Die gelegentlichen Aufträge des Ministers an Bleichröder hatten zur Folge, daß dieser sich als Hilfsarbeiter des Auswärtigen Amtes fühlte und demnach, wenn er von Bismarck sprach, ihn „unsern hochverehrten Chef“ zu nennen pflegte. Weiteren Kreisen durfte der politische Grund seiner öfteren Besuche im Auswärtigen Amte natürlich nicht bekannt werden. Es erhob sich daher manchmal das Gerücht, daß Bismarck durch Bleichröder für sich Börsengeschäfte machen ließe, was thatsächlich niemals geschehen ist. Er hat oft genug ausgesprochen, es sei völlig unerlaubt, seine Kenntnis der politischen Lage zu Spekulationen zu benutzen; ein Minister, der sich damit befasse, müsse in Versuchung kommen, seine politischen Entschlüsse durch Rücksichten auf persönliche Vorteile oder Nachteile beeinflussen zu lassen, und könne daher keine gute Politik machen.
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Als im Frühjahr 1865 die Möglichkeit eines Waffenganges gegen Oesterreich ins Auge gefaßt werden mußte, hielt Bismarck für dringend wünschenswert, mit dem Landtage Frieden zu schließen auf der Grundlage einer Konzession im Militäretat. Roon war mit ihm darüber einig, daß bei der Infanterie das dritte Dienstjahr ohne erhebliche Nachteile entbehrt werden könnte, we n n bei jedem Bataillon ein starker Stamm von altgedienten Leuten, sogenannten Kapitulanten, geschaffen würde. Diese wären natürlich höher zu besolden; und um die dazu nötigen Mittel zu gewinnen, müßte man zu dem System der Stellvertretungsgelder nach dem Muster der damals in Frankreich bestehenden Einrichtungen übergehen. Dort pflegten die Wohlhabenden sich vom persönlichen Dienst loszukaufen. So wenig dieses Beispiel anmutete, so trat doch das ganze Staatsministerium diesen Vorschlägen bei, welche dann von Bismarck und Roon an maßgebender Stelle vorgetragen wurden.
Der König wollte zwar eine Ausgleichung des Verlustes des dritten Dienstjahres durch bedeutende Vermehrung der Kapitulanten als möglich, wenn auch ungewiß gelten lassen, entschied aber, daß Einführung der Stellvertretungsgelder mit dem Grundsatze der allgemeinen Wehrpflicht unvereinbar sei.
Eine andere Finanzquelle stand nicht zu Gebote; der beabsichtigte Aussöhnungsversuch mußte daher aufgegeben werden.
Diesen Vorgang, von dem ich im Jahre 1865 nichts erfuhr, hat mir vier Jahre später der Minister des Innern, Graf Eulenburg, auf einem Spaziergange in Varzin ausführlich erzählt. Er knüpfte daran die Bemerkung, daß die vom Könige gegen die Wünsche des Ministeriums getroffene Entscheidung für das Land segensreich gewesen sei. Im Jahre 1866 habe man den unschätzbaren praktischen Wert der allgemeinen Dienstpflicht erkannt; nicht nur im Felde, wo die höher gebildeten Gemeinen durch ihre Begeisterung die mitunter stumpfen Kameraden fortrissen, sondern auch in der Heimat. Der Kleinbauer, der einen Sohn verlor, habe einen gewissen Trost empfunden, wenn sein reich begüterter Nachbar von gleichem Unglück betroffen wurde.
Im Mai 1865 erhielt Bismarck von unserem früheren Gesandten in Konstantinopel, General von Wildenbruch, dem Vater des Dichters, einen vertraulichen Brief, welcher genau dieselben Vorschläge zur Verständigung mit dem Landtage enthielt. Er gab mir das Blatt mit den Worten: „Ich habe von Wildenbruch bisher nur wenig gewußt; jetzt sehe ich, daß er ein grundgescheiter Mann ist.“
Obwohl die erwähnte Erzählung Eulenburgs für mich keiner Beglaubigung bedarf, so gewährt es mir doch eine gewisse Befriedigung, von Bismarck selbst diese indirekte Bestätigung derselben erhalten zu haben28.
Der Versuch Bismarcks, eine Grundlage zur Verständigung mit dem Abgeordnetenhause zu finden, mißlang also; die Kluft erweiterte sich immer mehr, der Ton der Volksvertreter gegen die Minister, namentlich gegen den Kriegsminister, wurde immer feindlicher. Das verbitterte Haus ließ sich weder durch die glänzenden Thaten des Heeres noch durch die Befreiung der Elbherzogtümer vom dänischen Joch zu irgendeinem thatsächlichen Entgegenkommen bewegen. Der Militäretat wurde wieder um die Kosten der neuen Regimenter gekürzt, der ganze Etat wieder vom Herrenhause verworfen. Die ausführlich motivierten Forderungen für Erweiterung der Marine wie für Deckung der Kosten des dänischen Krieges wurden rund abgelehnt.
Bei den Verhandlungen über Vorlagen wegen der Marine und der Kriegskosten hielt Bismarck merkwürdige Reden, aus welchen ich hier einige Auszüge gebe.
Am 1. Juni führte er aus, die in den letzten zwanzig Jahren oft und lebhaft hervorgetretenen Sympathien für die Marine würden jetzt verleugnet; der maritime Ehrgeiz der preußischen liberalen Partei schiene einigermaßen reduziert zu sein. Man wolle so lange, bis es nicht gelungen wäre, andere deutsche Staaten in Mitleidenschaft zu ziehen, nicht nur deren Handel, sondern auch den preußischen Handel in der verhältnismäßigen Schutzlosigkeit belassen, in der er sich jetzt befinde. Der Heranziehung anderer Staaten zu schweren Lasten stehe aber entgegen, daß im Allgemeinen in Deutschland partikulare Interessen stärker sind als der Gemeinsinn. Die Existenz auf der Basis der Phäaken sei bequemer als auf der Basis der Spartaner. Man lasse sich gern schützen, aber man zahle nicht gern und am allerwenigsten gäbe man das geringfügigste Hoheitsrecht zum Besten der allgemeinen Interessen auf. Er (der Minister) sei nicht darauf gefaßt gewesen, in dem Kommissionsberichte eine indirekte Apologie Hannibal Fischers zu finden, der die deutsche Flotte unter den Hammer brachte. Auch jene deutsche Flotte sei daran gescheitert, daß in den deutschen Gebieten, ebenso in den höheren regierenden Kreisen wie in den niederen, die Parteileidenschaft mächtiger war wie der Gemeinsinn.
Dann fuhr er fort:
„Sie zweifeln, ob es mir gelingen wird, Kiel zu erwerben.
„Wir besitzen in den Herzogtümern mehr als Kiel; wir besitzen die volle Souveränetät in den Herzogtümern in Gemeinschaft mit Oesterreich … Unser Besitz ist ein gemeinsamer – das ist wahr – mit Oesterreich. Nichtsdestoweniger ist er ein Besitz, für dessen Aufgebung wir berechtigt sein würden, unsere Bedingungen zu stellen. Eine dieser Bedingungen, und zwar eine der ganz unerläßlichen … ist das künftige alleinige Eigentum des Kieler Hafens für Preußen …
„Wir fordern nichts als die Möglichkeit, Deutschland zur See wehrhaft zu machen in dem Umfange, in dem uns dies mit den Mitteln der Herzogtümer erlaubt sein wird, und gegen die Wahrscheinlichkeit, Düppel in nicht gar zu langer Zeit noch einmal belagern und stürmen zu müssen, diejenige Garantie zu gewinnen, die die Hilfsquellen der Herzogtümer geben können …
„Zweifeln Sie dennoch an der Möglichkeit, unsere Absichten zu verwirklichen, so habe ich schon in der Kommission ein Auskunftsmittel empfohlen: Limitieren Sie die Anleihe dahin, daß die erforderlichen Beträge nur dann zahlbar sind, wenn wir wirklich Kiel besitzen, und sagen Sie: kein Kiel, kein Geld … Die Fälle, wo Sie glauben, diplomatische Erfolge gewonnen zu haben, und auf welche Sie sich an einer anderen Stelle des Berichtes berufen, passen nicht.
„Sie schreiben es der liberalen Strömung, dem Einfluß dieses Hauses zu, daß der Zollverein rechtzeitig wiederhergestellt sei. Ich erinnere Sie an die Thatsache, daß der erste Staat, der aus der Koalition unserer Gegner ausschied, der die Bresche legte, vermöge deren die Stellung der übrigen unhaltbar wurde, der beide Landesteile Preußens verbindet, so daß er eine Barriere zwischen den Nordseestaaten und den Binnenstaaten schafft, daß dies Kurhessen war. Nun glaube ich wohl, meine Herren, daß Sie einen großen Einfluß auf manche Regierungen Deutschlands ausüben mögen, aber auf Kurhessen nicht.
„Ich komme dabei zurück darauf, daß der Herr Vorredner29 uns empfahl, wir hätten die Zollvereinskrisis stärker ausnützen sollen, um politische Vorteile zu Gunsten einer bundesstaatlichen Vereinigung daraus zu gewinnen, wenn auch nur die Anfänge davon. Ich habe dieselbe Idee gehabt bei der vorigen Zollvereinskrisis vor zwölf Jahren. Ich war damals noch neu in den Geschäften. Wenn man längere Zeit darin gewesen ist, dann überzeugt man sich, daß das Bedürfnis der Rekonstituierung des Zollvereins nicht stark genug ist, um dafür eine Souveränitätsverminderung den Fürsten annehmbar zu machen