Nicolae: An der Quelle - Band 7. Aurelia L. Porter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aurelia L. Porter
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Nicolae-Saga
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347053854
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Wochen weinend daniederlag. Und er kümmerte sich um Leo, weil ich es nicht konnte. Bis dahin hatte er keinen Sinn frei für seine Mitmenschen, er studierte jahrelang die Natur auf Erden, dann die Gestirne am Himmel. Nun ist er bei den Menschen angekommen. Er sagt, wir seien das schwierigste Studienobjekt.

      Da musste ich schmunzeln. Das sind wir also für ihn! Ich hatte mich schon gefragt, ob er sich nicht Notizen machen will.

      Das tut er, erwidert Elena. Aber nur in seinem Kopf. Er verwahrt all seine Beobachtungen und Erkenntnisse darin.

      Es müssen ungeheure Mengen sein. Wird man ihm sein Wissen je entlocken können?

      Niemals. Sein Gehirn ist wie eine Schatztruhe, deren Schlüssel nur er selbst besitzt. Keiner sonst kann sie öffnen.

      Was wird er mit seinem Wissen anfangen?

      Das steht in den Sternen, lacht sie und reicht mir einen Löffel mit Bitterkirschkonfitüre und ein Glas Wasser. Ioana schaut lächelnd zu uns her, sie fühlt sich an alte Tage erinnert.

      Cătălina sitzt neben ihrer Mutter und hilft ihr beim Entstrippen der Johannisbeeren. Ab und zu geht ihr Blick zu ihrem Spielkameraden aus Kindertagen. Es ist das erste Mal, dass ich sehe, dass Victor ihn erwidert.

      Wenige Tage später

      Lieber Virgil,

      fast wäre mir das Herz stehen geblieben, als unsere Kutsche im Hof einfuhr. Ihr entstiegen nicht nur Papa und Tante Judith, sondern auch Natalia und Dorin! Elena stand neben mir und drückte mir die erkaltete Hand.

      Ich vermochte der Begegnung kaum standzuhalten, Virgil.

      Als Natalias Augen mich trafen, sprach der blanke Hass aus ihnen. Wortlos ging sie an mir vorbei und presste schützend ihr Kind ans Herz. Dorin nickte mir immerhin zu, bevor er meiner Schwester ins Haus folgte.

      Wir sollten ihnen Zeit lassen, meinte mein Vater mit trockener Stimme und räusperte sich. Dann reichte er meiner Tante den Arm.

      Ich blieb wie ein begossener Pudel im Hof stehen, zu keiner Regung fähig. Bis Victor mich ins Haus holte.

      Man hat ihnen einen Salon nebst Boudoir in einem bisher ungenutzten Teil des Schlosses hergerichtet, der weit von meinen Gemächern entfernt liegt. Über eine Wendeltreppe gelangen sie in ihr gemeinsames Schlafzimmer, in das man die von Heinrich gezimmerte Wiege gestellt hat, in der Victor bereits lag.

      Es sei nicht angemessen, stellt Elena klar, dass Natalia wieder ihr Jungmädchenzimmer bezieht. Das sei nun ebenso wie das angrenzende Spielzimmer zu Leonoras geworden.

      Man vernimmt laute Jubeltöne daraus. Immer wieder hüpft das Kind freudig ihrer Mutter um die Beine. Und das Puppenhaus, ist das jetzt auch meins?

      Es wird nach wie vor deiner Tante Nana gehören und später der kleinen Sofia. Aber gewiss wirst du in der Zwischenzeit damit spielen dürfen. Also gehe sorgsam damit um!

      Leo kann ihr Glück kaum fassen.

      Und auch Dorin habe nichts mehr im Gästezimmer verloren, er gehöre jetzt endgültig zur Familie, ob es mir nun gefalle oder nicht.

      So gehen Elenas Worte, die während meiner häufigen Abwesenheit vom Hof die Renovierung der Zimmer veranlasst und beaufsichtigt hat. Denn sie ist die Domniţa*. Ich habe verstanden.

      Ich ziehe es dieser Tage vor zu schweigen. Allein meine Anwesenheit scheint Provokation genug zu sein.

      Natalia koste es eine unglaubliche Überwindung, dasselbe Dach mit mir zu teilen, ließ auch meine Tante mich wissen. Sie schenkte mir immerhin einen mitleidigen Blick, während Elena nach wie vor hart mit mir ins Gericht geht, seit Tante Judith hier ist sogar noch mehr. Sie kann mir einfach nicht verzeihen, dass ich sie damals nicht einweihte und über ihren Kopf hinweg entschied. Das rächt sich jetzt. In der Beziehung ist sie nachtragend, obwohl sie ernsthaft versucht, mir zur Seite zu stehen. Doch seit Natalia da ist, kippt die Stimmung zu meinen Ungunsten. Ich solle Rücksicht nehmen und Begegnungen meiden, das Schloss sei schließlich groß genug, raunte sie mir vorhin im Vorbeigehen zu.

      Sind wir dafür alle hier versammelt? Um uns möglichst aus dem Weg zu gehen?, rief ich ihr hinterher. Sie stockte. Keine Sorge, das große Powwow wird eher stattfinden, als dir lieb ist, warf sie mir über die Schulter hinweg zu.

      Ich würde also bald vor Gericht stehen, mit einer Horde von Anklägern mir gegenüber. Gibt es überhaupt noch eine Seele in diesem Haus, die zu mir hält? Oder wird Natalia restlos alle auf ihre Seite ziehen, wie sie es ganz offenbar bereits getan hat?

      Auf die erste gemeinsame Mahlzeit wollte ich weise verzichten, aber mein Vater bestand darauf, dass die Familie vollzählig zu Tisch erscheine. Ich hätte mich dem zu stellen und es auszuhalten, das würde er auch von allen anderen erwarten.

      Also löffelten wir stocksteif und schweigend unsere Suppe. Ich spürte ihre ätzenden Blicke auf mir. Beim Aufschauen begegnete ich den verächtlichen Natalias, den gekänkten Dorins, den strafenden meines Vaters, den betroffenen Elenas, den mitleidigen meiner Tante, den verständnislosen Leonoras und den beobachtenden Victors. Nach einer Weile legte ich den Löffel zur Seite und erhob mich. Ich bekam nicht den kleinsten Schluck mehr hinunter.

      Es tut mir leid, Vater, aber Ihr müsst mich bitte entschuldigen. Wenn Ihr es wünscht, ziehe ich mich jetzt schon in den Kerker zurück, vielleicht können dann alle anderen endlich aufatmen und die Mahlzeit genießen.

      Bevor mein Vater darauf reagieren konnte, sah ich Natalia entnervt die Augen verdrehen. Eine unbändige Wut stieg in mir hoch, und ehe ich mich zügeln konnte, schlug ich mit der Faust auf den Tisch. Dann verließ ich, ohne jemanden eines weiteren Blickes zu würdigen, den Speisesaal.

      Zwei Tage später

      Lieber Vigil,

      am Nachmittag des nächsten Tages wurde ich zu meinem Vater zitiert. Als ich sein Arbeitszimmer betrat, waren dort schon alle versammelt. Elena saß zu seiner Rechten, Tante Judith zu seiner Linken. Vor ihnen auf einer Stuhlreihe nebeneinander saßen Dorin, Natalia und Victor. Letzter sah zu mir auf, als ich auf dem noch freien Stuhl neben ihm Platz nahm, die anderen beiden ignorierten mich. Ihre Blicke waren nach vorne gerichtet, auf den Richter mit seinen beiden Beisitzerinnen. Ich wunderte mich, dass ich nicht auf einer separaten Anklagebank Platz nehmen oder gar stehend den Verlauf des Prozesses über mich ergehen lassen musste.

      Um es ein für alle Mal klarzustellen, begann mein Vater ohne weitere Einleitung, Elena hat während meiner Abwesenheit über sämtliche häusliche sowie familiäre Angelegenheiten die Entscheidungsgewalt. Sowohl du, Natalia, als auch du, Nicolae, habt sie übergangen und eigenmächtig gehandelt. Was dabei herausgekommen ist, wissen wir und brauchen es hier nicht zu vertiefen. Die von euch beiden in der Hitze des Gefechts getroffenen Entscheidungen haben zu einem gravierenden Einschnitt in unserer Familie geführt, der uns geschwächt und damit unnötiger Gefahr ausgesetzt hat. – Nein, Natalia, ich möchte keinerlei Rechtfertigungen von dir hören, fuhr er meiner Schwester über den Mund, bevor sie ihn überhaupt hatte öffnen können. Ihr beide werdet Elena um Vergebung bitten und gefälligst ihre Position fortan respektieren. Ich habe sie nicht ohne Grund zur Domniţa ernannt. Auch das Gesinde untersteht ihrer direkten Befehlsgewalt und nicht deiner, Nicolae!

      Das war eine Anspielung auf die personellen Veränderungen, die ich damals ohne Rücksprache mit Elena am Hof vorgenommen hatte. Ich hätte Florin nicht ohne ihre Genehmigung zum Stallmeister befördern dürfen. Auch in anderen Angelegenheiten hatte ich mich über sie hinweggesetzt.

      Ich senkte den Kopf. Ich muss zugeben, dass mir Elena – so sehr sie mir als Knabe eine enge Vertraute war und ich sie später als meine große Schwester heiß und innig liebte – in den letzten Jahren aus dem Blickfeld geraten ist, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass ich oft woanders weilte. Überhaupt war ich häufig auf mich allein gestellt – sowie Natalia im Übrigen auch –, sodass wir es längst gewohnt waren, in sämtlichen Belangen unsere eigenen Entscheidungen zu treffen. Erst durch meines Vaters Rüge wurde mir klar, dass ich neben ihm auch Elena zu gehorchen habe.

      Nachdem mein Vater uns unter seinem tadelnden Blick eine Weile hatte zappeln lassen,