Alt genug, um mich die mir verbleibende Zeit zu schonen. Ich färbe mir schon seit Jahren das Haar und salbe allabendlich das Dekolleté.
Und wie hältst du deine Brüste so straff?
Das verrate ich dir nach dem Nachtisch, Frechling!
Wir haben es nicht bis zum Dessert geschafft. Sie hatte seit Monaten keinen Mann empfangen, und auch ich habe in letzter Zeit abstinent gelebt. Daher habe ich dieses kecke Weib genossen wie eine Süßspeise, von der man nicht genug bekommen kann. Sie war sehr freigiebig mit ihrem Nachschlag.
Für mich ist sie keine „keusche Hure“, als welche sie sich selbst gern bezeichnet, seit sie ihrer Profession nicht mehr nachgeht. Dazu hat der zarte Stoff ihrer Bluse zu viel durchblicken lassen sowie ihre wiegenden Hüften, während sie am Herd hantierte … Aber ich gerate ins Schwärmen.
Drei Tage blieb ich bei ihr und ließ mich bekochen und bezirzen. Und ob Du’s glaubst oder nicht, Virgil, es lag absolut nichts Frivoles darin. Die einzige Schamlosigkeit habe ich mir geleistet, indem ich ihre erotische Literatur zu illustrieren begann. Es sind bestimmt ein Dutzend pikante Skizzen entstanden, die uns beide befeuerten und die ich ihr als Andenken daließ. Wusstest Du, dass entblößte Hinterteile – sowohl weibliche als auch männliche – weitaus anregender sein können als Vorderansichten?
Ich schäme mich, wenn ich an meine Moralpredigten zurückdenke, die ich ihr als blauäugiger Knabe hielt – als Milchbart, wie sie mich damals titulierte. Und wie es mich empörte, dass sie meinen Vater in ihr Bett lockte und er sich dieses ohne mit der Wimper zu zucken auch noch gefallen ließ. Nur die Art, wie sie Gigi damals behandelt hatte, verzeihe ich ihr bis heute nicht.
Ich hätte nicht die blasseste Ahnung, wischte sie meinen Tadel beiseite. Und dann erfuhr ich, dass sie jeden Sonntag nach der Messe für Gigi kocht. Auch an jenem Sonntag brachte Rada ihre Tochter aus dem Pfarrhaus mit zu sich nach Hause, und ich staunte über die hübsche junge Frau, deren weiter Rock die verkrüppelten Extremitäten verbarg. Gigi strahlte über das ganze Gesicht, als sie mich erblickte, streckte ihre muskulösen Arme nach mir aus und rief lachend: Tanzen! Und so hob ich sie aus ihrem Rollwagen und schwang sie im Kreise über den Hof, während ich laut eine Walzermelodie nach der anderen dazu lallte. Und Rada stand in der offenen Tür und trug im Gesicht den Stolz einer Mutter.
Ich habe ihr Geld für eine Kiste voll Töpferwaren dagelassen.
Komm bald wieder, mein trauriger Engel, sagte sie und küsste mich zum Abschied auf den Mund.
Seit ich mir die Absolution dieser Waldhure abgeholt habe, geht es mir deutlich besser. Ich kann mir inzwischen manches verzeihen – gerade so, wie Meister Elias es von mir forderte. Er ist ohne Zweifel ein weiser Mann, denn sein Rat trägt bereits Früchte.
Ich bin nicht stolz auf das, was ich getan habe, aber ich verdamme mich auch nicht mehr dafür. Über mich darf ohnehin nur einer richten, das hatte mir Preot Ştefan bereits mehrfach versichert, als ich die erste Zeit mehr in unserer Dorfkirche als daheim verbrachte. Das wilde Weib hat mich bezähmt – welch Ironie!
18. Juli 1893
Lieber Virgil,
seit Tagen schon laufe ich kopflos durch die Gegend. Mein Vater hat seine Ankunft im Karpatenschloss angekündigt, zusammen mit Tante Judith. Das hat etwas Förmliches, etwas Offizielles. Mir klopft das Herz bei dem Gedanken, was er in Iaşi alles zu bereinigen hatte. Die Gefahr scheint gebannt, sonst würde er nicht heimkehren. Doch zu welchem Preis?
Es war dieser widerliche Marquis G., meines Vaters Zwillingsbruder, der dort sein Unwesen trieb. Schon letztes Jahr im Şuţu-Palast* hatte er Natalia und Dorin im Visier gehabt. Ich erinnere mich, wie sehr Dorin bei seinem Anblick erblasste sowie an die Worte meines Vaters, dass er ihn nicht bekämpfen könne, ohne sich selbst zu schwächen. Welchen Preis also hat mein Vater zahlen müssen für die Befreiung der beiden aus dessen Gewalt?
Wie sollte ich mich da nicht schuldig fühlen? Es ist über ein dreiviertel Jahr her, seit ich die Kerbe in unsere Familie schlug. Es wird höchste Zeit für eine Reparatur, damit wir wehrhaft bleiben.
Ich möchte endlich um Vergebung bitten. Ich möchte endlich, dass mir vergeben wird! Wie Rada so richtig sagte, bin ich nicht der Einzige, der zu diesem Zerwürfnis beigetragen hat, auch andere haben sich Verfehlungen vorzuhalten.
In meiner Gehirnschale strudelt alles durcheinander. Ich kann kaum mehr einen klaren Gedanken fassen. Ich habe Sorge, dass verkehrte Worte meinen Mund verlassen.
Es ist Victor, der mir beschwichtigend die Hand auf die Schulter legt und mich zum Essen auffordert. Ich müsse bei Kräften bleiben.
„Hier, trink einen Schluck Wein, Nene*, damit du ruhiger schlafen kannst.“ Erstaunt blicke ich mein Brüderchen an. Woher will er wissen, dass ich unruhig schlafe? Woran will er das erkannt haben?
Jetzt schenkt er mir sogar ein aufmunterndes Lächeln!
Was ist mit ihm? Seit wann nimmt er Anteil?
Als ob er erwacht wäre aus seinem ewigen Dämmerschlaf. Es begann schon damals im Stadtpalast, als das furchtbare Donnerwetter über Elena und mich hereinbrach, kurz nachdem wir unserem Vater eröffnen mussten, dass Natalia mit Dorin verschwunden war. Wir hatten Tante Judith außen vor gelassen, sie war kaum angekommen und noch nicht in der Verfassung, so etwas mitzutragen. Aber gerade sie hätte mit ihrer besonnenen Art manches beisammengehalten, hätte uns wie Perlen wieder auf eine Schnur gefädelt, wie Elena meinte. Jetzt liegen wir in allen Ecken verstreut. Jemand muss uns aufsammeln und wieder zusammenfügen. Ich hege die Hoffnung, dass Tante Judith inzwischen so weit ist, diese Herkulesaufgabe zu bewältigen. Sie ist die Schnur, die uns zusammenhält. Das bekamen wir schon damals zu spüren, als sie plötzlich aus unserem Leben verschwunden war. Ohne sie war es nie mehr wie früher.
Inmitten dieser neuerlichen Krise, in der jeder einzelne von uns von der Schnur rutschte und ins Haltlose fiel und keine Kraft mehr fand, sich um den anderen zu kümmern, da trat plötzlich Victor vor und nahm die weinende Leonora auf seinen Arm. Jetzt fällt es mir wieder ein. Es muss der Tag gewesen sein, an dem er erwachte.
In diesem Augenblick sitzt er auf der Hofmauer und schaut unseren Jüngsten beim Spielen zu. Sein Blick ist konzentriert auf sie gerichtet, als würde er sie studieren, als wären sie Mäuse in einem Labor, deren Verhalten er beobachtet. Es fehlte nur noch, dass er sich Notizen macht.
Die kleine Julie ruft ihn, sie möchte auf das Fahrrad gesetzt werden, das ich Liviu letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt habe.
Es ist ganz einfach, antwortet Elena, als ich mich bei ihr nach ihrem Sohn erkundige. Victor ist erwachsen geworden. Sieh ihn an!
Natürlich ist er das. Er wird übermorgen achtzehn Jahre alt. Was allerdings nichts zu sagen hat. Übrigens ist er unserem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. So muss Papa in sehr jungen Jahren ausgesehen haben.
Victor trägt sein Haar schulterlang. Er will es so, obwohl es nicht der gängigen Mode entspricht. Während andere Jünglinge stolz ihre Manneszierde zur Schau tragen, rasiert Victor sich sorgfältig Wangen, Kinn und Oberlippe. Er legt Wert auf sein Äußeres, ist geradezu pingelig, was die Sauberkeit seiner Kleidung angeht. Er braucht dringend einen eigenen Kammerdiener.
Seine epileptischen Anfälle sind so gut wie zum Stillstand gekommen. Er scheint endlich in unserer Welt angekommen zu sein. Oft sehe ich ihn in den Annalen und Chroniken blättern. Ihm fehlt der alte Mihai, der ihm die Geschichte unserer Familie hätte näherbringen können. Elena führt die Chronik zwar sorgsam weiter, aber sie ist keine Verbliebene, sie hat nicht die Kenntnisse aus alten Zeiten, die Mihai mitbrachte, obwohl er ihr vieles in mündlicher Form überliefert hat.
Erstaunlich, mit welcher Geduld Victor Julie dabei hilft, auf dem Fahrrad das Gleichgewicht zu halten. Er läuft nebenher, um sie notfalls aufzufangen. So viel Aufmerksamkeit, so viel Fürsorge, so viel Einfühlungsvermögen – wo kommen sie nur so plötzlich her?
Sie sind ihm gekommen, während sie dir abhandenkamen, lieber Bruder, antwortet mir Elena, als wäre