In Leipzig wurde übernachtet.
Am andern Morgen im Eisenbahnwagen rauchend, sagte der Minister:
„In den nächsten Tagen wird viel zu reden sein. Der Kaiser Franz Joseph kommt nach Karlsbad und Rechberg will mich vorher sprechen. England hat vorgeschlagen, daß wir eine neutrale Macht ersuchen sollen, als Schiedsrichter eine Linie zu bestimmen, um in Schleswig die Deutschen von den Dänen zu trennen. Der König sieht aber zu einem Schiedsgericht keinen Anlaß und würde nur eine freundschaftliche Vermittelung annehmen. Rechberg besorgt nun, England würde deshalb in den Krieg eintreten; aber da Louis nicht mitmachen will, ist das sehr unwahrscheinlich. Uebrigens werden die Dänen vermutlich in Bezug auf die Grenzlinie auch die bloße Vermittelung einer anderen Macht ablehnen. Der Fortgang des Krieges nach Ablauf des Waffenstillstandes ist vorauszusehen, und wir müssen auf die Inseln, um rasch zu Ende zu kommen. Aber das wollen unsere Freunde nicht, um nicht den englischen Löwen zu reizen, der doch gar nicht blutgierig ist.“
Bald darauf hielt der Zug in Zwickau. „Da steht Rechberg“, sagte der Minister.
Eine mittelgroße, schlanke Gestalt, ein feiner Kopf, lebhafte graue Augen unter einer Brille, um die Lippen ein Zug von Gutmütigkeit. Ich stieg in einen anderen Abteil, um die Minister allein zu lassen.
Bei der Station Schwarzenberg endete die Eisenbahn und standen Postwagen bereit.
Ich fuhr zusammen mit einem Wiener vortragenden Rat, welcher das nahe bevorstehende Glück der eichenbekränzt heimkehrenden Krieger und ihrer Familien lebhaft ausmalte.
Abends hielt der Wagen in Karlsbad vor dem Gasthof „Zum Blauen Schiff“, wo passende Bureauräume gemietet waren. Bismarck wohnte aber im Nebenhause, was den amtlichen Verkehr erschwerte. Er zog daher nach Abreise der österreichischen Gäste mit allen Beamten in die „Drei Lerchen“.
Am 21. Juni kam Abeken an, der begabteste Rat unseres Ministeriums.
Nach langen Verhandlungen kamen die beiden Minister zu einem Einverständnis erst dann, als Bismarck angedeutet hatte, daß der König keinesfalls auf halbem Wege stehen bleiben, sondern nötigenfalls den Krieg allein zu Ende führen würde. Rechberg gab nach, daß die zu Schleswig gehörige Insel Alsen erobert und Jütland bis zur Nordspitze besetzt werden könne. Einen Angriff auf Fünen wollte er nicht genehmigen. Doch wurden auf Bismarcks Veranlassung auch zu diesem Angriff alle militärischen Vorbereitungen für den Fall getroffen, daß die Eroberung von Alsen nicht genügen sollte, um den Krieg zu beendigen.
Die Zusammenkunft der Monarchen gab dem Bündnisse erneute Festigkeit.
Bald nach dem Ablaufe des Waffenstillstandes gelang die Eroberung der Insel Alsen. Dieses Ereignis brach die dänische Widerstandskraft; man fühlte sich auch auf den Inseln nicht mehr sicher. Der Wunsch nach Waffenstillstand und Frieden wurde von dänischer Seite ausgesprochen und veranlaßte Verhandlungen, welche uns demnächst nach Wien führen sollten.
Für Bismarck waren die Karlsbader Wochen zwar arbeitsvoll, aber, mit seiner Berliner Existenz verglichen, doch eine Erholungszeit. Täglich machte er weite Spaziergänge in den ausgedehnten städtischen Waldungen; abends fand er mitunter die Zeit, im Gasthof „Zur Stadt Hannover“, wo sich mehrere Herren des königlichen Gefolges zu versammeln pflegten, ein Glas Pilsener Bier zu nehmen. Die tägliche Geschäftslast war allerdings groß; Telegramme gingen ohne Unterlaß ein und aus, und mehrmals in der Woche brachten Feldjäger wohlgefüllte Mappen mit Schriftstücken des Auswärtigen Amtes und des Staatsministeriums; die unmittelbare Nähe des Bureaus aber, welches neben dem Wohnzimmer des Ministers lag, und der in jedem Augenblicke bequeme Verkehr mit nur zwei Räten, welche von morgens 8 bis abends 8 Uhr (mit Ausschluß der Mittagsstunde) am Arbeitstische saßen, erleichterte schnelle Erledigung aller Eingänge.
Abeken war mir an Arbeitsfähigkeit und Kenntnissen weit überlegen, aber der denkbar liebenswürdigste Kamerad. Ihm war die ganze diplomatische Korrespondenz zugewiesen, ich hatte die nicht politischen auswärtigen sowie alle inländischen Angelegenheiten einschließlich der Verwaltung von Schleswig zu erledigen, wo seit unserer Besetzung des Landes der Regierungspräsident Freiherr von Zedlitz-Neukirch die Civilbehörden beaufsichtigte. Jeder las die ganze Korrespondenz des anderen. Vor und nach der Arbeitszeit pflegten wir Waldspaziergänge zu machen.
Einen besonderen Reiz erhielt Karlsbad im Sommer 1864 durch die Anwesenheit23 der Frau Großfürstin Helene von Rußland. Die hohe Frau veranstaltete mitunter kleine Abendunterhaltungen für den König, bei denen Bismarck erschien und ich für Musik sorgen durfte. Auch mit Einladungen zu anderen Abenden wurden Abeken und ich öfters beehrt.
Am 19. Juli, dem Tage vor der Abreise Seiner Majestät nach Gastein, waren wir alle zur königlichen Tafel befohlen. Unmittelbar nach Aufhebung derselben kam aus Rendsburg ein Telegramm, welches so laut verlesen wurde, daß alle Anwesenden es hören konnten. Unsere dortigen Hospitale, hieß es, seien bedroht infolge einer Schlägerei zwischen preußischen und den unter hannöverschem Oberbefehl stehenden Bundestruppen. Einige Gesichter verfärbten sich, Bismarck lächelte. Er folgte dem König in ein Nebenzimmer. Ich ging sofort nach dem Bureau, um für eine vermutlich erforderliche telegraphische Antwort zur Hand zu sein. Bald darauf kam der Minister aus seinem Wohnzimmer an meinen Arbeitstisch und fragte leichthin:
„Was würden Sie jetzt thun?“
„Rendsburg mit überlegener Macht besetzen.“
„Ist schon angeordnet,“ erwiderte er und ließ mich allein.
Am 21. fuhr er mit Abeken und mir im offenen Wagen bei hellem Sonnenschein durch das anmutige Böhmerland nach Prag. Keine Silbe von Politik.
Am 22. fanden wir auf der Eisenbahnfahrt nach Wien in Prager Zeitungen die Mitteilung, Rendsburg wäre plötzlich von 6000 Preußen besetzt worden und die Bundestruppen hätten sich von dort zurückgezogen. In der Wiener Tagespresse veranlaßte dieses Ereignis heftige Ausfälle gegen den preußischen Uebermut; nur ein wenig bekanntes Blatt verteidigte die Maßregel. Bei Besprechung der Sache mit Graf Rechberg betonte Bismarck, daß es schon im Privatverkehr, noch mehr aber im internationalen, ratsam sei, Ungebührliches nicht stillschweigend hinzunehmen.
Er wohnte bei Baron Werther, unserm Gesandten, und wir im Gasthof.
In diesen Wiener Tagen (23. Juli bis 1. August) war die Arbeitslast für Abeken und mich nicht schwer, da wir den Verhandlungen der Minister mit den dänischen Bevollmächtigten nicht beizuwohnen hatten und deren Ergebnisse sich ziemlich einfach gestalteten. Der König von Dänemark trat seine Landeshoheit in den Herzogtümern Schleswig-Holstein und Lauenburg an die verbündeten Monarchen ab.
Von verschiedenen Seiten wurde uns erzählt, wie Bismarcks persönliches Eingreifen in die Verhandlungen die Gegner zu bedingungsloser Nachgiebigkeit bewogen hatte.
An der kaiserlichen Tafel in Schönbrunn wurden Abeken und ich zwischen hohen Würdenträgern placiert; einer meiner Nachbarn war General Graf Clam-Gallas.
Ein kleines. Diner auf dem Landhause des Grafen Rechberg in Kettenhof bei Schwechat verlief sehr behaglich.
In amtlichen Kreisen schien das Ergebnis des Präliminarfriedens volle Befriedigung hervorzurufen; die Herzogtümer waren vom dänischen Drucke für immer befreit. In unabhängigen Wiener Kreisen aber trat, wie ich von einem befreundeten Landsmann erfuhr, die Freude über die Erwerbung Schleswig-Holsteins weit zurück hinter die Sorge, daß Preußen demnächst überwiegende Vorteile gewinnen und Oesterreich zu kurz kommen würde.
15Die Eider scheidet bekanntlich Schleswig von Holstein.
16In einer damals oft angeführten Urkunde vom Jahre 1460 hatte König Christian I. versprochen, die Lande Schleswig und Holstein sollten „up ewig ungedeelt“ (auf ewig ungeteilt) bleiben.
17Nach Ansicht vieler Juristen lag die Rechtsfrage keineswegs so einfach. Die