Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Astrid Rauner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Von keltischer Götterdämmerung
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862827732
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Seit sie von der Totenaue aus aufgebrochen waren, suchte er nach den Gründen dafür und dagegen. Doch obwohl er Rowilan insgeheim gern als den Schuldigen darstellen wollte, spürte er, dass er es sich nicht so leicht machen durfte.

      „Ich glaube, dass Derona ihm etwas bedeutet hat. Sie hat ihn sehr geliebt, das weiß ich jetzt. Aber ich kann dir nicht sagen, wie viel er davon erwidert hat. In ihren Erinnerungen …“

      Kurz hielt er inne. Die Gefühle seiner Schwester hatten sich in seinen Kopf eingebrannt, als hätte er selbst ihr Martyrium durchstehen müssen.

      „… hat jemand sie dazu getrieben, vielleicht sogar gezwungen, eine bestimmte Person wiederzufinden, eine Seele. Ich konnte aus ihren Erinnerungen nicht entnehmen, ob es Rowilan gewesen ist. Sie schien es selbst nicht gewusst zu haben.“

      „Traust du es ihm zu?“

      „Ich weiß es nicht. Ich möchte nicht von mir behaupten, dass ich in der Lage bin, Rowilan einzuschätzen. Er verschwendet sehr viel Energie darauf, unnahbar zu wirken oder zumindest unantastbar. Diesen Eindruck habe ich. Zu was er fähig ist, weiß ich nicht.“

      Damit musste die junge Frau sich zufrieden geben. Ganz egal, wie viel sie riskiert hatten, um Deronas Erinnerungen einzusehen, weit gebracht hatte sie das Unterfangen nicht. Aigonn wusste nicht, wie sie noch mehr in Erfahrung bringen könnten. Es würde ihnen einzig übrig bleiben, den Schamanen selbst zur Rede zu stellen und herauszufinden, wie belastbar er wirklich war.

      Nachdem sie Momente lang in Schweigen versunken waren, durchbrach Aigonn schließlich die Stille. Unerwartet umspielte ein feines Lächeln seine Lippen, als er die junge Frau von der Seite betrachtete, ihr Profil musterte und schließlich fragte: „Du kannst dich noch immer nicht daran erinnern, wie du in deinem vergangenen Leben geheißen hast, richtig?“

      „Nein, ich weiß es nicht. Ich fürchte, ein Name gehört zu den letzten Dingen, die man aus seinen früheren Leben herausfinden kann.“ Die junge Frau zog ihre Augenbrauen in die Höhe – noch weiter, als das Lächeln auf Aigonns Lippen fast spitzbübische Züge annahm.

      „Warum fragst du?“

      „Weil ich mir etwas überlegt habe. Langsam bin ich es leid, dass ich nicht weiß, wie ich dich ansprechen soll. Deshalb habe ich beschlossen, dass ich dich Anation nennen werde, einverstanden?“

      Die Antwort, die der jungen Frau bisher noch auf der Zunge gelegen zu haben schien, war vergessen. Überrascht sah sie ihn an, unwissend, wie sie mit dieser unerwarteten Situation umgehen sollte. Ein Augenblick verging, bis sie fast verlegen nachhakte: „Anation … ist der Lebenshauch, das, was den Menschen lebendig macht; eine Seele. Warum ausgerechnet Anation?“

      „Weil du genau das bist, eine Seele. Nur eine Seele. Statt in einem neugeborenen Körper ein neues Leben zu beginnen, bist du fast gezwungen gewesen, eine andere, alte Identität anzunehmen. Jeder, der dich sieht, erkennt Lhenia in dir und nicht dich. Deshalb Anation. Weil Lhenia tot ist, für immer. Mit dir verbindet sie nichts mehr.“

      Der Ernst seiner Worte wurde Aigonn erst bewusst, während er sprach. Er konnte nicht sagen, wie die junge Frau zu ihrer Lage stand, dem fremden Körper, der fremden Identität, die ihm anhaftete. Auch ihr Gesicht war nachdenklicher geworden. Als sie ihm jedoch wieder in die Augen sah, lächelte sie. „Einverstanden.“ Aigonn und die junge Frau, Anation, hatten inzwischen den größten Teil des Heimweges hinter sich gebracht. Verdrießlichkeit machte sich in Aigonn breit, als er an die Geständnisse dachte, die er an diesem Abend noch vor Rowilan oder Behlenos ablegen sollte. Doch dieses Mal waren die Rollen neu verteilt worden. Rowilans Geheimnis gehörte dem Schamanen nicht mehr allein. Aigonn wusste, zu was er Derona benutzt hatte, auch wenn er es nicht beweisen konnte. Aber wer würde ihm glauben, wenn er keine Beweise besaß? Würde Anations Wort hoch genug zählen? Konnte er Rowilan zu einem Kampf herausfordern, dessen Ausgang das Urteil der Götter widerspiegelte?

      Ein Gottesurteil. Bei diesem Gedanken war Aigonn nicht wohl. Ein einziges Mal hatte er zugesehen, wie zwei Männer über einer Talsenke zum Kampf gegeneinander erschienen waren. Barfuß und nur auf zwei dicken Baumstämmen als Untergrund, die man wie eine Brücke über die kleine, den Göttern geweihte Schlucht gelegt hatte. Der Streit war schnell entschieden gewesen, der Ankläger in die Tiefe gestürzt.

      Aigonn wurde es mulmig zumute, als er sich vorstellte, wie er so gegen Rowilan antreten würde. Gewöhnlich fand der Schuldige des Verbrechens den Tod, doch es gab noch genügend Fragen, die er Rowilan stellen wollte – dann, wenn die Götter seine Schuld bewiesen hatten.

      Als er mit dem Fuß über eine Wurzel stolperte und unwirsch zu fluchen begann, beendete Aigonn dieses Thema in Gedanken. Ihm fehlte im Moment der nötige Sinn dazu. Der Wald vor ihnen begann, lichter zu werden, sodass Sträucher und Büsche allmählich die ersten Schemen des Dorfes mit seinen Palisaden durchscheinen ließen. Der Wind hatte aufgefrischt. Neue Gewitterwolken hatten die Mittagshitze in stickige Schwüle verwandelt, während das aufziehende Unwetter erste Abkühlung versprach. Fast milchig schimmerte der Himmel zwischen den dichten Baumwipfeln hindurch. Die leisen Stimmen der Vögel waren weniger geworden, als wartete die ganze Natur auf den Regen, der auch den letzten Staub der Dürre wegwaschen würde – all das, was nach dem frühen Morgen noch übrig geblieben war.

      Das Flüstern der Bäume hatte an Kraft gewonnen, sodass es Aigonn fast schien, als trage der Wind Stimmen mit sich. Der erste Geruch von Vieh, von Pferden, hing in der Luft – so früh, dass Aigonn sich wunderte, warum man die Weiden in solche Waldesnähe verlegt hatte.

      „Wie viel Wahrheit werden wir deinen Leuten erzählen?“

      Aigonn sah zu Anation hinab. „Das weiß ich noch nicht. Der Moment wird es entscheiden. Wir müssen versuchen, Rowilan dazu zu bringen, dass er uns die ganze Geschichte erzählt und sie eingesteht. Sonst haben wir gegen die Leute keine Chance.“

      „Wie meinst du das?“

      „Ich meine ihre Engstirnigkeit. Das ganze Dorf hält mich für einen übersinnlich begabten Wahnsinnigen, der wahllos mit seinen Fähigkeiten herumexperimentiert. Und du? Du bist ein Menschenopfer, das von den Toten auferstanden ist. Viel mehr sehen sie nicht in dir, und das werden auch deine guten Absichten nicht ändern. Die Mehrheit ist das Gericht, das das Urteil fällen wird, nicht die Wahrheit. Wenn wir keine schlüssigen Beweise liefern können, kämpfen wir auf einem entsetzlich verlorenen Posten.“

      Anation presste missmutig die Lippen aufeinander. Aigonn erschien es immer mehr, als hätte sie ihre und seine Lage ein Stück weit verkannt, was ihn nicht mutiger stimmte. Seine Stimme klang nicht annähernd so überzeugend, wie er wollte, als er von seinem vorher bedachten Vorschlag berichtete: „Wir, also ich, kann höchstens versuchen, die Streitfrage durch die Götter richten zu lassen. Es ist nicht der sicherste Schritt, der zu gehen möglich ist, aber im …“

      „Warte!“ Auf einmal fasste Anation Aigonn bei der Schulter. Sie war so abrupt stehen geblieben, dass er einen Schritt zurück machen musste, während er die Stirn in Falten legte. „Was ist denn?“, hakte Aigonn nach. Die junge Frau aber gemahnte ihn nur zur Ruhe und deutete statt einer Antwort mit dem Finger an einem Dornenstrauch vorbei.

      „Sind das eure Leute?“ Ihre Stimme war zu einem Flüstern herabgesunken. Aigonn musste sich ein Stück zur Seite beugen, um zwischen dem Blätterwerk hindurchsehen zu können. Als er aber vorsichtig einen Ast beiseite geschoben hatte, schnürte sich ihm die Kehle zu.

      Eine Gruppe Männer hatte im Schutz des Strauchwerkes Deckung bezogen, wie viele konnte Aigonn nicht sagen. Er sah ihre Pferde unweit entfernt neben einer umgestürzten Buche von der Krautschicht grasen, während die Männer leise Anweisungen austauschten. Ihre Haare waren fast alle auf eine einheitliche Länge gestutzt. Wer keinen Helm trug, hatte sie sich mit Kalkwasser zu einer stacheligen Frisur nach hinten gekämmt, die im Nacken so hart wurde, dass sie einen gestreiften Schwertschlag würde abhalten können. Nicht alle von ihnen trugen Schwerter an den Gürteln, doch jeder war mit mindestens einer Lanze bewaffnet. Lederbespannte Schilder lehnten neben den Pferden. Doch was Aigonn an der Szene am meisten beunruhigte, waren mit Waidblau gemalte Eichenblätter, die zwischen heiligen Symbolen und Spiralen ihre nackten Oberkörper schmückten.

      „Sie