Nicolae: An der Quelle - Band 7. Aurelia L. Porter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aurelia L. Porter
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Nicolae-Saga
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347053854
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Heuchlern um mich herum, die mir nur nach dem Munde reden.“

      Kurz und gut, Zoe, ich ließ mich erweichen und versprach ihr, einmal die Woche vorbeizuschauen, das ließe sich wohl einrichten.

      Mit einem gnädigen Nicken entließ sie mich.

      Dieser ganze Zirkus hatte mich derart verwirrt, dass ich mein Anliegen, weswegen ich eigentlich gekommen war, völlig vergessen hatte.

      Erschöpft nahm ich Sofia aus Marias Armen entgegen.

      Sie freue sich schrecklich, uns nun regelmäßig zu sehen, sagte sie mit glänzenden Augen.

      Sie habe also an der Tür gelauscht, schalt ich sie.

      Natürlich, erwiderte sie. Sie müsse doch schließlich wissen, was im Hause vor sich gehe. Auf diese und noch andere Weise vermöge sie sich die Gunst des Herrn Doktor zu sichern.

      Was für ein Theater, ging es mir durch den Kopf. Und nun gehöre ich unweigerlich mit zu der Truppe!

      Als wäre das nicht alles nervenaufreibend genug gewesen, fing mich Herr Ludo wie vormals im Flur ab und bat mich auf ein Wort in sein Atelier. Nervös fuhr er sich mehrfach durch die krause Mähne und entschuldigte sich für die soeben erlittene Posse. Es tue ihm aufrichtig leid, dass ich Zeuge der widerlichen Inszenierungen seines Bruders geworden sei. Dieser setze seit klein auf alles daran, ihn bei der Mutter lächerlich zu machen, was ihm jedes Mal hervorragend gelinge. Das sei der Grund, warum allein sein Bruder mit den Finanzen der Familie betraut worden sei, er selbst sei so gut wie mittellos, ein Bittsteller im eigenen Haus. Umso wichtiger sei ihm im Laufe der Jahre seine künstlerische Arbeit geworden. Er habe gehofft, kurz vor einem Durchbruch zu stehen mit den Fotografien, die er von mir vor der Geburt des Kindes angefertigt habe. Der Herausgeber eines renommierten Kunstmagazins habe ihm für die anvisierte Fotoserie eine enorme Summe geboten, was ihm endlich die Anerkennung seitens der Familie eingebracht hätte, denn diese definiere den Wert einer Arbeit oder Person ausschließlich über Geld.

      Ich begriff seinen schweren Stand in diesem Haus, hatte ich ihn doch in Reinform vorgeführt bekommen!

      Erst da fiel mir auf, wie geknickt Herr Ludo wirkte, wie am Boden zerstört, was nicht nur mit der gerade erfahrenen Demütigung zu tun haben konnte.

      „Was ist passiert?“, fragte ich. „Ist der Verleger abgesprungen?“

      „Keineswegs“, antwortete er und holte eine Mappe hervor. „Sehen Sie selbst!“ Damit hielt er mir ein Album hin.

      Was ich zu sehen bekam, verschlug mir die Sprache. Die Worte seines Bruders nahmen konkrete Formen an: Ich wäre von der Bildfläche verschwunden, hatte dieser eingangs zu mir gesagt, ich hätte mich einfach in Luft aufgelöst.

      Wie hätte ich annehmen sollen, dass er dies wortwörtlich gemeint hatte?! Auf den Abzügen, die mir Herr Ludo bei meiner Stippvisite im März gezeigt hatte, war noch alles zu sehen gewesen: der Diwan, auf dem ich platziert worden war; die Kulissen, bestehend aus Paravent und hohem Farngewächs; das nur halb im Bild stehende Tischchen mit Buch, Lilie, Handspiegel und Wasserglas.

      All das war auch jetzt noch zu sehen – nur ich nicht! An meiner Stelle war nichts als ein heller Schatten zurückgeblieben, als wäre ich einfach ausradiert worden.

      „Ich verstehe nicht“, stockte ich, während ich hastig die Mappe von vorn bis hinten durchblätterte, nur um erneut das Unerklärliche zu erblicken. „Wie ist das möglich? Ich habe die Bilder doch mit eigenen Augen gesehen, als ich vor zwei Monaten hier war. War das Fixiermittel nicht in Ordnung? Ist während der Entwicklung Licht in die Dunkelkammer gefallen? Aber dann wäre ja von Anfang an nichts zu sehen gewesen und auch die Kulissen wären unscharf. Hat womöglich die Sonne zu lange auf die Abzüge geschienen, während sie auf der Leine hingen?“

      „Nichts von alledem“, seufzte er. Er habe die letzten Wochen nichts anderes getan, als nach der Ursache zu forschen. Er habe alle Kollegen befragt, ob ihnen so etwas schon einmal widerfahren sei oder ob sie von solch einem Phänomen schon einmal gehört hätten. Doch keiner konnte sich darauf einen Reim machen. Er habe sämtliche Materialien geprüft, aber die Fotografien, die er davor und danach gemacht habe, seien tadellos. Ich sei einfach von Tag zu Tag blasser geworden, selbst nachdem er die Bilder in einer Mappe verwahrt habe, um sie vor Licht zu schützen. Es gebe absolut keine Erklärung dafür. Das Einzige, das ihm von mir geblieben sei, sei das Ölgemälde. Damit wies er auf seine in der Ecke stehende Staffelei, die er sorgsam abgehängt hatte.

      Ob ich wohl die Güte besäße, nur noch ein einziges Mal … nur um zu sehen, ob es wieder passierte, parallel dazu eine Aufnahme von ihm selbst, damit er sichergehen könne, dass ihm kein Fehler unterlaufe … Doch diese einmalige Bilderserie sei ein für alle Mal verloren, schloss er traurig.

      In dem Moment tat er mir unendlich leid, sodass ich einwilligte. Was für seltsame Begebenheiten!

      Ich kam völlig verstört zu Hause an. Dorin war bereits da und forderte eine Erklärung für meine lange Abwesenheit von daheim. Ich war nicht in der Lage, sie ihm zu geben. Es kam zum Streit. Wieder einmal.

      11. Mai 1893

      Liebe Zoe,

      es ist bereits das vierte Mal, dass Dorin abends nicht nach Hause gekommen und sogar über Nacht fortgeblieben ist. Es stünde zu viel Arbeit an, behauptete er, sie kämen mit den Aufträgen kaum noch nach. Doch menschliches Material lasse sich nicht auf unbegrenzte Zeit lagern, wie ich sicherlich wisse, schon gar nicht um diese Jahreszeit, darum fielen zurzeit zusätzliche Dienste an.

      „Du kannst in meiner Gegenwart ruhig von Verwesung sprechen, Dorin, ich bin diesbezüglich nicht zimperlich.“

      Betont rieb er Daumen und Zeigefinger aneinander. Dafür gebe es immerhin einen hübschen Extralohn, den wir gut gebrauchen könnten. Er wisse, dass ich im Winter meinen gesamten Schmuck versetzt hätte, samt Pelzkappe und Fuchskragen. Er wolle alles daransetzen, dass ich diese Dinge wiederbekäme.

      „Du bist mir wichtiger, Dorin. Mir wäre es lieber, ich könnte dich zurückbekommen.“

      Getroffen wandte er seinen Blick ab, und ich widmete mich wieder still meiner Näharbeit. Ich wollte ihn nicht durch weitere Worte provozieren. Inzwischen habe ich gelernt, die Grenzen zu erspüren und an mich zu halten. Aber es kostet mich von Tag zu Tag mehr Kraft.

      Neulich stand Dorin am Fenster und starrte mit verzerrtem Gesicht hinaus. Alarmiert fragte ich, was los sei. Doch noch bevor ich mich erheben konnte, um zu ihm zu eilen, wandte er sich zu mir um. Es sei nichts, versicherte er mir, er sei nur etwas überarbeitet und gehe darum heute früher zu Bett. Er küsste mich flüchtig auf die Stirn, bevor er die Schlafzimmertür hinter sich schloss.

      Ich blieb allein zurück mit dem schmerzenden Druck in meinem Herzen.

      14. Mai 1893

      Liebe Zoe,

      ich traue mich kaum noch aus dem Haus. Ich spüre, dass mir jemand im Nacken sitzt, jemand, von dem Gefahr ausgeht. Ich spüre es und fürchte um Dorin.

      Was, wenn sie uns auf die Spur gekommen sind, unsere unsichtbaren Feinde. Deshalb vielleicht Dorins seltsames Verhalten. Er will mich nicht beunruhigen, darum sagt er nichts. Aber er ist in Sorge. Darum auch der vorwurfsvolle Blick, als ich neulich so spät nach Hause kam.

      Oder werde ich allmählich nur hysterisch? Es soll ja eine für die Damenwelt typische Nervenerkrankung sein. Kein Wunder, wenn man sie immer nur zu Hause herumsitzen lässt und ihnen Wichtiges vorenthält. Dann nehmen die Gedanken eben ihren eigenen Lauf.

      Gestern Abend hatten Dorin und ich einen dieser selten gewordenen zärtlichen Momente. Ich wollte die Gunst der Stunde nutzen, um zur Sprache zu bringen, was ihn umtreibt und sein Wesen dermaßen verändert. Es blieb mir nichts anderes übrig, als das Risiko einzugehen, dass er böse mit mir würde und sich mir wieder wie eine Auster verschloss – was er tat.

      Er entgegnete mir, dass ich ihm den letzten Nerv rauben würde mit meinen ewigen Fragen, er wolle einfach nur seine Ruhe, wenn er nach Hause komme, das sei alles, das sei doch wohl nicht zu viel verlangt. Was mich fassungslos machte,