Nicolae: An der Quelle - Band 7. Aurelia L. Porter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aurelia L. Porter
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Nicolae-Saga
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347053854
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      So langsam rebelliert mein Gedärm. Es weigert sich, den Kram zu verdauen, den ich seit Tagen in mich hineinstopfe. Wie bei unseren Nachbarn daheim kommt nur noch laue Luft.

      Draußen ist alles nass und es ist merklich abgekühlt. Aber die Sonne tut ihr Bestes, um die aufsteigenden Dunstschichten zu durchdringen. Es dampft von allen Seiten. Die Vögel singen nicht, sie schrillen vor Entzücken. Offenbar fühlen sie sich wie neu geboren. Ich hingegen bin von dieser chaotischen Nacht völlig zerschlagen.

      Die Wassermassen, die in den frühen Morgenstunden unaufhörlich heruntergerauscht kamen, ließen mich schon befürchten, dass aus meiner Bude eine Arche Noah würde und ich mich am Morgen auf dem Berge Ararat wiederfände. Also werde ich mich jetzt erst mal eine Runde aufs Sofa hauen und mir den Rest von Judiths Tagebuch vornehmen … und die herausgefallenen Blätter sortieren.

       Gegen Mittag

      Die Sonne hat den Kampf gegen den Dunst verloren. Draußen ist inzwischen alles zugezogen und es fällt ein feiner Regen – ein frischer Landregen, wie Mutti dazu sagen und wie immer hinzufügen würde: gut für die Vegetation. Als ob diese hier es nötig hätte, es ist das reinste Gewächshaus!

      Aber jetzt will ich schnell von Judith berichten, bevor ich mich auf den Weg in den Ort mache. Ich brauche nämlich dringend eine anständige Mahlzeit, mir ist schon ganz blümerant. – Ja, Mutti, du hast mal wieder recht behalten!

      Anfang März kehrt Judith nach London zurück, hält es an der Seite ihres Gatten aber nicht aus und fährt wieder hierher zu Jane. Sie sprechen viel über Granny Bridget und die Weisen der Altvorderenzeit. Diese hätten in steter Zwiesprache mit der Natur und mit Gott gestanden, der in allem wohne und alles beseele. Judith erhält damit eine Erklärung für ihre nächtlichen Träume. Sie sind etwas tief in ihr Verborgenes, das an die Oberfläche drängt und ein längst vergessenes Wissen freisetzt, ein Wissen um bestimmte Kräfte und den großen universellen Zusammenhang.

      Doch dann folgt die Tragödie schlechthin. Judith bekommt ein Telegramm: Edward, ihr Mann, hat sich umgebracht, mit irgend so einem Zeugs, das sie damals bei Schlafstörungen und jedem kleinen Wehwehchen geschluckt haben. Judith begreift dies als Schuldeingeständnis. Ihre bisherige Welt bricht in sich zusammen. Sie glaubt, an Edwards Seite ein Leben in Lüge geführt zu haben. Am Boden zerstört ruft sie nach ihrem rettenden Engel. Dieser kniet plötzlich tatsächlich neben ihr – in Gestalt des Grafen! Er hilft ihr, wieder auf die Beine zu kommen und nimmt sie schließlich zu sich.

      Das sind die letzten Zeilen, geschrieben im Mai 1892, die mit der Frage schließen, ob nun alles wieder gut wird.

      Das frage ich mich auch!

      Aber was ich mich noch viel mehr frage, ist, ob das Amulett wohl noch immer an den Wurzeln der alten Eiche begraben liegt, wo Jane es einst vor Judith versteckt gehalten hatte, damit diese nicht in Versuchung geriete. Denn die Schatulle, nach der Judith zuletzt immer häufiger gegriffen hatte, war leer!

      Ich hätte nicht übel Lust, mich auf die Suche zu machen. Ob ich besagte Eiche wohl finde?

       Irgendwann zwischen spätem Nachmittag und frühem Abend

      Es bringt keinen Spaß, bei Regen im Wald herumzuspazieren und Bäume zu suchen, darum hatte ich mich dazu entschieden, lieber in den Ort zu radeln, um in einer Teestube eine Kleinigkeit zu essen. Meine Regenjacke klebte eklig auf der feuchten Haut, ich kam völlig verschwitzt dort an.

      Die Promenade war wie ausgestorben. Wo sind die Badegäste nur alle hin? Wahrscheinlich sitzen sie in ihren Hotels und Pensionen und spielen Scrabble oder Memory. Das haben Mutti und ich damals auch getan, als wir für eine Woche nach Büsum an die Nordsee gefahren sind. Ich fand’s stinklangweilig, den ganzen Tag in einem dämlichen Strandkorb rumzusitzen und ab und zu durch Matsch zu waten … Schlick, hat Mutti mich korrigiert. Es soll sehr gesund sein, barfuß durch Schlick zu laufen! Und sich die große Zehe an einer scharfkantigen Muschelschale kaputt zu schneiden, habe ich gedanklich hinzugefügt. Das Beste an dem Urlaub – unser bisher einziger! – waren die Krabben auf Schwarzbrot. Die haben wir unten im Hafen fangfrisch vom Kutter gekauft und selbst gepult. Wie die Finger hinterher stanken! Die halbe Woche war Land unter. Wir saßen den ganzen Tag in unserem kärglichen Zimmerchen der Frühstückspension und haben gescrabbelt, was das Zeug hielt. Gut, dass wir überhaupt Spiele mitgenommen hatten, ich wäre sonst umgekommen vor Langeweile! Ich glaube, ich war damals die einzige Dreizehnjährige dort weit und breit.

      Während ich vorhin in dem völlig überfüllten Tea-Room lustlos ein labberiges Sandwich kaute – mein Gott, wie ich unser Schwarzbrot vermisse! – und heißen Tee mit Milch dazu schlürfte, wurde mir bewusst, dass ich ab morgen wieder unter ständiger Aufsicht stehe. Dann hat das Lotterleben ein Ende.

      Ich versuche mir Tante Nelly vorzustellen. Von der Stimme her klang sie jünger als Mutti. Ich bin sehr gespannt auf ihre Story!

      Auf dem Rückweg, ich wollte gerade meinen Drahtesel besteigen, hielt ein Auto neben mir. Der Fahrer kurbelte die völlig beschlagene Scheibe runter, weswegen ich ihn erst dann erkannte. Natürlich, der Lackaffe! Heute aber mit langer Hose – naja, bei dem Wetter. Ob er mich ein Stück mitnehmen könne?

      Wie käme ich wohl dazu, zu einem Fremden ins Auto zu steigen? Was bildete er sich denn ein? – Und mein Fahrrad? Das könne ich doch nicht so einfach hier stehen lassen.

      Und wie ich das konnte! Zack, saß ich in einem roten mit schwarzen Ledersitzen ausgestatteten Sportwagen, ein Austin Healey 3000, wie ich erfuhr. Er trug Autofahrerhandschuhe aus feinstem Wildleder, beige. Sie saßen wie angegossen. Sein bestimmt teures Eau de Toilette mischte sich mit der Feuchtigkeit, die von meinen nassen Klamotten aufstieg. Mit einem Tuch musste er die sich immer wieder beschlagende Windschutzscheibe frei wischen. Es machte kaum einen Unterschied, der Ausblick blieb grau in grau. Mir war es peinlich, dass ich Sitz und Fußraum dieser Nobelkarosse nass machte, aber er lachte nur darüber, als hätte er mir meine Gedanken von der Stirn abgelesen. Never mind! Sein Garagist würde sich nachher darum kümmern.

      Ich kann immer noch nicht fassen, dass ich genau das getan habe, wovor mich Mutti stets gewarnt hat. Wie konnte ich nur?

      Mir wurde ziemlich ungemütlich zumute mit ihm allein auf so engem Raum. Er spürte es und verwickelte mich in ein Gespräch. Meine Anspannung wollte jedoch nicht weichen und ich blieb einsilbig. Mit dem Auto sind es ja nur wenige Minuten bis zum Cottage, versicherte ich mir selbst. Und wenn er mich an der Straße absetzt, kann er nicht sehen, wo ich wohne. Er soll keinesfalls mitkriegen, dass ich hier ganz allein hause! Wenn ich heil ankäme, so schwor ich mir, würde ich so etwas nie wieder tun. Einfach zu einem völlig Unbekannten ins Auto zu steigen, also wirklich! Do you like a fruit drop? Erschrocken sah ich auf die dargebotene Dose, die er mir mit einem liebenswürdigen Lächeln hinhielt. Tja, kleine Mädchen lockt man eben mit Bonbons! Dankend lehnte ich ab und bemerkte, dass ich immer mehr zu frösteln begann. Außer einer Tasse Tee hatte ich ja wieder nichts Warmes in den Magen bekommen. Doch mehr kann ich mir beim besten Willen nicht leisten, mein Geld ist fast aufgebraucht. Ich hätte mir den Sonnenhut nicht kaufen dürfen, der bei dieser Wetterlage nun völlig überflüssig geworden ist. Abgesehen davon hätte ich mich ohnehin nicht allein in ein richtiges Restaurant getraut.

      Das eintönige Hin und Her der Scheibenwischer sowie das unaufhörliche Plattern des Regens aufs Verdeck ließen meine Lider immer schwerer werden, kaum dass ich Lackäffchens Worten noch folgen konnte, der locker daherplapperte, um mir die Scheu zu nehmen. Einlullen nennt man das. Und leider gelang es ihm. Mein Schlafmangel rächte sich zum ungünstigsten Zeitpunkt. Would you fancy a nice cup of coffee? I can’t do without one in the afternoon, though it isn’t very British. Irgendetwas ließ mich vermuten, dass er nicht aus England stammt, obwohl er das reinste Oxford English spricht, mit leichter Betonung der Vokale, wie es hier im Süden des Landes üblich zu sein scheint. Ich höre sie gern, diese akkurate Sprechweise, die nicht einen einzigen Konsonanten am Ende verschluckt. Nicht so wie die Franzmänner, die in ihrer Kehle drei Buchstaben zu einem einzigen Laut vermengen und als undefinierbaren Klumpen wieder ausspucken. Die hiesige Sprachmelodie weist eine deutlich umfangreichere Tonleiter auf als die unsere. Wie