Er kam gern, wurde vereidigt und in die politische Abteilung eingeführt.
Die Herren von Thile und Abeken waren keineswegs erbaut von der Wahl des neuen Kollegen und ich hatte einige Mühe, ihnen die Auffassung des Chefs verständlich zu machen. Nach und nach aber kam Bucher durch sein einfaches, bescheidenes Wesen und durch die unanfechtbare Beschaffenheit seiner Arbeiten in eine leidliche Stellung.
Nach einiger Zeit wurde dem Minister berichtet, daß Lassalle, der im letzten Sommer in einem Duell gefallen war, Bucher zum Exekutor seines Testaments ernannt hätte, daß daher die Beziehungen beider intime gewesen sein müßten und Bucher vermutlich Sozialdemokrat sei. Ich riet ihm, über sein früheres Verhältnis zu dem bekannten Agitator möglichst vollständige Aufklärung zu geben. Er händigte mir alle Briefe ein, die Lassalle ihm jemals geschrieben hatte. Es ging daraus hervor, daß Lassalle ihn gerngehabt und öfters zum Essen eingeladen hatte, daß aber dessen wiederholte Versuche, ihn zu seinen sozialistischen Ansichten zu bekehren, erfolglos geblieben waren. Der Minister, dem ich die Briefe vorlegte, sagte mir bei Rückgabe derselben, der Verkehr mit Lassalle habe ihm selbst so viel Vergnügen gemacht, daß er aus diesem Umgang Bucher keinen Vorwurf machen könne.
Schon 1863 sprach Bismarck gelegentlich davon, daß Lassalle ihn mehrere Mal besucht und sehr gut unterhalten hätte. Derselbe sei zwar ein Phantast und seine Weltanschauung eine Utopie, aber er spreche so geistvoll darüber, daß man ihm gern zuhöre. Er sei der beste aller jemals gehörten Redner. Sein Sport sei, vor einigen Tausend Arbeitern zu sprechen und sich an deren Beifall zu berauschen. Politisch willkommen wäre seine Gegnerschaft gegen die Fortschrittspartei; man könne deshalb seine Agitation eine Weile fortgehen lassen mit dem Vorbehalt, im geeigneten Moment einzugreifen.
Einige Wochen nach Ausbruch des dänischen Krieges gab mir der Minister ein Schreiben Lassalles, mit welchem dieser zwei Exemplare eines eben erschienenen Werkes eingeschickt hatte. Das kleine Buch war betitelt: „Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch, der ökonomische Julian, oder Kapital und Arbeit.“ In dem Schreiben hieß es, „der Minister würde aus diesem Holze Kernbolzen schneiden können zu tödlichem Gebrauche, sowohl im Ministerrat wie den Fortschrittlern gegenüber … auch wäre es sehr nützlich, wenn der König einige Abschnitte des Buches läse, dann würde er erkennen, welches Königtum noch eine Zukunft hat, und klar ersehen, wo seine Freunde, wo seine wirklichen Feinde sind.“
Der Minister gab mir das sonderbare Schreiben und trug mir auf, da er sehr beschäftigt sei, mündlich oder schriftlich in seinem Namen den Empfang dankend zu bestätigen.
In jenen Jahren (1863‒1865) war die Zahl der Personen groß, die den Minister zu sprechen wünschten, um Rezepte zur Heilung des Verfassungskonfliktes anzubieten, und deren Gesuche er regelmäßig mir zuschickte mit dem Auftrage, die Leute zu hören. Dadurch war ich mit unfruchtbaren Geschäften stark belastet und hatte kein Verlangen, die persönliche Bekanntschaft des notorisch übermäßig eitlen Briefstellers zu machen. Wagener hörte gelegentlich von ihm die Worte: „Ich, Bismarck und Sie sind die drei klügsten Leute in Preußen.“25
Einige Tage später erwähnte der Minister lächelnd, Lassalle habe sich schriftlich beschwert, daß er für seine große auf das Buch verwendete Mühe nur durch ein trockenes Billet eines Rats belohnt worden sei; er verlange sachliches Eingehen auf sein Werk und müsse den Minister bald sprechen.
Diese Tonart fand keinen Anklang bei Bismarck. Meines Wissens hat er den geistreichen Redner nach dem Februar 1864 nicht mehr gesehen. Die Nachricht von Lassalles Tode, die wir Anfang September in Baden erhielten, schien auf ihn keinen Eindruck zu machen. Das Wohlwollen des Ministers hatte Lassalle durch Hervorkehren seines krankhaft überspannten Selbstgefühls verscherzt. Dieselbe Eigenschaft sollte seinen Tod herbeiführen; denn er konnte nicht ertragen, daß eine junge Dame, deren Anerbieten, mit ihm zu fliehen, er abgelehnt hatte, ihm ihre Neigung entzog, seine förmliche Bewerbung zurückwies und sich mit einem andern Manne verlobte. Diesem gab er Anlaß, ihn im Duell zu erschießen.
* * *
Nachfolger des Grafen Rechberg wurde General Graf Mensdorff-Pouilly, der ein Anhänger des preußischen Bündnisses zu sein glaubte, aber in den auswärtigen Geschäften wenig erfahren war und dadurch von vornherein in Abhängigkeit von den Räten des Ministeriums kam. Bismarck bezeichnete wiederholt als die eigentlichen Leiter der Wiener Politik die aus Rheinhessen gebürtigen Freiherren von Biegeleben, von Meysenbug und von Gagern. Unter diesen galt als der hervorragendste Biegeleben, ein gelehrter, schriftstellerisch begabter Mann, der von dem Berufe der alten Kaisermacht, Deutschland zu beherrschen, überzeugt war und daher im Sinne des Fürsten Schwarzenberg gegen Preußen zu wirken für seine Pflicht hielt. Seit 1852 bearbeitete er in dieser Richtung die deutschen Angelegenheiten und hatte sich der im November 1863 eingetretenen Wendung nur widerwillig gefügt. Seinem Drucke folgend, machte selbst Graf Rechberg in den letzten Monaten seiner Amtsführung den Mittelstaaten einige hier nicht einzeln zu erwähnende Konzessionen; nach dem Ministerwechsel aber wurde Biegelebens Einfluß völlig maßgebend. Alsbald versuchte man, eine gründliche Lösung der schleswig-holsteinschen Frage im Sinne der Mittelstaaten durch direkte Verhandlungen mit Preußen anzubahnen.
Am 12. November gingen drei lange und lehrhafte Depeschen nach Berlin ab. Darin wurde empfohlen, der König möge dieselbe Entsagung üben, zu welcher der Kaiser bereit wäre, nämlich seinen Anteil an der Souveränität über Schleswig-Holstein dem Erbprinzen von Augustenburg als dem bestberechtigten der Prätendenten cedieren. Nur die Einsetzung desselben als eines selbständigen, mit allen Hoheitsrechten bekleideten Bundesfürsten würde den Frieden in Deutschland herstellen.
Uebrigens war Graf Karolyi ermächtigt, bei Uebergabe dieser Depeschen mündlich mitzuteilen, daß man bei geeigneter Entschädigung durch deutsches Gebiet auch in die preußische Annexion von Schleswig-Holstein willigen würde.
Bismarck hatte einige Wochen früher angeregt, daß die Bundestruppen Holstein verlassen müßten, und beschloß, jene Depeschen nicht vor Erledigung dieser Forderung zu beantworten.
Die Bundesexekution war 1863 beschlossen worden gegen König Christian IX. als Landesherrn von Holstein zum Schutze der dortigen Deutschen gegen dänische Uebergriffe; sie hatte offenbar keinen Zweck mehr, nachdem zwei deutsche Fürsten Landesherren geworden waren. Wir erwarteten daher Oesterreichs Zustimmung zu unserm Wunsche, die Bundestruppen das Land räumen zu sehen.
Graf Rechberg aber antwortete im Oktober, daß allerdings eine Berechtigung des Bundes, die Exekution fortbestehen zu lassen, nicht existiere, empfehlenswert jedoch scheine, „in bundesfreundlicher Gesinnung“ etwa 2000 Mann Bundestruppen in Holstein zu belassen.
Der Grund dieses überraschenden Vorschlages konnte nur in dem Bestreben gesucht werden, die Einsetzung des Erbprinzen zu erleichtern, dessen Interessen durch die Anwesenheit der Bundestruppen fortwährend gefördert worden waren.
Bismarck setzte nun in einem ausführlichen Erlaß, welcher sich mit den erwähnten Wiener Depeschen vom 12. November kreuzte, auseinander, daß dieser Vorschlag durch das Bundesrecht in keiner Weise motiviert werden könne, daß es daher angezeigt sei, Sachsen und Hannover zur Zurückziehung ihrer Truppen aus Holstein einzuladen.
Auch dieser wiederholte Antrag wurde in Wien abgelehnt, was nicht gerade politische Voraussicht bekundete.
Der König war sofort entschlossen, sein Hausrecht in Holstein unter allen Umständen zu wahren. Der Rückmarsch unserer Regimenter aus Holstein wurde sistiert und durch Zusammenziehung einiger Truppenkörper an den Grenzen von Hannover und Sachsen der Ernst der Lage angedeutet.
Unsere Gesandten an den dortigen Höfen wurden angewiesen, zur Rückberufung der Exekutionstruppen einzuladen. In Hannover war man dazu bereit, vorbehaltlich der Zustimmung Oesterreichs; in Dresden aber erklärte der thatendurstige Minister Freiherr von Beust, die sächsischen Truppen würden bis zur Einsetzung des rechtmäßigen Landesherrn in Holstein verbleiben, außer wenn ein Bundesbeschluß ihre Zurückziehung anordnete. Die beurlaubten Mannschaften des sächsischen Heeres wurden zur Fahne einberufen.
Inzwischen war man in Wien zu der Einsicht gelangt, daß einzulenken geraten sei. Graf Mensdorff erklärte sich bereit, bei Mitteilung des dänischen Friedensvertrages an