Nicolae: An der Quelle - Band 7. Aurelia L. Porter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aurelia L. Porter
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Nicolae-Saga
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347053854
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Ein Kellner reicht Eistee und Tonics. Dazwischen hat sich eine Familie um ein Rasenspiel gruppiert. Die Kinder hüpfen vor Begeisterung nach jedem Schlag mit dem Holzschläger. Auf der anderen Seite des Gebäudes befindet sich ein Tennisplatz. Vorhin konnte ich hören, wie sie sich dort die Bälle um die Ohren schlugen. Auch Tante Nelly erschien gestern Nachmittag chic im weißen Tennisdress mit Sonnenblende auf der Stirn und protzigen Goldklunkern an den Ohren.

      Ich hasse sie. Alle wie sie da sind. Was soll ich hier? Ich gehöre hier nicht hin. Und schon gar nicht zu ihnen!

      Mein Leben in der Bruchbude, wie schön und unbeschwert es doch war, und wie lange her es mir vorkommt. Dabei liegen gerade mal drei Tage zwischen meinem alten und neuen Leben – eine gefühlte Ewigkeit.

      Komisch, mein richtiges Leben bei Mutti scheint mir in weite Ferne gerückt. Es beginnt rasant zu verblassen. Was geschieht mit mir?

      Etwas später

      Meine Wut hat inzwischen einer gewissen Erschöpfung Platz gemacht. Ich heule jetzt nur noch aus purer Resignation.

      Heute Morgen bin ich einfach nicht aufgestanden. Ich habe das Türschild „Bitte nicht stören“ rausgehängt und mich wieder ins Bett gelegt. Das Zimmermädchen hat trotzdem zweimal geklopft. Ich habe ihr ein rüdes No durch die geschlossene Tür entgegengeschrien und mir die Decke über den Kopf gezogen.

      Percy hat mir eine Nachricht unter der Tür hindurchgeschoben. Er wisse, dass ich zurzeit mit niemandem sprechen wolle und er werde dies selbstverständlich respektieren. Dennoch halte er es für wichtig, mir mitzuteilen, dass er den Vormittag über geschäftlich unterwegs sei, aber zum Fünfuhrtee zurückkomme. Er bestehe darauf, dass ich diesen mit ihm zusammen einnähme.

      Pah, der Lackaffe kann mir gestohlen bleiben mit seinen feinen Manieren und seiner geschliffenen Konversation!

       Irgendwann am Nachmittag

      Ich bin zurück in der Bruchbude. Hier fühle ich mich wesentlich wohler als bei den steifen Oberlippen. Und warum auch nicht? Ob ich mich nun hier verschanze oder dort. Hier klopft wenigstens keiner alle naslang an die Tür und will das hier ohnehin nicht vorhandene Badezimmer putzen.

      Es war fast ein bisschen wie nach Hause kommen. Ich weiß, dass es lächerlich klingt, schließlich habe ich gerade mal eine Woche lang hier gehaust. Wie ein Hottentotte, hätte Mutti entrüstet hinzugefügt. Genau: herrlich frei und ungezwungen. Erst jetzt weiß ich es richtig zu schätzen.

      Ich nehme mir die Freiheit. Wer sollte mich aufhalten? Es ist ja keiner von denen da. Na also …

      Es war ein Fußweg von gut einer halben Stunde. Mein Herz schlug freudig, als ich mich dem Cottage näherte. So vertraut erscheint mir bereits alles. Es ist meine Rettungsinsel.

      Ich hatte mich auf mein Plätzchen unter der Linde fallen lassen, tief durchgeatmet und die Augen geschlossen. Ich konnte spüren, wie die Sonnenflecken auf meinem Gesicht tanzten. Es ist schön dort im lichten Schatten. Ich versuche mir einzureden, dass alles, was ab Sonntag geschehen ist, nur ein böser Traum war. In Wirklichkeit bin ich die ganze Zeit hier im Cottage gewesen.

      Dieser Gedanke machte mich glücklich. Jedenfalls so lange, bis ich wieder dieses Flattern vernahm, dasselbe wie neulich Nacht. Als ich die Augen aufschlug, sah ich einen Raben über mir in der Baumkrone hocken. Er äugte auf mich herab, als beobachtete er mich. Darum bin ich reingegangen. Ich will nicht auch hier noch unter Beobachtung stehen.

      Im Cottage spüre ich sofort wieder Judiths Gegenwart. Aber nicht nur ihre, auch die einer mir bisher unbekannten Person, vielleicht die von Jane, von der ich so gut wie nichts weiß, außer dass sie Judiths Freundin war, ihre Vertraute, ihre Geheimnisträgerin.

      Die Schatulle kommt mir in den Sinn, das Amulett. – Ich werde mich nachher erneut auf die Suche machen, doch zuvor will ich endlich die letzten Seiten aus Judiths Tagebuch lesen.

       Eine Viertelstunde später

      Sie sind nicht da! Ich kann sie nirgends finden! Dabei bin ich mir ziemlich sicher, sie ordentlich gestapelt auf dem Küchentisch liegen gelassen zu haben. Auch das Tagebuch kann ich nicht finden. Ich hatte es zuletzt neben dem Sofa abgelegt.

      Moment, da kommt mir eine Idee. Vielleicht habe ich beides, als mein Kopf am Samstagabend noch vom Wein umnebelt war, unter das Sofa geschoben …

      Darunter ist nichts! Rein gar nichts. Auch die drei gebündelten Briefe nicht mehr. Als hätte ich mir alles nur eingebildet.

      Was soll das? Ob wohl die Kinder, die hier ab und zu spielen … Aber warum sollten sie ein Tagebuch mitnehmen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass kleine Jungs daran Interesse haben. Die spielen doch lieber im Garten, toben durchs Gebüsch, klettern auf Bäume oder hüpfen auf den alten Matratzen rum. Auch wurde nichts von meinen Sachen berührt. Die halbe Tüte Lakritzkonfekt liegt unangetastet im Küchenbord, und die hätten sich die Kinder bestimmt unter den Nagel gerissen. Sie sind also nicht hier gewesen. Aber wer sonst sollte herkommen? Die meisten Einheimischen wissen ja gar nicht um das verlassene Cottage, sonst hätten sie mir bei meiner Ankunft den Weg weisen können.

      Percy! Er weiß vom Cottage. Er hat es selbst gesagt, als er mich Samstagabend hierher zurückfuhr. Er fragte mich, warum ich hier hausen würde, statt das für mich reservierte Zimmer im Hotel zu beziehen. Sollte er zwischenzeitlich hier gewesen und das Tagebuch und die Briefe an sich genommen haben?

      Wenn ich ihn nicht so sehr hassen würde, würde ich ihn fragen.

       Wo ist der Engel geblieben? Der Engel, der mir zur Seite stand, der mich barg und in seine Welt zurückbrachte?

      Diese Frage wird nun wohl unbeantwortet blei–

       Abends

      Ich hätte vorhin fast einen Herzstillstand bekommen, als es so plötzlich ans Küchenfenster klopfte. Ich konnte gerade noch mein Heft in meine Tasche gleiten lassen und beten, dass er es nicht gesehen hat. Wer weiß, vielleicht nimmt er es mir auch noch weg! Ich bin ziemlich sicher, dass er der Dieb war. Wer denn sonst?

      Percy wirkte recht ungehalten, dass er mich hier antraf und ich ihn nicht wie befohlen zum Fünfuhrtee im Hotel erwartet hatte.

      Immerhin, stellte er zufrieden fest, scheine ich mich ein wenig gefangen zu haben. – Arschloch!

      Es sei bedauerlich, dass ich mich so unversöhnlich zeige, aber durchaus verständlich.

      Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu, den er kommentarlos hinnahm.

      Dennoch wünsche er, dass ich ihn zurück ins Hotel begleite. Das hier sei kein geeigneter Aufenthaltsort für mich.

      Wieso ich den Schuppen dann geerbt hätte? Da stünde doch mein Name auf dem Erbschein, oder etwa nicht?

      Nur weil es das Erbrecht so vorsehe, bedeute dies noch lange nicht, dass es zu meinem Besten sei. Ich sei fremd hier, wisse nichts von der Vergangenheit und den Geschehnissen, die sich hier einst zugetragen haben. Das alles wolle er mir gerne nach und nach auseinandersetzen. Danach solle ich selbst entscheiden, ob ich dieses Erbe antreten wolle oder nicht. Doch dazu müsse ich bereit sein, ihm zuzuhören, und meine Feindseligkeit ihm gegenüber ablegen. Er habe mir schließlich nichts Böses getan. Im Gegenteil, er habe versucht …

      Oh, ich wüsste genau, was er versucht habe. Und ich sei auch noch darauf hereingefallen. Er habe am Sonntag meine Unerfahrenheit weidlich ausgenutzt. Wie er da erwarten könne, dass ich ihm jetzt noch vertraue?

      Ich würde irren, er habe nichts dergleichen getan. Und nun solle ich endlich ins Auto steigen.

      Er verliert allmählich die Geduld. Irgendwie macht mir das Angst. Ich kann an seinem Blick erkennen, dass es noch eine andere Seite an ihm gibt, die ich lieber nicht kennenlernen will. Eine dunkle, eine düstere, die mich schaudern macht.

      Widerwillig folgte ich ihm.

      Da er mich vom Cottage fernhalten will, reizt es mich umso mehr, bei nächster Gelegenheit dahin zurückzukehren. Zumal ich die alte Eiche vorhin wieder nicht gefunden