten auch zu erreichen, daß die bei Uebernahme der Verwaltung von Schleswig erforderliche Verstärkung dieser Behörde in gleichartiger Weise erfolgte. In der Bevölkerung wurde mündlich die Mahnung verbreitet, gegen Verfügungen der Landesregierung niemals Beschwerde zu erheben, damit die Kommissare der Großmächte keine Gelegenheit erhielten, einzugreifen. Ein Netz von Vereinen, welche den Erbprinzen als Landesherren anerkannten, hatte das Land überzogen und die Presse nannte ihn täglich Herzog Friedrich VIII. Dagegen einzuschreiten, war Zedlitz machtlos, weil Baron Halbhuber seinen Instruktionen gemäß jedem bezüglichen Versuche entgegentrat. General Herwarth hatte zwar den Oberbefehl über 16.000 Preußen und die österreichische Brigade Kalik (4800 Mann), war aber nicht imstande, Demonstrationen für den Erbprinzen zu verhindern, weil Graf Mensdorff Eingriffe der bewaffneten Macht in die Civilverwaltung nicht wünschte.

      Die ehrenfeste Bevölkerung fühlte sich gefesselt an den Fürsten, dem sie vor Jahr und Tag als der Verkörperung des Gedankens „Los von Dänemark“ gehuldigt hatte. Diese Gesinnung wurde durch starke Gründe unterstützt in den Städten, welche fast steuerfrei waren und den Druck einer Militärlast, bei der Leichtigkeit Stellvertreter zu mieten, kaum kennengelernt hatten. Den Städtern graute vor dem preußischen Steuersystem und der allgemeinen Wehrpflicht. Das platte Land hatte von der Annexion in materieller Beziehung wenig zu befürchten; der Großgrundbesitz aber wünschte sie, denn er war mit hohen Grundsteuern eingeschätzt und mußte, wenn dem Lande die Uebernahme der Kriegskosten und anderer Schulden mit rund 80 Millionen Thalern zugemutet würde, auf Heranziehung zu fast unerschwinglichen Leistungen gefaßt sein. Baron Scheel-Plessen konnte daher seine Standesgenossen leicht, außer ihnen aber kaum 200 Personen für eine Adresse zu Gunsten der Annexion gewinnen, während für Adressen zu Gunsten Augustenburgs rund 50.000 Unterschriften zusammengebracht wurden.

      Trotz dieser durch Oesterreichs Haltung genährten feindseligen Stimmungen in den Herzogtümern wurde Bismarck nicht einen Augenblick schwankend in dem Vorsatze, zu erringen, was er dort für unsre Sicherheit notwendig hielt, sei es durch Erfüllung der Februarbedingungen, „wenn die Leute sich durchaus einen Herzog für 80 Millionen Thaler kaufen wollten“, oder durch die Annexion.

      Die Bearbeitung der schleswig-holsteinischen Verwaltungssachen war mir übertragen. Es wäre auf diesem Arbeitsfelde in Berlin wenig zu thun gewesen, wenn nicht vier landeskundige Personen sich als Agenten zur Verfügung gestellt und fortlaufend an mich berichtet hätten. Gleich nach der Einnahme von Düppel kam zu mir der in Schleswig wohnende Graf Adalbert Baudissin, ein Mann von sehr einnehmendem Wesen. Er bekannte die Ueberzeugung, daß sein Vaterland des engsten Anschlusses an Preußen bedürfe, und erbot sich, dafür zu wirken. Der Minister hat ihn nur einmal gesehen und mir den weiteren mündlichen und schriftlichen Verkehr mit ihm überlassen. Nach einiger Zeit erhielt er von Zedlitz eine Anstellung beim Deichbau auf den Nordseeinseln, welche ihm erlaubte, öfters umherzureisen und in politischer Berichterstattung fortzufahren.

      Sodann meldete sich ein junger Balte, Baron Ungern-Sternberg, welcher sich in Flensburg niedergelassen hatte, um in gleichem Sinn zu wirken. Seine Berichte enthielten brauchbare sachliche Mitteilungen. Anscheinend war seinen Anregungen zu danken, daß in Flensburg Ende Februar 1865 etwa zwanzig unabhängige Männer sich als „Nationalpartei“ konstituierten, mit dem Programm des engsten Anschlusses an Preußen. Diese kleine Partei verfügte über drei Lokalblätter, doch waren die Zeitumstände für ihre Ausbreitung nicht günstig.

      Zwei andere Männer mit unbekannten Namen lieferten mehr mündliche als schriftliche Berichte. Dem Minister waren alle solche Quellen vielseitiger, wenn auch mit Vorsicht aufzunehmender Nachrichten willkommen und mein Verkehr mit jenen freiwilligen Staatsdienern wurde daher ein ziemlich reger.

      * * *

      Am 16. November 1864 reiste Bismarck nach Stettin, um seine aus Reinfeld ankommende Gemahlin nach Berlin zu begleiten. Sie hatte eine schwere Krankheit überstanden und durfte in den beiden folgenden Monaten noch nicht abends ausgehen, sah aber in ihrem Empfangssaal gern die Hausfreunde. Außer den bereits genannten erschienen jetzt häufig: Postrat von Obernitz, ein feinsinniger Literaturkenner, und Gustav von Loeper, der schon einmal erwähnte Goethe-Herausgeber, dessen gelegentliche literarische Mitteilungen der sehr belesenen Hausfrau stets willkommen waren. Der Minister aber ließ sich mitunter gern von seinen Studien über den Faust erzählen.

      Der schon erwähnte Herr von Dewitz-Milzow kam einige Mal in Begleitung seiner beiden anmutigen Töchter. Nicht selten wurden auch zufällig anwesende befreundete Familien aus Pommern, Ostpreußen, Kurland oder Schlesien für einen Abend eingeladen, was jedoch weder die äußeren Einrichtungen noch den Ton des Gesellschaftssaales im Mindesten zu beeinflussen pflegte.

      Der Minister schien weniger von Geschäften überlastet als in dem Winter des dänischen Krieges, in welchem er nur zweimal an Hofjagden teilgenommen hatte. Jetzt konnte er nicht weniger als dreizehn Tage der Jagd widmen, meistens im Gefolge des Königs. Diners außer dem Hause suchte er möglichst zu vermeiden, abends aber ging er nicht selten auf eine Stunde in Gesellschaft. Als ich Anfang Januar in dem nahe dem Auswärtigen Amt gelegenen Hotel Royal für zufällig anwesende Verwandte und den Freundeskreis des Hauses Bismarck einen kleinen Ball gab, erschien zu aller Ueberraschung um Mitternacht der Minister. Am 1. Februar besuchte er mit Gemahlin und Tochter einen Hofball im „weißen Saale“.

      Zwischen solchen Wochen, in denen er rüstige Vollkraft zu besitzen schien, gab es auch Tage, an denen er sich recht unwohl fühlte und über Schmerzen im Gehirn, im Gesicht oder im linken Bein klagte. Wegen seiner Gesundheit war ich nie ohne Sorge. An meinen Bruder schrieb ich im Februar: „Wenn Bismarck nur noch zwei Jahre lebt, bekommen wir hoffentlich Schleswig-Holstein.“ Daß Bismarck schlechthin unersetzlich war, daß niemand außer ihm in den dunkeln Labyrinthen der damaligen auswärtigen und innern Politik die gangbaren Pfade zu finden vermocht hätte, davon waren alle überzeugt, die ihm näherstanden.

      Zu diesen Personen gehörte schon damals Herr Gerson Bleichröder, Chef des Bankhauses S. Bleichröder, ein Mann von ungewöhnlichen Fähigkeiten. Sein Verstand war so lebendig wie durchdringend, sein Gedächtnis zuverlässig, sein Herz fest und treu. Das bei ihm deponierte Kapitalvermögen des Ministers gab ihm fast nichts zu thun, weil Spekulationen irgendwelcher Art mit dessen Werten verboten waren; aber seine Stellung zu dem Pariser Hause Rothschild führte ihm mitunter einen politischen Auftrag zu. Die Frankfurter Familie Rothschild ist bekanntlich in Wien, Paris und London verzweigt; ihr Vertreter in Berlin aber war Bleichröder. Nun hatte der damalige Chef des Pariser Hauses, Baron James Rothschild, jederzeit freien Zutritt zum Kaiser Napoleon, der ihm nicht nur über Finanzfragen, sondern auch über Politik ein freies Wort zu gestatten pflegte. Dies bot die Möglichkeit, durch Bleichröder und Rothschild an den Kaiser Mitteilungen gelangen zu lassen, für welche der amtliche Weg nicht geeignet schien. In jenen Jahren hielt Bismarck für geboten, die Beziehungen zu dem mächtigen Monarchen