Begegnungen mit Bismarck. Robert von Keudell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert von Keudell
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783806242683
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erlaubten oder unerlaubten Mitteln zu verhindern. Es wäre nach meinem Gefühle Landesverrat gewesen, den unersetzlichen Mann einer Bleikugel oder dem Strafrichter entgegengehen zu lassen.

      Bei der am 13. Juni stattfindenden Beratung der Kriegskostenvorlage erinnerte Bismarck daran, welche Befürchtungen das Haus im Dezember 1863 durch Annahme der Resolution Schulze-Delitzsch zu erkennen gegeben hatte. Darin sei gesagt worden, „daß dieser Gang in der preußisch-österreichischen Politik kein anderes Ergebnis haben kann, als das: die Herzogtümer zum zweiten Mal an Dänemark zu überliefern; daß die königliche Staatsregierung, indem sie diese rein deutsche Sache als europäische behandelt, die Einmischung des Auslandes herbeizieht; daß die angedrohte Vergewaltigung den berechtigten Widerstand der übrigen deutschen Staaten und damit den Bürgerkrieg in Deutschland herausfordert“.

      Alle diese Befürchtungen seien nicht eingetroffen. Auch die von dem Hause damals positiv bezeichneten Wünsche seien erfüllt oder, soweit die Erfüllung in Betreff der Einsetzung des Herzogs rückständig, liege sie, wie früher erwähnt, ganz in unserer Hand und könne erfolgen, sobald wir die Sicherheit hätten, daß die im Interesse Preußens und des gesamten Deutschlands an die Herzogtümer zu stellenden Forderungen durch den Herzog erfüllt werden würden.

      Man werfe der Regierung vor, daß der von ihr eingeschlagene Weg uns in Schleswig-Holstein einen Mitbesitzer gegeben habe; der von dem Hause empfohlene Weg aber würde uns 32 Mitbesitzer gegeben haben und an deren Spitze den jetzigen, und zwar nicht mit derselben Gleichberechtigung, sondern mit der Ueberlegenheit der Präsidialmacht und als Führer der Bundesmajorität gegen Preußen.

      Ferner habe ein Redner getadelt, daß wir eine Gelegenheit versäumt hätten, uns an die Spitze der mittleren und kleineren Staaten Deutschlands zu stellen. Wenn der Herr eine Zeit lang Bundestagsgesandter in Frankfurt gewesen wäre, so würde er sich überzeugt haben, daß die Majorität der Mittel- und Kleinstaaten sich nicht freiwillig einer preußischen Aktion unterzuordnen bereit gewesen wäre, ohne Preußen in der Ziehung der Konsequenzen aus dieser Aktion zu hemmen.

      Dann fuhr der Minister fort:

      „Die Frage, über die ich hier einen Ausspruch des Hauses noch mehr als über die finanzielle erwartet hätte, ist die politische, die Frage der Gegenwart und Zukunft. Diese Frage nun, die seit 20 Jahren in dem Vordergrunde des deutschen politischen Interesses gestanden hat, diese Frage harrt gegenwärtig der Lösung. Sie, meine Herren, sind durch die Vorlage der Regierung in die Lage gesetzt, sich zu äußern. Sie haben die Gelegenheit zu sprechen – ich möchte sagen, Sie sind en demeure gesetzt, zu reden. Das Land hat ein Recht, zu erfahren, was die Meinung seiner Landesvertretung über die Sache sei …“

      „Ich halte es für die Herzogtümer allerdings außerordentlich viel vorteilhafter, Mitglied der großen preußischen Genossenschaft zu werden, als einen neuen Kleinstaat mit fast unerschwinglichen Lasten zu errichten. Aber wenn dieses Programm verwirklicht werden sollte, so würden eben auch diese selben Lasten auf den preußischen Staat übernommen werden müssen. Wir würden nicht die Herzogtümer in den preußischen Staatsverband unter irgendeiner Form aufnehmen können und ihnen dennoch die preußischen Kriegskosten abverlangen oder sie die österreichischen Kriegskosten bezahlen lassen oder sie auch nur in der Ungleichheit der Schulden bestehen lassen, welche doppelt so viel auf einen Kopf in Schleswig-Holstein austragen wie in Preußen. Wir würden sie mit allen preußischen Staatsbürgern gleichstellen müssen.“

      Dann führte der Minister aus, der Gedanke der Annexion habe, auch wenn er nicht zur Ausführung käme, jedenfalls Gutes gewirkt. Das Erbteil kleinstaatlicher Verhältnisse, die Abneigung gegen die Uebernahme von Pflichten der Bürger eines großen Staates, die Abneigung zur Bewilligung solcher Bedingungen, die der Bevölkerung Lasten, namentlich in der Heeresfolge, auferlegen, diese Abneigung habe sich vermindert in demselben Maße, in dem die Idee der Annexion Boden gewann. Unter dem Drucke dieser Idee habe man sich unseren Wünschen genähert, aber noch nicht so weit, daß wir darauf abschließen könnten.

      Bei den nun folgenden Abstimmungen konnte das Haus sich über irgendeine Ansicht in der schleswig-holsteinschen Sache nicht einigen; sämtliche Anträge blieben in der Minorität.

      Die Session wurde am 17. Juni auf Befehl des Königs durch eine Rede des Ministerpräsidenten geschlossen, welche die überwiegend negativen Resultate der Session aufzählte, dann aber folgende Worte brachte:

      „Die Regierung Seiner Majestät … wird unbeirrt durch feindseligen und maßlosen Widerstand in Rede und Schrift, stark im Bewußtsein ihres guten Rechts und guten Willens, den geordneten Gang der öffentlichen Angelegenheiten aufrechterhalten und die Interessen des Landes nach außen wie nach innen kräftigst vertreten. Sie lebt der Zuversicht, daß der Weg, den sie bisher innegehalten, ein gerechter und heilsamer gewesen ist, und daß der Tag nicht mehr fern sein kann, an welchem die Nation, wie bereits durch Tausende aus freier Bewegung kundgewordener Stimmen geschehen, so auch durch den Mund ihrer geordneten Vertreter ihrem königlichen Herrn Dank und Anerkennung aussprechen werde.“

      * * *

      Im Bunde stimmte Oesterreich für den bereits erwähnten bayerischen Antrag wegen Einsetzung Augustenburgs, welcher mit 9 gegen 6 Stimmen zum Beschluß erhoben wurde. Preußen erklärte sofort, die „vertrauensvolle Erwartung“ des Bundes werde sich nicht erfüllen, und kündigte an, daß alte brandenburgische Ansprüche auf die Herzogtümer nachzuweisen seien.

      Die Einrichtung der preußischen Marinestation im Kieler Hafen rief einen österreichischen Protest hervor, der von Preußen „mit Befremden“ zurückgewiesen wurde, da jedem der Miteigentümer die Benutzung der Häfen und Buchten des Landes freistehe und längst bekannt sei, daß Preußen keiner Entscheidung über die Zukunft der Herzogtümer zustimmen werde, welche den Kieler Hafen nicht in seinen Händen ließe.

      So schärften sich die Gegensätze. Der König berief am 29. Mai einen Ministerrat. Nur Bodelschwingh wünschte, einen Bruch mit Oesterreich jedenfalls zu vermeiden; von den übrigen Ministern rieten einige sogleich, die Annexion zu fordern, also den Krieg herbeizuführen, andere bei den Februarbedingungen als erster Etappe zur Annexion stehen zu bleiben. Bismarck meinte, da in Wien die Tendenz der Niederhaltung Preußens wieder zur Herrschaft gelangt sei, werde es wohl früher oder später zum Kriege kommen; er könne aber den Rat dazu nicht geben. Ein solcher Entschluß dürfe nur aus freier Ueberzeugung Seiner Majestät hervorgehen. Der König behielt sich die Entscheidung vor; es blieb daher bei dem Programm der Februarbedingungen.

      Im Juni lud Bismarck Herrn Paul Mendelssohn-Bartholdy zu einer Besprechung ein, um dessen Ansicht darüber zu hören, wie die kaufmännische Welt einen Krieg mit Oesterreich auffassen würde. Er überraschte Herrn Mendelssohn – wie dieser mir bald darauf erzählt hat – durch die Darlegung seiner Ueberzeugung, daß der Krieg, wenn er wirklich ausbräche, binnen vier Wochen beendigt sein würde, da unsere Armee der österreichischen durch Zahl und Ausbildung der Truppen sowie durch schnellere Mobilmachungsfähigkeit weit überlegen sei.

      Trotz dieser Ueberzeugung, welche er sonst meines Wissens niemals in so bestimmter Weise ausgesprochen hat, blieb sein eifriges Bestreben, Wege zu friedlicher Verständigung mit dem Bundesgenossen zu finden; viele Depeschen wurden gewechselt wegen der Modalitäten einer Einberufung des schleswig-holsteinischen Landtages, welche Bismarck trotz der notorischen Stimmungen der dortigen Bevölkerung für zweckmäßig hielt. Es kam aber nicht dazu, weil Graf Mensdorff schließlich seine entschiedene Abneigung dagegen zu erkennen gab und mit versöhnlichen Vorschlägen hervortrat; vielleicht infolge innerer Schwierigkeiten des Donaureiches. Im Juni knüpfte man die im März abgebrochenen Verhandlungen über die Februarbedingungen wieder an. Graf Mensdorff meinte, der Kieler Hafen und Rendsburg könnten zugestanden werden, wegen der Militärhoheit jedoch sei die Entscheidung dem Bunde vorzubehalten; über andere Punkte wie die Marine, den Nord-Ostsee-Kanal, die Verkehrsverhältnisse möge Preußen sich mit dem künftigen Souverän direkt verständigen, dessen baldige Einsetzung daher dringend zu wünschen sei.

      Bismarck acceptierte vollständig dieses ganze Programm in der Hoffnung, daß beim Bunde das sachliche Bedürfnis einer Militärkonvention Anerkennung finden würde, und fügte hinzu, Preußen wäre auch zu sofortiger Einsetzung eines Herzogs bereit, wenn Oesterreich statt des Erbprinzen den Großherzog