Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Astrid Rauner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Von keltischer Götterdämmerung
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783862827732
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aus den Häusern. Jedoch wo Aufruhr zu erwarten war, verklangen die Rufe irgendwann. Angstvolle Stille machte sich breit. Sie wurde so bedrückend, dass Aigonn sich dazu zwang, aufzustehen und mit einem kleinen Umweg um die Häuser herum nachzusehen, was geschehen war.

      Als er hinter einem Haus am Marktplatz auftauchte, ließ der Anblick erst Überraschung, dann neue Wut in ihm aufsteigen. Doch Wut nicht in dem Sinne, wie er sie noch wenige Momente zuvor empfunden hatte. Vielmehr war es die Verdrießlichkeit darüber, dass ein Plan nicht so gelingen würde, wie man ihn ausgedacht hatte.

      Der aufgebahrte Leichnam des Eichenmannes stand lichterloh in Flammen. Der rote Feuerschein hüllte den gesamten Marktplatz in ein unwirkliches Licht von Tod und Krieg, das die Luft zu verpesten schien. Eine Menschentraube hüllte den brennenden Scheiterhaufen ein. Ihr Schweigen verriet Angst, stille Beklemmung darüber, was nun geschehen könnte, wenn man daran glaubte. Schon vielmals waren Geschichten aus älteren Tagen überliefert worden, in welchen ruhelose Seelen die Lebenden quälten. Der Geist eines Menschen musste den Weg in die Andere Welt finden, das bekamen die Bärenjäger schon als Kinder gelehrt. Verderben konnte nun ihnen allen blühen, soweit man diesen Geschichten Glauben schenkte. Doch obwohl Aigonn niemals an den Lehren seines Stammes gezweifelt hatte, empfand er in diesem Moment keine Angst.

      Seine Augen spähten durch die Menschenmenge. Er suchte nach der jungen Frau, ob sie sich unter die anderen Leute gemischt hatte. Was würde sie davon halten? War es jetzt noch möglich, seine Erinnerungen zu finden?

      Aigonns Kopf schien zu taub, um sich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Eine seltsame Betäubung erfasste ihn. Vor seine Augen schien sich ein Nebelschleier zu legen, der die Wirklichkeit in einen Traum verwandelte und Worte nur noch wie Nieselregen hindurchsickern ließ.

      Irgendwo neben sich hörte Aigonn Behlenos zu der Menge sagen: „Glaubt mir, euch droht keine Gefahr. Das, was ihr fürchten musstet, ist beseitigt. Die Späher der Eichenleute halten sich überall in unseren Wäldern versteckt. Die Wachen haben erst kürzlich einen von ihnen um die Siedlung schleichen sehen.“

      „Wie könnt Ihr mit solcher Bestimmtheit sagen, dass uns nun kein noch größeres Opfer droht?“ Aigonn konnte den Sprecher nicht identifizieren. Doch echte Angst schwang in seinen Worten mit, als er hinzufügte: „Rowilan ist nicht in der Lage, uns beizustehen! Wer soll sich nun darum kümmern, dass diese arme Seele ihren Weg in die Andere Welt finden wird?“

      Behlenos zögerte. Aigonn spürte, dass ihn diese Frage in Bedrängnis brachte, ganz gleich, wie wenig Achtung er selbst dieser vermeintlichen Gefahr schenkte. Aber er war der Fürst, er war für sein Volk verantwortlich und hatte dessen Willen auszuführen. Schließlich fand sich unerwarteter Mut in seiner Stimme, als er verkündete: „Nein, ihr irrt euch! Da ist er doch! Rowilan!“

      Rowilan. Der Name riss Aigonn aus seiner Betäubung. Erschrocken blickte er zwischen die Häuser zu seiner Linken und erkannte wahrhaftig eine Gestalt, die sich mühsam in Richtung des Marktplatzes schleppte. Zehn Schritte blieb Rowilan in Deckung in der Dunkelheit, dann trat er ins Licht des Scheiterhaufens.

      Aigonn erschrak unwillkürlich. Das Dämmerlicht der Talglampe hatte die tiefen Spuren nicht sichtbar gemacht, die Rowilans Kampf mit den Geistern der Anderen Welt hinterlassen hatte. Die Wangen des Schamanen waren hohl geworden. Tiefe Schatten unterzeichneten seine Augen und verwandelten den kaum dreißig Jahre alten Mann in einen Greis.

      Aigonns Puls beschleunigte sich. Rowilan trat aus den Schatten, machte einige mühsame Schritte auf die Wiese hinaus. Dann trafen sich ihre Blicke.

      Aigonn erschrak. Er hätte erwartet, dass Rowilan zornig auf ihn zuschreiten würde – oder ihn vielleicht gar nicht mit dem, was sich gerade erst in seinem Haus abgespielt hatte, in Verbindung brachte. Doch stattdessen blitzte Furcht in seinen Augen auf. Furcht und Zweifel. Er schien unsicher darüber, ob er Aigonn wirklich erkannt oder sein Gesicht nur im Fiebertraum heraufbeschworen hatte. Binnen Herzschlägen schien der sonst unantastbare Schamane noch angreifbarer geworden, als er es halb ohnmächtig auf seinem Schlaflager gewesen war.

      „Rowilan! Rowilan, hörst du mich nicht?“ Erst Behlenos’ Stimme durchbrach die Spannung des Moments. Ohne ein Wort zu sagen, schritt der Schamane an Aigonn vorüber an die Seite seines Fürsten und ließ sich mit nachdenklicher Miene erzählen, was am gestrigen Tag vorgefallen war.

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      „Was tun wir jetzt? Können wir seine Erinnerungen immer noch wiederfinden?“ Aigonn sah fragend zu der jungen Frau an seiner Seite, die nur mit halber Aufmerksamkeit seinen Worten lauschte. Unruhig knetete sie immer wieder ihre Hände, während sie mit gerunzelter Stirn zum Marktplatz hinübersah und beobachtete, wie die letzten Reste Asche von der Erde gescharrt wurden.

      „Es wird schwierig werden, sehr schwierig. Fast unmöglich. Die Erinnerungen sind mit seiner Asche verstreut. Wir werden niemals so viel erfahren, wie wir aus seiner Leiche hätten lesen können.“

      Der kühle Wortlaut ließ Aigonn unwillkürlich schaudern. Er konnte noch immer nicht recht mit der zweckmäßigen Art umgehen, mit welcher die junge Frau alle Dinge um sich herum betrachtete. Sie hatte ein Ziel, eine Aufgabe. Alles andere beäugte sie so kühl, dass Aigonn sich allmählich fragte, wie skrupellos sie sein konnte, wenn sie es wollte. Doch diese Gedanken verdrängte er. Sie war niemand, dem er misstraute – auch wenn er sein Vertrauen nicht recht begründen konnte. Es schien ihm schlüssig, was sie vorantrieb und dass sie herausfinden wollte, was hier vor sich ging. Doch mehr Gründe hatte er nicht.

      „Und jetzt?“ Er bekam keine Antwort. Die junge Frau verschränkte weiterhin ihre Finger, wandte und drehte ihre Hände, als ob diese unbewussten Bewegungen Antworten heraufbeschwören könnten. Es dauerte lange, bis sie zögerlich herausbrachte: „Theoretisch … hätten wir noch eine Möglichkeit.“

      Aigonn sah sie an. Als ihre Blicke sich trafen, spiegelte sich Furcht in ihren Augen. Furcht wovor? Vor der Idee? Vor ihm? Vor ihm. Plötzlich fand er die Erkenntnis. Seine Miene versteinerte so jäh, dass die junge Frau ausstieß: „Du musst das nicht tun! Niemand verlangt es von dir. Wir können auf dieses Ritual verzichten und versuchen, auf eine andere Weise herauszufinden, was diesen Mann in den Tod getrieben hat. Du brauchst …“

      „Aber es wird nichts bringen, richtig?“ Aigonn schauderte. Seine Hände wollten zu zittern beginnen, allein bei diesem Gedanken, den sein Geist sich gerade in allen Farben ausmalte. Doch wohl war es der schnellste und wirksamste Weg; der Weg zu der Wahrheit, die er sich immer erhofft hatte.

      Noch war es Nacht. Ihnen würde eine geraume Zeit bleiben, bis der Morgen dämmerte und den gewohnten Alltag zurückbrachte. Die meisten Menschen, die der nicht geplanten Verbrennung des Eichenmannes beigewohnt hatten, waren in ihre Häuser und Betten zurückgekehrt. Es war egal, wie viele von ihnen in dieser Nacht noch Schlaf finden würden. Die Ruhe war wieder hergestellt.

      Die junge Frau musterte Aigonn prüfend. Er wusste, dass er sich nicht mit ihr messen konnte. Und sie schien herausfinden zu wollen, wie belastbar er wirklich war. Konnte er es tatsächlich tun? Der Eichenmann war verbrannt. Doch Derona lag noch immer unter ihrem Grabhügel, seit fast einem Jahrzehnt schon. Niemand hatte sie verbrannt. Ihre Knochen mussten unversehrt in der Erde ruhen. Ihr Götter, helft mir!

      Es war der Weg, der ihm Antworten bringen würde. Vielleicht würde er sehen können, wie sie gestorben war, was sie dazu getrieben hatte. Womöglich würde er erfahren, was ihm in dieser Nacht eigentlich verwehrt worden war. Aber konnte er die Ruhe seiner Schwester stören? Wollte er das wirklich sehen? Die Fragen schienen Aigonn auseinander zu reißen. Hilfesuchend wandte er seinen Blick an die junge Frau, doch er wusste, dass es in diesem Moment allein seine Entscheidung war.

      Er kämpfte noch mit sich, seinem Gewissen und seiner Angst, als er über die Lippen brachte: „Wir sollten uns beeilen. Heute Nacht wird uns auf dem Gräberfeld sicher niemand stören.“

      „Bist du sicher, dass du das tun willst?“

      „Wenn du mich noch einmal fragst, werde ich es mir anders überlegt haben. Also lass uns endlich gehen!“

      Damit verschwanden