Und mein einstiges Sorgenkind Marian? Aus seinem Traum, wie einst sein Vater als Kapitän die Donau rauf und runter zu schippern, ist nichts geworden – sehr zur Erleichterung der Mutter und Großmutter; der alte Teodorescu hat vor drei Jahren das Zeitliche gesegnet. Marian hatte damals als Laufbursche in der Handelsfirma des Herrn Salomo ein wenig Geld zum Unterhalt der Familie hinzuverdient. Irgendwann fiel diesem auf, wie clever der Junge zu verhandeln verstand und nahm ihn nach Abschluss der Schule in die Lehre. Mittlerweile ist Marian als Handelsvertreter für den großen Herrn Salomo tätig. Insofern ist er nun doch ab und zu auf der Donau unterwegs. Während dieser Handelsreisen kennt er neben seinen Aufträgen nur ein Ziel: seinen Vater ausfindig zu machen, so wie er es als kleiner Bengel schon gewollt hatte. Aber nicht mehr, um ihn seiner Mutter zurückzubringen – denn diese ist inzwischen wieder verheiratet, und zwar gut und glücklich –, sondern um ihm zu zeigen, dass man auch mit Hummeln im Hintern der Familie treu bleiben kann.
Ich brauche mir keine Sorgen zu machen, dass er noch einmal auf die schiefe Bahn gerät, denn er verdient gutes Geld und hat mit seiner charmanten Schlitzohrigkeit bei den Frauen großen Erfolg. Wenn er eines Tages seinen Vater ausfindig machen sollte, hätte er alles erreicht, was er sich vom Leben erhofft hat. Denn ein „gewiefter“ Geschäftsmann ist er inzwischen tatsächlich geworden.
Ich bin einigermaßen stolz auf den Jungen und bilde mir ein, meinen Teil dazu beigetragen zu haben. Wenigstens das bitte ich mir zu lassen, Virgil.
Für ihn war ich kein Engel, sondern ein Wolf. Und in der Tat habe ich damals für ihn gekämpft wie ein solcher.
Marian tat diesmal auch etwas für mich, denn er sah mir meinen Kummer an. Wie damals verwies er mich an Meister Elias, der noch immer in demselben Dachstübchen im Hafenviertel haust. Die Teodorescus aber sind längst in einen besseren Stadtbezirk gezogen, was Marian nicht davon abhält, seinem einstigen Meister dann und wann einen Besuch abzustatten und ihm etwas Geld zuzustecken.
Kürzlich schlürfte auch ich mit dem Rheumakranken ein Schälchen Salep, während ich ihm den Vorhang zu meiner Seele diesmal bereitwillig öffnete. Der Alte grunzte schwer und kratzte sich unter der mottenzerfressenen Zipfelmütze die graue Schläfe.
Zieh mit mir hinaus in die Wälder, mein lieber Junge, denn allein kann ich es nicht mehr, war seine Antwort.
So machten wir uns also auf den Weg. Frate führte ich am Zügel. Hin und wieder ließ ich den Alten aufsitzen, denn an manchen Tagen fiel ihm das Gehen schwer.
Während der ersten drei Tage unserer Wanderschaft sprachen wir kaum ein Wort. Abends in den Herbergen ließen wir es uns gutgehen und hörten den Erzählungen der Durchreisenden zu.
Am Ende des vierten Tages rasteten wir an einem Bachlauf und brachen das Brot zu Schafskäse und Zwiebeln. Ich führte einen guten Wein in meinem Schlauch, der rege zwischen uns hin und her ging.
Nun, was rätst du mir, Väterchen? Wie kann ich meine Schuld begleichen? Denn mit zu Kreuze kriechen ist es diesmal nicht getan.
Das käme auf einen Versuch an, nicht wahr?, krächzte der Alte. Doch das Allerwichtigste scheint mir zu sein, dass du dein Gleichgewicht wiederfindest. Erst wenn du dich selbst wieder zu schätzen gelernt hast, du wieder zufrieden mit dir bist, wird auch die Freude zu dir zurückkehren, eine Freude, die du mit anderen teilen kannst.
Ja, aber wie, Meister, wie stelle ich es an?
Indem du Nachsicht mit dir übst. Du musst dir erst einmal selbst verzeihen, bevor du es von anderen erwarten kannst. – Und nun hilf mir auf, Jungchen, wir haben noch eine weite Wegstrecke vor uns.
Langsam, aber zielstrebig schlugen wir uns durch den dichten Wald bis zur nächsten Lichtung und kamen schon bald zu Ursulas Herberge, wo sich sämtliche Wege kreuzen.
Am Abend des siebten Tages brachte ich den alten Mann zurück in seine Dachkammer. Meister Elias, sprach ich ernst, lange könnt Ihr nicht mehr so allein hier hausen.
Ich solle ohne Sorge sein, erwiderte er, während er sich ächzend auf sein Bett fallen ließ, Marian würde regelmäßig nach ihm sehen. Darüber hinaus habe sein Lieblingsneffe Levy, der journalistisch viel auf Achse sei, ihm ein Quartier in seinem Haus in Wien angeboten, wo noch weitere Verwandte lebten. Er wohne dort mit seiner lieben Frau und einem entzückenden Töchterchen ganz in Donaunähe. Denn ohne diesen verdammten Fluss vor der Tür, kicherte der Alte mit wässrigen Augen, halte er es nirgends aus.
So verließ ich den weisen Mann, erfreut, auf diesem Wege etwas über Klein-Levy in Erfahrung gebracht zu haben, und machte mich auf den Heimweg. Er führte mich schnurstracks zu Radas Hütte. Diesmal wurde ich nicht vom Klappern ihrer Schreibmaschine empfangen. Ich fand Rada hinter dem Haus, wo sie sich einen Gemüsegarten angelegt hatte und ein paar Hühner hielt. Sie jätete gerade das Unkraut zwischen Reihen von Paprika und Tomaten und sah verschwitzt zu mir auf. Misstrauisch wie immer blinzelte sie mir entgegen und verzog entzückt die Lippen, als sie mich erkannte.
Schau an, Blauauge beehrt mich mit seinem Besuch. Na, dann stell man deinen Gaul in den Unterstand dort, und pass auf, dass er mir mit seinem Schweif nicht meine Töpferwaren zerschlägt.
Da entdeckte ich in der geöffneten Schuppentür eine Töpferscheibe und auf den Brettern entlang der Schuppenwand etliche Rohlinge aufgereiht. Neben dem Schuppen stand ein Brennofen, der Teil der Sommerküche war. Und in dem erweiterten Unterstand, wo Frate einen Wassertrog und ein schattiges Plätzchen fand, standen auf frisch gezimmerten Regalen bunt lasierte Schalen und Krüge in traditionellen Mustern. Beeindruckt nahm ich einzelne zur Hand und begutachtete sie.
So, von dieser Kunst verstehst du also auch etwas, rief ich ihr zu. Du steckst voller Überraschungen, Rada.
Von deinen Schmeicheleien, Euer Hochwohlgeboren, kann ich mir nichts kaufen, entgegnete sie schroff wie immer. Also Finger weg, wenn du mir nicht eine Kiste voll davon abkaufen willst!
Ich tat, als ließe ich versehentlich einen Krug fallen und fing ihn knapp über dem Erdboden wieder auf. Da drohte sie mir mit dem Grubber.
Zum ersten Mal seit Langem wurde mir etwas leichter ums Herz. Es machte mich irgendwie froh, Rada bei Tätigkeiten wie Gärtnern und Töpfern zu sehen und dass sie aus ihrer elenden Hütte mehr und mehr ein heimeliges Zuhause machte. Denn ja, erstmals zierten bunte Sommerblumen in selbst getöpferten Kübeln die umlaufende Veranda. Und hatte die Hütte nicht sogar einen frischen Anstrich bekommen?
Ich staubte meine Kleidung ab, da rief mir Rada zu, ich solle den Waschzuber vorbereiten, auch sie sei verschwitzt.
So tat ich, mit einem unwillkürlichen Grinsen im Gesicht, und sah, dass das schlaue Weib sich vom nahen Bachlauf eine Zuleitung auf den Hof gelegt hatte, die in einem Auffangbecken mündete, sodass ich den Zuber unter dem Walnussbaum im Nu gefüllt bekam. Und dadurch, dass sich das darin stehende warme Wasser mit dem frischen mischte, war das Bad wohltemperiert und die reinste Wonne. Ich tauchte darin ein, noch bevor Rada ihre Gartenarbeit beendet hatte. Als sie um die Ecke kam, ließ ich sie aus meiner Satteltasche ein Stück Seife holen. Genüsslich seifte sie mir damit Rücken und Brust, und ich versprach, ihr die gleiche Wohltat angedeihen zu lassen.
Ich kann Dir gar nicht sagen, teurer Freund, wie erquicklich das Bad mir war. Als hätten die geschickten Finger dieser derben Schönheit sämtliche Schuld von mir gewaschen. Erstmalig nahm ich neben dem Duft der Seife auch den der Blüten wahr, lauschte dem Summen der Insekten, die über den sonnendurchfluteten Platz schwirrten, spürte die lauen Lüfte auf meiner noch feuchten Haut und merkte, wie sich all meine Sinne nach und nach wieder zu öffnen begannen. Und als ich später in einem frischen Hemd auf der Veranda eine Zigarette rauchte, während Rada bereits fröhlich vor sich hin summend mit den Töpfen am Herd klapperte, war ich erstmals nach sehr langer Zeit wieder voller Frieden und Freude.
Doch dieses Weib hat zu lange Männer bedient, um nicht zu bemerken, dass mir irgendwo der Schuh drückte.