Nicolae: An der Quelle - Band 7. Aurelia L. Porter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aurelia L. Porter
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Nicolae-Saga
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347053854
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nicht. Ich bringe Schande über sie. Die Arbeit in ihrem Haus gab mir Halt und Zuversicht. Nun muss ich auch das aufgeben.

      Wann wird der Zeitpunkt kommen, an dem ich Dorin aufgeben muss?

      20. Mai 1893

      Liebe Zoe,

      noch immer zittern mir die Hände, sodass ich kaum die Feder zu führen vermag. Vorhin, ich hatte Sofia gerade zum Schlafen hingelegt, klopfte es an der Wohnungstür. In der Annahme, es sei ein Botenjunge mit einer Nachricht von Dorin, dass er sich wieder einmal verspäte, öffnete ich. Mir wäre fast das Herz stehen geblieben, Zoe. Vor mir stand mein Vater!

      Am liebsten hätte ich mich in seine Arme geworfen und ihm alles gebeichtet, all meinen Kummer. Doch mein verdammter Stolz ließ es nicht zu.

      Hatte ich mir gestern noch gewünscht, dass er uns endlich fände, so ärgerte es mich heute maßlos, dass er es ausgerechnet in dem Augenblick tat, wo unser mühsam aufgebautes Leben dabei war zusammenzubrechen. Der Tiefpunkt unserer Armut in dem elenden Drecksloch bei der alten Vettel kurz vor Weihnachten ist nichts im Vergleich zu dem, was ich dieser Tage durchleide. Damals hätte ich immerhin unsere Liebe vorzuweisen gehabt, die selbst in schlechten Zeiten Bestand hatte. Nunmehr nur noch ein auf Lügen basierendes Dasein, bestehend aus Misstrauen und Furcht. Doch dies würde ich meinem Vater gegenüber niemals zugeben. Also hielt ich fest an der Lüge und erzählte ihm, wie glücklich ich mit Dorin hier in Iaşi sei; wie fleißig er an seiner Karriere arbeite, um aus dem Nichts, mit dem wir hätten beginnen müssen, wieder nach oben zu kommen; dass ich derweil Kontakte zu angesehenen Familien unterhielte und ein gern gesehener Gast in ihrem Hause sei. Nicht mehr lange, dann würden wir in eine angemessenere Stadtwohnung mit Personal ziehen und unser gesellschaftliches Leben ausbauen können.

      Mein Vater glaubte mir kein Wort. Er schwieg mit traurigem Blick. Dann sagte er nur einen Satz: „Kommt nach Hause!“

      „Ich lasse mich nicht mehr befehligen. Ich bin meine eigene Herrin“, antwortete ich ihm.

      Er küsste mich wortlos auf die Stirn und ging.

      Als Dorin wenig später nach Hause kam, bemerkte er sofort, dass etwas vorgefallen war. Es hatte keinen Zweck, mich herauszureden, dazu war ich viel zu durcheinander. Auch auf die Gefahr hin, dass Dorin die Nerven verlieren würde, gestand ich ihm, dass wir gefunden sind.

      Er schien mir fast erleichtert zu sein. Jedenfalls blieb er ganz ruhig und erkundigte sich nach dem Verlauf des Gesprächs. Und dann fragte er mich, was ich zu tun gedenke.

      Wie er das meine? Er ziehe doch wohl nicht ernsthaft in Betracht, in den Schoß der Familie zurückzukehren, die ihn so brutal von sich gestoßen habe? Ob er denn kein Fünkchen Würde besitze?

      Dorin antwortete darauf nicht, blickte mich nur mit seltsamem Ausdruck an und grübelte den ganzen Abend ungut vor sich hin.

      Ich weiß nicht, was er will. Ich weiß nur, was ich will. Und doch kann ich es nicht tun.

      21. Mai 1893

      Liebe Zoe,

      mir war klar, dass mein Vater wiederkommen würde. So schnell gibt er sich nicht geschlagen. Da er gestern bei mir auf Granit gebissen hat, hoffte er wohl heute bei Dorin etwas zu erreichen. Es sah fast so aus, als ob es ihm gelingen würde. Jedenfalls war es Dorin, der Sofia in meines Vaters Arme legte, die er am Vortage nicht zu sehen bekommen hatte. Unser Krümelchen rührte ihn tatsächlich zu Tränen. Es machte mich wütend bei dem Gedanken, was Nicolae mit ihr beabsichtigt hatte. Das sagte ich meinem Vater schonungslos. Er schaute mich völlig fassungslos an. Dieses Kapitel der Geschichte kannte er also offenbar noch nicht. Nun drängte er uns erst recht, mit ihm nach Hause zu kehren. Ich lehnte rigoros ab, dies stehe für mich außer Frage. Es sei mir nicht möglich, mit jemanden ein Heim zu teilen, der mir sowohl meine Liebe als auch das ungeborene Leben aus dem Leib habe entreißen wollen. Wie könne er von mir erwarten … Da griff Dorin in das Gespräch ein.

      Ich weiß nicht, worüber sie sprachen, ich war viel zu aufgebracht. Ich bekam nur mit, dass sie sehr lange miteinander redeten, in einem geradezu verständnisvollen Ton, der mich ärgerte. Ich hatte ernsthaft Sorge, Dorin würde einknicken. Falls er tatsächlich in einem schlimmen Schlamassel steckt, wovon ich ausgehe, dann wäre für ihn Flucht nämlich nicht die schlechteste Wahl. Aber es wäre auch eine Flucht vor uns – eine Flucht vor mir.

      2. Juni 1893

      Liebe Zoe,

      ich habe mich gegen meinen Vater behauptet, ich habe ihm standgehalten, etwas, das sonst keiner vermag. Ich war mächtig stolz auf mich, nachdem er uns unverrichteter Dinge wieder verließ – und habe hinterher stundenlang geheult.

      Dorin hielt und liebkoste mich, wie ich es lange nicht mehr von ihm erfahren hatte. Wir klammerten uns aneinander, weil wir beide spüren, wie sehr wir auseinandergerissen werden – von wem auch immer, von was auch immer. Er versicherte mir seine Liebe und gestand, dass er ab sofort ohne Arbeit sei. Zwei führende Mitarbeiter des Instituts seien untergetaucht und der Chef verhaftet worden. Es habe Unregelmäßigkeiten im Zahlungsverkehr gegeben. Manuel und er seien nun ohne Brotherrn.

      Traurig blickte ich ihn an. „Meinst du nicht, Liebster, es ist an der Zeit, mit dem Versteckspiel aufzuhören? Weißt du denn nicht, dass ich ebenso wie du in die Herzen schauen kann? Und deines erzählt mir schon lange eine düstere Geschichte; eine, die ich lieber nicht vernommen hätte. Ich weiß nicht, was dich getrieben hat, dich auf dunkle Mächte einzulassen, Dorin. Wenn es jetzt vorbei sein sollte, dann ist es gut. Wir stehen trotzdem nicht ganz am Anfang. Ich kann meine Stellung als Gesellschafterin bei den Vianus jederzeit ausbauen, sobald du gestehst und rehabilitiert wirst. Dr. Vianu hat uns seine volle Unterstützung zugesagt.“

      Ich spürte Zorn in ihm aufsteigen, doch ich fuhr ihm über den Mund, bevor er ihn auftun konnte. Ich erzählte ihm alles, was ich von Dr. Vianu erfahren und in dieser Familie bis dahin erlebt hatte. Bis auf die Sache mit den Fotografien, da diese ohnehin nicht mehr existieren.

      Er war hinterher sehr still, wahrscheinlich in seinem Stolz verletzt, weil ich Geld hinzuverdiente; oder in seiner Eitelkeit gekränkt, weil ich es ihm verheimlicht hatte. Nichtsdestotrotz spürte ich, wie das Dunkle von ihm wich.

      Überraschenderweise erklärte er sich einverstanden, mich zu Dr. Vianu zu begleiten.

      Dieser ist mit keinem Wort auf die unselige Angelegenheit eingegangen. Was für ein anständiger Mensch, der Herr Anton, wie wir ihn fortan nennen dürfen.

      Er hat Dorin erfolgreich an Dr. Georgescu vermittelt. Seit Anfang der Woche arbeitet Dorin nun als dessen Assistent in einem Sanatorium für Schwermütige und Wahnhafte. Es ist längst nicht so schlimm, wie Dorin befürchtet hatte. Dr. Georgescu habe in diesem Bereich etliche Reformen eingeführt. So verzichte er weitestgehend auf die herkömmlichen Methoden und habe dem Humanismus Platz gemacht.

      Ein Neubeginn, der mich hoffen lässt.

      Nein, Zoe, ich bin nicht so naiv zu glauben, dass das Schicksal alles zum Guten gewendet hat – das war Papa. Und ja, natürlich liebe ich ihn und vermisse ihn schmerzlich. Er hätte uns zwingen können, heimzukehren, dass weiß ich nur allzu gut. Ich hätte nicht die geringste Chance gehabt, mich seiner Macht zu entziehen. Es war ein reiner Liebesbeweis, dass er mich glauben machte, ich hätte mich ihm gegenüber behaupten können.

       NICOLAES BRIEFE AN VIRGIL

      Juni 1893

      Lieber Virgil,

      es gibt mich noch. Aber ich existiere mehr schlecht als recht.

      Mein Vater hat mir etliche seiner Arbeiten übertragen, schließlich sei er damit beschäftigt, den Schlamassel aufzuräumen, den ich hinterlassen hätte.

      Wäre es nicht eher meine Aufgabe?

      Gott bewahre! Ich würde den Karren nur noch tiefer in den Dreck fahren …

      Danke für dein Vertrauen, Papa!

      Wahrscheinlich hat er recht. Nur wie soll ich so meine Schuld je abtragen? Papa hat mir jegliche Chance dazu genommen. Ich kann also nichts tun, noch nicht