Nicolae: An der Quelle - Band 7. Aurelia L. Porter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aurelia L. Porter
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Nicolae-Saga
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347053854
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während er weitersprach und ein vages Lächeln seine Lippen umspielte. Mein Blick wurde dabei immer wieder von seinem Grübchen am Kinn angezogen. Ich kann kaum fassen, dass ich so etwas überhaupt bemerke, und dann auch noch wiederholt notiere! Erst seine hochgezogene Augenbraue machte mir bewusst, dass ich ihm noch keine Antwort auf seine Einladung zum Kaffee gegeben hatte. I am so sorry but … stotterte ich und hatte vor, abermals mein imaginäres Tantchen vorzuschieben. Yes, please. It would be lovely! – Hatte ich das wirklich gerade geantwortet? Ich muss völlig verrückt geworden sein!

      Dieser Lackaffe verwirrt mich, oder wieso habe ich jedes Mal etwas anderes getan und gesagt als beabsichtigt? Als Entschuldigung kann ich nur meine Müdigkeit vorschützen. Wieso aber habe ich dann so nebensächliche Dinge wahrgenommen wie seine Schuhe? Echte Dandy-Schuhe, zweifarbig, braunweiß, mit Lochmuster im Übergang – und diesmal tatsächlich aus Lack! Ich starrte auf sie, als er mir mit aufgespanntem Regenschirm die Wagentür aufhielt und mir beim Aussteigen behilflich war. Wie schaffte er es nur bei diesem Mistwetter, die Hosenbeine seines hellen Sommeranzugs frei von jeglichen Dreckspritzern zu halten?

      Wir waren bei einem französischen Café angekommen. Es lag ein ganzes Stück außerhalb des Ortes, eingebettet in einem lauschigen, von Hortensien umsäumten Garten, in dem es von den Blättern nur so tropfte. Die Front war verglast, sodass wir den herrlichen Blick auf die blühenden Beete nicht zu entbehren brauchten. Der Garçon brachte für ihn einen café noir und für mich einen café au lait, dazu frisch gebackene Madeleines. Allein der Duft war überwältigend. Richtiger Kaffee mit noch warmem Gebäck! Mein Dandy spricht übrigens perfektes Französisch – auch das noch! Es sei vermutlich nicht gerade das, was dem Fräulein aus Germany vorschwebe, wenn es das Vereinigte Königreich besuche, aber die Nähe zu Frankreich könne man nun einmal nicht leugnen. Immerhin befänden wir uns hier an der fast engsten Stelle zum Kontinent. Er plauderte ungezwungen und charmant. Er liebe diese kleinen versteckten Oasen. Die Ferienausflügler führen hier so gut wie nie hin. Sie seien zufrieden mit dem Strand und der Promenade, den Spielhallen und Vergnügungspavillons. Er aber liebe das Abgeschiedene und Ursprüngliche. Es seien übrigens echte Franzosen, die das kleine Café hier betrieben, wahrscheinlich die Nachkommen irgendwelcher Schmuggler oder Piraten, ergänzte er augenzwinkernd, während ich mir ungeniert das französische Gebäck einverleibte.

      Ich muss auf ihn wohl einen ziemlich ausgehungerten Eindruck gemacht haben. Ob die Frau Tante nicht gut für mich sorge?

      Doch, doch, versicherte ich ihm, sie könne nur nicht mehr so lange am Herd stehen, darum schicke sie mich hin und wieder zum Essen holen in den Ort. Vielleicht auch, um ungestört ihren Mittagsschlaf halten zu können, fügte ich haspelnd hinzu.

      Die dumme Antwort rettete mich keineswegs. Er lud mich zum Abendessen ein. Keine Sorge, er würde sich natürlich zuvor die Genehmigung der verehrten Frau Tante einholen. Völlig perplex starrte ich ihn an. Dann zog ich die Notbremse. Ich glaube kaum, antwortete ich ihm streng, dass Tante Nelly mich mit einem wildfremden Mann ziehen lässt … Da stutze er. Er bitte vielmals um Verzeihung, beeilte er sich zu erwidern, er habe nichts Unschickliches im Sinn. Es bereite ihm lediglich Freude, einer Touristin Schutz vor dem englischen Wetter zu bieten und ihr etwas Gesellschaft zu leisten. Und was das Wildfremde anbelange … Sinclair, Percival Theodore Sinclair, seine Freunde würden ihn Percy rufen. Und dabei erfassten mich seine Meeresaugen mit einer Treuherzigkeit, die jegliche Zweifel mit einer einzigen Woge hinwegspülte.

      Schon zappelte ich im Netz. Und nun? Wie sollte ich mich da wieder hinauswinden? Wie konnte ich jetzt noch Nein sagen? Schlimmer: Wie sollte ich ihm meine nicht anwesende Tante erklären und meinen Wohnort geheim halten? Ich errötete unter seinem Blick. Er sah zwar nicht aus wie ein Massenmörder oder Mädchenentführer, aber was heißt das schon? Er blieb ein Fremder, selbst wenn ich nun seinen Namen kannte.

      Es tue ihm furchtbar leid, füllte er zerknirscht die Stille zwischen uns und legte mir betroffen seine Hand auf den Unterarm, es habe nicht in seiner Absicht gestanden, mich derart in Verlegenheit zu bringen. Er bitte aufrichtig um Verzeihung. Er werde mich sogleich nach Hause fahren. Und falls ich es mir anders überlegen sollte, so würde ich ihn im Palace Hotel finden. Ich bräuchte an der Rezeption nur eine telefonische Nachricht für Zimmer 107 zu hinterlassen, dann werde er sofort kommen und mich abholen. Er werde rein vorsichtshalber einen Tisch für acht Uhr reservieren.

      Damit zückte er ein schwarzledernes Etui und reichte mir eine Visitenkarte des Hotels, in dem ich ebenfalls hätte absteigen sollen und in dem ich ihm eventuell sowieso über den Weg gelaufen wäre, sodass man bereits von Schicksal sprechen könnte. Unsere Wege sollten sich wohl kreuzen. Nur ob er in dieser Nobelunterkunft überhaupt auf mich aufmerksam geworden wäre, ist die große Frage. Höchstens wegen meiner schäbigen Aufmachung, denn das Hotel ist für unsereins mindestens drei Nummern zu groß.

      Jetzt sitze ich hier mit knurrendem Magen am wackligen Küchentisch. Draußen schüttet es immer noch wie aus Kübeln. Mir ist wieder fröstelig geworden, denn es ist kühl und klamm in der Bude. Momentan könnte ich mir nichts Schöneres vorstellen, als mit diesem charmanten und unverschämt gut aussehenden Engländer – oder auch Nichtengländer, völlig wurscht! – eine warme Mahlzeit einzunehmen. Wir wären in dem großen Hotel ja unter vielen Menschen, was soll also passieren? Außerdem ist er durch und durch ein Gentleman.

      Die Versuchung ist groß. Sehr groß!

      Ich müsste mich allerdings zuvor aufs Fahrrad schwingen und durch den strömenden Regen zur nächsten Telefonzelle radeln, um besagtes Telefonat zu tätigen. Die Vorstellung ist wenig verlockend, aber immer noch besser, als den restlichen Abend Kohldampf zu schieben und vollends durchzuklappern.

      Ich werde es tun!

      Ich werde ihn anrufen, zurückradeln, mich trocknen, und mein einziges Kostüm anziehen, das ich mitgenommen habe, denn eines der Sommerkleider wäre bei diesem Wetter und zu dieser Stunde unpassend. Und meine Dreiviertelröhre trage ich nun schon seit meiner Ankunft hier.

      Er soll mich an der Stelle aufpicken, an der er mich vorhin abgesetzt hat. Denn darauf hatte ich bestanden und es rundweg abgelehnt, dass er mich unter seinem Regenschirm bis zum Haus geleitet. Mein Wunsch sei ihm Befehl, hatte er kleinbeigegeben und mich am Straßenrand mit einem Handkuss verabschiedet. Ganz schön old school mein gelackter Dandy.

       Kurz nach Mitternacht

      Zu Hause kam ich mir so schick vor in meinem rosa Jackie-Kennedy-Kostüm, dessen Jacke mit einem einzigen großen Knopf asymmetrisch geschlossen wird. Ich hatte es mir von meinen Ersparnissen zur Abschlussfeier an der Höheren Handelsschule gekauft. Sogar ein Paar weiße Handschuhe hatte ich mir dazu gegönnt und einen dieser modischen kleinen Hüte. Ich trage also eigentlich den letzten Schrei! Meine sonst zum Pferdeschwanz gebundenen Haare hatte ich mir vorhin locker aufgesteckt und dazu einen seitlichen Audrey-Hepburn-Pony gekämmt. Warum auch nicht? Ich habe wie sie eine Knabenfigur, wie Mutti dazu sagt, wenn eine Frau nicht so viel Holz vor der Hütte hat wie sie selbst. Nur dass ich mit meinem Straßenköterblond und der Wischiwaschiaugenfarbe aus schmutzigem Grüngraugelbgemisch nicht ganz so apart aussehe wie die brünette Audrey mit ihren großen dunklen Augen. Ich hatte sogar meine kurze Perlenkette umgelegt, die ich von meiner Patentante zur Konfirmation geschenkt bekommen habe, und fand mich zusammen mit den weißen Pumps und der gleichfarbigen Handtasche ziemlich flott.

      Das änderte sich schlagartig, als ich mit meinem „Rendezvous“ das Foyer des Palace Hotels betrat. Die dortige Damenwelt war in gedeckten Farben erschienen, die meisten in einem figurbetonten Etuikleid mit lässiger Jacke oder in einem schicken schwarzen Cocktailkleid. Zwischen ihnen nahm ich mich aus wie ein rosa Marzipanschweinchen. Mir brach augenblicklich der Schweiß aus und ich verfluchte mich dafür, dass ich die Abendeinladung angenommen hatte. Für so etwas bin ich einfach nicht ausgerüstet und musste es bisher auch nicht sein – schon gar nicht in dieser Preisklasse! Gott sei Dank trug Mr. Sinclair keinen Smoking wie die meisten dort anwesenden Herren, sondern „lediglich“ einen Nadelstreifenanzug – als wollte er den Standesunterschied zwischen uns nicht noch mehr betonen.

      Ich hegte die Hoffnung, dass wir möglichst unbemerkt zu unserem Platz geleitet würden. Das Gegenteil war der Fall. Mr. Sinclair schien sämtlichen Gästen wohlbekannt zu sein, sie