Nicolae: An der Quelle - Band 7. Aurelia L. Porter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aurelia L. Porter
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Nicolae-Saga
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347053854
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weich – obwohl ich Letzteres natürlich nicht beurteilen kann.

      Was soll diese Schwärmerei? Und seit wann sind die Lippen eines Mannes von Belang? Erwähnte ich schon das Grübchen an seinem Kinn? Oje, ich bin anscheinend doch noch ein Teenager!

      Ob er mich auf ein weiteres Getränk einladen dürfe.

      Oho, das hätte ich eher von einem Italiener oder Franzosen erwartet, aber doch nicht von einem steifen Engländer! Seit wann rauschen die so ran?

      Bedaure, antwortete ich ihm mit einem wohlerzogenen Lächeln, aber meine Tante würde mit dem Essen auf mich warten.

      Wenn ich jetzt sagen würde, dass sein Blick mich gefangen nahm, würde es zwar zutreffen, aber furchtbar abgedroschen klingen.

      Im Geiste sah ich bereits die Schlinge um meinen Hals. Daher bedankte ich mich höflich für sein freundliches Angebot, gab aber vor, nun gehen zu müssen.

      Die mahnenden Worte meiner Mutter dröhnten mir in den Ohren: Denk dran, Kind, Männer wollen immer nur das eine! – was genau das aber sein soll, hat sie mir nie gesagt, diese geheime Information musste ich mir selbst beschaffen.

      Ich spürte seine bedauernden Blicke auf meinem Rücken, als ich ging, und verfluchte mich für meine Blödheit.

      Was wäre denn dabei gewesen, es ging doch lediglich um eine Limo!

      Stattdessen hocke ich nun wieder in dieser modrigen Hütte und vergrabe mich in die abstruse Geschichte fremder Leute, welche inzwischen „nur noch“ siebzig Jahre zurückliegt.

       Abends

      Ich kann mich kaum auf Judith konzentrieren. Es ist total schwül. Bestimmt zieht noch ein Gewitter auf. Immer wieder sehe ich diese blauen Augen vor mir. Eigentlich ganz schön dreist. Ich meine, man lädt doch nicht ein wildfremdes junges Mädchen so mir nichts, dir nichts auf ein Getränk ein! Ist das etwa die feine englische Art? Und ich hätte mich auch gar nicht so einfach einladen lassen dürfen! Meine Ablehnung war überhaupt nicht so kindisch, wie sie mir zunächst vorgekommen war, sondern die einzig richtige, nämliche vernünftige und daher erwachsene Art, auf so ein unverschämtes Angebot zu reagieren. – Lackaffe! Auch wenn er Leinenslipper trug, die ziemlich teuer aussahen.

      Gott, diese verdammten Augen! – Keine Kraftausdrücke! – Ich weiß, Mutti, ich weiß. Aber in diesem Fall sind sie zutreffend.

       Spät in der Nacht

      Unglaubliches hat sich zugetragen, während Judith sich bei ihrer Freundin Jane in genau diesem Cottage vom Verrat ihres Mannes zu erholen sucht. Sie ist völlig niedergeschlagen, umso mehr, als Jane ihr die Leviten liest, weil Judith in ihrem Tagebuch Geheimnisse über ihre Familie ausgeplaudert habe.

      Ja, was denn, bitte schön?

      Vom Bann des Vergessens sei darin die Rede. Doch was soll ich mir darunter vorstellen? Und vom Amulett. Ach du Schreck! Na und? Ist doch bloß Hokuspokus. Und schließlich werde sogar der Wächter mit dem Schlüsselbund in Verkörperung des mysteriösen Grafen erwähnt, von dem ich lediglich weiß, dass er aus Rumänien kommt, einem Land mit tiefen dunklen Wäldern und Bergen, in denen Drachen hausen. So soll es zumindest früher gewesen sein, bevor die Kommunisten ganz Osteuropa in Besitz nahmen, alles Märchenhafte daraus vertrieben und die Länder zu Bauern- und Arbeiterstaaten machten – so haben sie es uns jedenfalls in der Schule erzählt. Der Graf aber stammt aus alten Zeiten, als es noch Adlige gab, welche die Welt wie eine Sahnetorte unter sich aufteilten und Dienstboten für’n Appel und ’n Ei für sich schuften ließen. Seine Macht sei fast unbegrenzt, schreibt Judith. – Echt irre. Wenn das nicht den Stoff für einen spannenden Roman abgibt!

      Daraufhin rät Jane Judith doch tatsächlich, das Tagebuch zu verbrennen! Was diese Gott sei Dank nicht getan hat. Auch schreibt sie davon, die verfänglichen Seiten heraustrennen zu wollen, was sie offenbar ebenso unterlassen hat. Stattdessen hat sie – oder Jane? – es hier versteckt.

      Anfang Februar reist Judith nach Irland zu ihrer Granny Bridget, die inzwischen schon steinalt ist. Diese feiert mit ihr und den Bewohnern des Fischerdorfs, in dem sie lebt, das Lichterfest Imbolc. Und nun erfahre ich endlich, dass Judiths Großmutter die Hohepriesterin eines alten Druidenordens ist und Judith als Nachfolgerin bestimmt war. Doch diese fand mit ihrem wissenschaftlich geprägten Verstand keinen Zugang zu der Welt ihrer keltischen Ahnen, weswegen ihre jüngere Schwester auserkoren wurde, die es – wie bereits ihre Mutter zuvor – mit dem Leben bezahlen musste. Der Graf – das Mysterium, der Wächter mit dem Schlüsselbund, der dakische Hohepriester – hatte den Auftrag, nun Judith auf diese Aufgabe vorzubereiten. Es wäre ihm fast gelungen, wenn sie sich ihm nicht kurz zuvor wieder entwunden hätte, aus Furcht vor dem Unbegreifbaren. Aus Furcht vor sich selbst.

      So stand es dort natürlich nicht, aber ungefähr. Es ist alles etwas nebulös. Immerhin habe ich eine vage Idee bekommen.

      An genau der Stelle ist mir das Tagebuch aus der Hand gerutscht und zu Boden gefallen. Dabei haben sich einige, anscheinend nachträglich eingefügte Seiten gelöst. Ich bin zu müde, um sie zu sichten und zu

      ordnen, das muss bis morgen warten. Jetzt will ich nur noch schlafen.

       TAG 5

       Vor dem Frühstück

      Ich habe lauter wirres Zeug geträumt und bin mit dem Gefühl aufgewacht, nicht eine Sekunde geschlafen zu haben. Wie immer.

      Alles purzelte heute Nacht durcheinander: Meeresrauschen, blaue Augen, das Lichterfest – Letzteres so klar und deutlich, als wäre ich selbst dabei gewesen. Ich meine, wir haben Sommer, es war heute Nacht extrem stickig in der Bude, und doch stand ich an einem eisigen Februarmorgen frierend am Strand, umgeben von einem Lichterkranz, um gemeinsam mit meinen Brüdern und Schwestern das erste Frühlingslicht zu begrüßen, das sich langsam über den Horizont erhob, sich fast unmerklich über dem Meer ausbreitete und schließlich über uns ergoss. Ich sah die vor Frost zitternden Zweige, lauschte den Gesängen der Weißgewandeten, vernahm ihre alte Sprache und erkannte sie wieder, die Melodie, welche ich tags zuvor unten in der Bucht gehört hatte – hier in dieser Welt, in diesem Jahrhundert! Wie kann das sein? Und ich blickte in Granny Bridgets Augen, die von einem irisierenden Blau waren, so wie die des Lackaffen! Ich bin zwei-, dreimal völlig verschwitzt aufgewacht und habe, um mir Kühlung zu verschaffen, den Kopf aus dem Fenster gesteckt. Da war mir, als hörte ich wieder dieses Flattern. Aber ich konnte rein gar nichts erkennen, zumal der Mond immer wieder hinter den schnell ziehenden Wolken verschwand.

      Wenig später – glaube ich jedenfalls – zog Sturm auf und fegte brausend durch die Bäume im Garten, sodass ich schon Sorge hatte, er würde das Dach abtragen. Aber es ist ja mit Reet gedeckt, es hält bestimmt den stärksten Seewinden stand. Beruhigt döste ich wieder ein und träumte von allerlei, an das ich mich nicht mehr erinnere. Bis ich in der Ferne das erste Grummeln vernahm. Der Schreck hierüber ließ mich senkrecht vom Sofa hochfahren. Einen Blitzableiter hat diese Bude nämlich nicht und das Reetdach brennt bestimmt wie Zunder! Ich stand auf und schaute aus dem Fenster. Der Mond war inzwischen weitergewandert. Aber es hätte ihn ohnehin nicht gebraucht, denn das Wetterleuchten tauchte die grüne Hölle da draußen für Sekunden in ein unwirklich grelles Licht. Und da sah ich deutlich einen Hund. Er stand direkt unter der Linde und äugte zu mir her. Mir wurde ganz anders. Ich prüfte umgehend, ob die Haustür richtig verschlossen war, und machte vorsichtshalber sämtliche Fenster zu. Wie sollte ich wissen, ob der Köter nicht durch sie hereinkäme, wenn der Hunger ihn dazu trieb. Ich habe keine Erfahrung mit Hunden. Mutti kann sie nicht ausstehen, diese Kläffer, die überall ihr Bein heben und alles ansabbern. Aber kurz darauf glaubte ich zu ersticken, während sich draußen die Luft endlich auf ein erträgliches Maß abkühlte. Also sah ich mich gezwungen, das Fenster wieder einen Spalt breit hochzuschieben. Dabei hielt ich nach dem Hund Ausschau, aber er war nicht mehr da. Ich legte mich wieder hin und versuchte mir einzureden, dass ich ihn mir nur eingebildet hatte.

      Ob ich mich dafür verfluche, dass ich nicht im Palace Hotel abgestiegen bin? Ja doch!

       Nach dem Frühstück