Nicolae: An der Quelle - Band 7. Aurelia L. Porter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aurelia L. Porter
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Nicolae-Saga
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347053854
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Die neugierigen bis konsternierten Blicke waren nicht zu übersehen, doch Mr. Sinclair erklärte nonchalant, dass ich ein deutsches Fräulein auf Verwandtschaftsbesuch sei, das erste Mal im Vereinigten Königreich und sehr am britischen Lebensstil interessiert. Sofort entspannten sich die Mienen und schenkten mir ein nachsichtiges bis mitleidiges Lächeln. Mein Ausländerstatus erklärte und verzieh anscheinend einiges.

      So viel Glanz und Eleganz wie in jenem Speisesaal kannte ich bisher nur aus Filmen. Wir wurden zu dem schönsten Tisch geleitet. Noch nie habe ich von so edlem Porzellan und mit so schwerem Tafelsilber gespeist, die Tischdecke war von einem geradezu beängstigenden Weiß. Trotz der höflichen Behandlung fühlte ich mich völlig fehl am Platz. Mr. Sinclair schien es zu bemerken. Röte stieg mir ins Gesicht. Ich wäre am liebsten aufgestanden und weggelaufen, selbst wenn ich den ganzen Weg im strömenden Regen hätte zurücklegen müssen. Da legte er mir seine Hand auf die meine. Die Berührung tat gut. Ich atmete auf und versank in seinen Augen wie auf eine rettende Insel.

      Er bestellte uns zwei Aperitifs, irgendwas in einem Cocktailglas mit einem kleinen grünen Ding auf einem Zahnstocher. Ich traute mich nicht nachzufragen, um was für einen Drink es sich handelte, ich wollte mir nicht noch mehr Blöße von Weltunerfahrenheit geben. Ob mir der Martini zusage, fragte er mich schmunzelnd. Er trinke ihn immer gerne mit einem Spritzer …, es folgte irgendwas Französisches. Oh ja, auch ich würde ihn so bevorzugen, beteuerte ich. Meine Antwort schien ihn prächtig zu amüsieren. Ich hätte ihn dafür schlagen mögen. Der Ober näherte sich unserem Tisch, um die Bestellung aufzunehmen. Panisch versenkte ich meinen Blick in die Speisekarte, deren Gerichte ich auf die Schnelle nicht zu identifizieren vermochte. Don’t worry, my little sunshine, flüsterte er und bestellte für uns beide.

      Nach der Suppe wollte er endlich meinen Namen erfahren, den ich ihm bis dahin erfolgreich vorenthalten hatte. Er war nur zu höflich gewesen nachzufragen, denn eigentlich hätte es sich ja bereits heute Nachmittag gehört gehabt, ihm diesen zu nennen, nachdem er sich mir in dem französischen Café offiziell vorgestellt hatte.

      Doris, antwortete ich. Doris Ottensen, from Hamburg.

      Er schien es mir abzunehmen. Warum auch nicht?

      Wir hatten einen französischen Wein zum Essen, und mit jedem warmen Bissen im Bauch – er hatte Traditional English Roastbeef mit Gartengemüse und Röstkartoffeln für uns bestellt – ging es mir besser.

      Naja, der Wein wird wohl auch einiges dazu beigetragen haben, schließlich bin ich nicht an Alkohol gewöhnt. Zu Hause trinken Mutti und ich nur zu Weihnachten ein Gläschen. Erben Spätlese.

      Ich glaube, ich hatte einen Schwips. Jedenfalls wurde mir wunderbar leicht zumute, und je später es wurde, desto mehr konnte ich den Abend tatsächlich genießen. Die anderen Gäste, die hin und wieder zu unserem Tisch hinüberschielten, waren mir auf einmal völlig schnuppe, ebenso mein Marzipanschweinchenkostüm, das ich beim Dessert mit warmem Schokokuchen vollkrümelte.

      Bei der abschließenden Tasse Kaffee warfen die Kerzen auf unserem Tisch einen hellen Schimmer auf Mr. Sinclairs volles pomadisiertes Ebenholzhaar. Er nahm die Serviette, um sich die Mundwinkel zu tupfen, da fiel mein Blick auf seinen Fingerring. Es war nicht einer dieser üblichen Siegelringe, wie einige Herren sie passend zu ihren Manschettenknöpfen tragen. Es war ein Rubin in einer antiken Fassung, es muss ein sehr altes Schmuckstück sein.

      Ein Familienerbstück, erklärte er, als er meinen Blick bemerkte. Er wisse nicht aus welchem Jahrhundert, auf jeden Fall sehr sehr alt.

      Demnach komme er aus gutem Hause, erkundigte ich mich, was selten dämlich war, weil es offenkundiger ja nicht mehr ging. Gleich welchen Zwirn er trägt, er ist unverkennbar edel und teuer.

      Wieso interessiert er sich überhaupt für ein so unscheinbares Ding wie mich? Aus purer Gastfreundschaft? So behauptet er jedenfalls. Er wolle, dass ich einen guten Eindruck von England mit nach Hause nähme. Sorry, für das Wetter könne er nichts. Aber alles andere versuche er mir so angenehm wie möglich zu gestalten. Weswegen er mich für den morgigen Tag auf einen Ausflug nach Canterbury einlade. Die Frau Tante müsse schon entschuldigen, aber er könne das Fräulein keinesfalls ziehen lassen, bevor es nicht die berühmte Kathedrale besichtigt habe – Sitz des Erzbischofs!

      Ob es derselbe Ort sei, wo das gleichnamige Gespenst hause, wollte ich wissen, nicht wenig stolz auf meine Kenntnisse englischen Kulturgutes.

      Ich sah ihn stutzen. Ich würde wohl Gespenstergeschichten lieben, stellte er belustigt fest. Nun, die Engländer – er sagte nicht: wir Engländer! – lieben sie auf jeden Fall. Schließlich gebe es von hier bis hinauf nach Schottland genug alte Burgen, Schlösser und Herrenhäuser, wo sie ihr Unwesen treiben könnten. Nur habe Oscar Wilde sein berühmtes Gespenst in Canterville spuken lassen, was ein altes Schloss sei, nicht in Canterbury.

      Na, da hatte ich mir ja eine feine Blöße gegeben! Ich laufe immer noch rot an, wenn ich nur daran denke. Aber er verstand es, mir jegliches Gefühl von Peinlichkeit zu nehmen und lenkte galant auf ein anderes Thema über.

      Trotzdem wollte ich der Bekanntschaft nun doch einen Riegel vorschieben. Sich von einem Nobelmann auf einen Kaffee einladen zu lassen, ist eine Sache, ein teures Abendessen anzunehmen schon eine andere. Aber ein Ausflug, an dem man von morgens bis abends zusammen ist, führt nun wirklich zu weit. Schließlich würde ja auch meine Tante morgen anreisen – fiel mir als rettender Gedanke ein. Genau in dem Moment näherte sich der Ober mit einem Kärtchen auf dem Silbertablett, darauf eine Nachricht meiner Tante, die ich in dem Glauben gelassen hatte, ich würde in dem für mich reservierten Hotelzimmer logieren.

      Ich sei doch die junge Dame aus Zimmer Einhunderteins?, vergewisserte sich der Ober. Ich haspelte, dass da wohl eine Verwechslung vorliegen müsse, ich sei nur die Begleitung dieses Hotelgastes, und wies auf Mr. Sinclair. Der Ober schaute verwirrt zwischen uns hin und her, bat um Entschuldigung und zog unverrichteter Dinge wieder ab.

      Meine Wangen brannten. Ich behauptete, mir sei ein wenig heiß – vom Wein und vom guten Essen. Daraufhin bat mich Mr. Sinclair hinaus auf die Terrasse, die einen großartigen Blick auf das umliegende Parkgelände bot, das im weichenden Tageslicht dalag. Der Regen hatte inzwischen gänzlich nachgelassen, gierig sog ich die frische Luft ein.

      Mr. Sinclair bot mir galant seinen Arm. Wir stiegen hinab in den Garten und spazierten eine Zypressenallee entlang, die zu einem weiter hinten gelegenen Rondell führte.

      Nun?, fragte er unvermittelt. Darf ich morgen auf Ihre Gesellschaft hoffen, Fräulein Hansen? Für Sonntag sei schönes Wetter mit nur noch vereinzelten Schauern vorhergesagt. Gegen einen kleinen Ausflug habe die werte Frau Tante doch gewiss nichts einzuwenden.

      Sein Zwinkern irritierte mich weniger, als die Tatsache, dass er meinen richtigen Nachnamen kannte! Verwirrt starrte ich ihn an.

      Er ließ ein spitzbübisches Grinsen und damit zwei Reihen absolut weißer, ebenmäßiger Zähne sehen.

      Gab es eigentlich irgendeinen Makel an diesem Mann?

      Er bitte um Verzeihung für diese Indiskretion, er habe meinen Namen vorhin auf der Vorderseite der Notiz gelesen, die ich so vehement als Fehlläufer von mir gewiesen hätte.

      Diese Erklärung verwirrte mich nur noch mehr. Was gab ihm die Gewissheit, dass ich, entgegen meiner Behauptung, doch Fräulein Hansen war?

      Auf dem Weg zurück zum Hotel schwiegen wir.

      Es sei spät geworden, ich würde nun gerne wieder heim zu meiner Tante, sagte ich und dankte ihm für den wundervollen Abend.

      Es habe ihm das allergrößte Vergnügen bereitet, versicherte er mir, rief einen Bediensteten heran und ließ meinen Regenmantel holen.

      Anschließend fuhr man ihm den Wagen vor.

      Wer sind Sie, Mr. Sinclair?, flüsterte ich, während er mir die Autotür aufhielt und beim Einsteigen behilflich war.

      Und wer sind Sie, Fräulein Hansen, fragte er, nachdem er hinter dem Steuer Platz genommen und den Schlüssel ins Zündschloss gesteckt hatte. Wer sind Sie, dass Sie es vorziehen, in einem baufälligen Cottage zu wohnen, statt