Nicolae: An der Quelle - Band 7. Aurelia L. Porter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aurelia L. Porter
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Nicolae-Saga
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347053854
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mein Geburtstag, ich bin von zu Hause geflohen. Wie hätte ich mich feiern lassen sollen mit dieser Schuld, die auf mir lastet, mit dieser Schmach, die in mir brennt, sobald meine Familie mich anblickt?

      Damit allerdings habe ich wohl noch die Letzten, die zu mir gehalten haben, beleidigt. Elena wird fruchtbar enttäuscht gewesen sein, meinen Platz an der Geburtstagstafel leer vorzufinden und mit Emily und den Kindern allein vor dem Gugelhupf zu sitzen.

      Liviu ist wieder zu seinen Großeltern gezogen. Er hat es an meiner Seite nicht mehr ausgehalten, was ich ihm nicht verübeln kann. Es war Elenas Idee. Ich brachte ihn hin zu den Alten. Die momentane Atmosphäre im Schloss tue ihm nicht gut, erklärte ich ihnen, mein Sohn brauche eine heimelige Umgebung. Der Alte nickte bloß und legte seine schwielige Hand auf Livius Schulter. Liviu kommt allmählich in ein Alter, in der er eine feste Hand braucht, er wird im nächsten Monat zwölf. Ich kann sie ihm zurzeit nicht bieten.

      Meine Touren durch unsere Ländereien haben mich einmal mehr zu Petrea geführt. Wortlos habe ich bei ihm Soden gestochen, Holz gespalten und Hühner gerupft. Er hat nicht gefragt, sondern mir nur ab und zu aufmunternd die Schulter geklopft und sich dann wieder seinen schmauchenden Meilern gewidmet.

      Ich bin sogar mit der Dragomir-Bande durch die Gegend gezogen. Auf den Gütern nach dem Rechten zu sehen, gehört schließlich zu meinen Aufgaben. Also genieße ich, wie es üblich ist, für einige Tage die Gastfreundschaft der Bojaren, schlürfe Mokka, rauche mit ihnen im orientalischen Zimmer die Wasserpfeife und lasse meine Blicke träge vom Pridvor* ihrer Gutshäuser über das sommerliche Land schweifen. Ich lausche ihrem Palaver, wer mit wem und in welcher Angelegenheit bei der Regierung oder am Königshof mitmischt, die Seiten gewechselt hat, Intrigen spinnt oder Gerüchte verbreitet. Es kommen alle paar Tage andere hohe Besucher aus sämtlichen Teilen des Landes und der Zirkus geht von vorne los. Sie streiten und debattieren, spannen sich gegenseitig die weiblichen und männlichen Geliebten aus oder verführen deren Frauen und blutjunge Töchter, küssen sich zum Abschied und wünschen sich gegenseitig doch nur die Pest an den Hals. Es hat sich in all den Jahrhunderten nichts geändert. So soll es schon zu Zeiten meines Vorfahren gewesen sein.

      Es stört mich nicht, ihre fetten Bäuche und gierigen Augen hervorquellen zu sehen. Sie werden schon bald aus allen Nähten platzen. Solange ich keine Missstände in ihrem Bezirk entdecke, kommen sie ungeschoren davon. Rieche ich eine Sauerei, schicke ich ihnen Dragomir und seine Männer zum Aufräumen vorbei.

      Den Präfekten aber schaue ich besonders auf die Finger. Vor allem den Unterpräfekten, die bekanntermaßen allerlei unter der Hand betreiben, um sich die Taschen vollzustopfen. Ich ermittle, auf wessen Kosten, dann lasse ich Gnade walten oder eben auch nicht, je nachdem.

      Ich gehe auch in die Hütten der Bauern und schaue mir an, wie sie leben. Kommt mir die jahrhundertealte Leier von Armut und Ausbeutung, frage ich, woher die blauen Flecken der Frau, das Geld für den Wein und die unnötig vielen Kinder kommen. Und wehe, ihnen fällt keine gute Geschichte dazu ein. Wer aber unschuldig an seinem Elend oder wem gar Unrecht widerfahren ist, dem schicke ich ebenfalls Dragomir und seine Leute vorbei, damit diese etwas von ihrem anderweitig Erbeuteten bei ihnen lassen.

      So versuchen wir die Dinge ein klein wenig ins Lot zu bringen und den berühmten Tropfen auf dem heißen Stein zu versprenkeln.

      Ich stelle fest, dass es immer weniger Ehrlichkeit und Anstand unter den Leuten gibt, gleich ob bei denen da oben oder bei denen da unten. Irgendwie sind alle ewig am Jammern und Klagen. Wenn sie nicht über irgendetwas zu schimpfen oder zu verzweifeln hätten, würde ihnen etwas fehlen. Schon erstaunlich, wie viele Intellektuelle aus gutem Hause sich neuerdings zu Nihilisten oder gar Anarchisten erklären, wie viele Salon-Kommunisten und Sozialisten es unter den Bojarensöhnen gibt, die niemals des Bauern Hand berührt haben, welche sie seit Lebzeiten ernährt. Die Arbeiter in den Städten werden dabei ebenso instrumentalisiert wie die Bauern auf dem Lande. Zugegeben, es ist eine Schande, wie sie hier wie dort leben müssen, sie gelten den Herrschenden nur als menschliches Material. Nach Verschleiß wird es kurzerhand ausgetauscht, ob in der Fabrik oder auf dem Feld, denn sie vermehren sich ja glücklicherweise wie die Karnickel. Den Reformern aber dienen sie lediglich als politische Waffe, die leicht zu zündeln ist. An dem Wohl der einfachen Leute sind sie nur vorgeblich interessiert. Lasst die Erneuerer, die meinen, das Rad neu erfunden zu haben, an die vollen Tröge und es wird doch nur wieder alles beim Alten bleiben.

      Das arbeitsame Volk hat nichts von alledem verdient.

      Aber wozu solche Gedanken? So geht es bereits seit Jahrhunderten, wahrscheinlich sogar seit Menschengedenken.

      Wird es je anders sein? Kann es je anders werden?

      Mein Vorfahr sagt Nein. Stets werden einige Skrupellose die leichtgläubige Masse manipulieren und für ihre Interessen ausnutzen, gleich wie sie sich nennen mögen, gleich welcher Religion oder Ideologie sie anhängen. Und selbst wenn sich die Zustände unter ihnen bessern sollten, wird das Jammern und Klagen nicht verstummen. Zufriedenheit gilt als Zeichen von Dummheit, denn bestimmt kann man noch ein bisschen mehr für sich herausholen, ob’s nottut oder nicht. Das gilt für alle Klassen. Genügsamkeit und Demut sind aus der Mode gekommen.

      Fortschritt heißt das neue Zauberwort. Nur scheint jeder etwas anderes darunter zu verstehen. Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ist eines der erklärten Ziele, aber in welche Richtung und mit welcher Methode, darin sind sie sich uneins.

      Wenn ich mir die Weltgeschichte so anschaue, Virgil, meint jede Generation, tüchtig aufräumen zu müssen. Sie wähnen sich als Pioniere, als Helden unserer Tage – und da nehme ich Dich nicht aus, mein Lieber! Mehr Wohlstand und Gerechtigkeit wollten die Leute schon immer, zu jeder Zeit, in jeder Epoche. Noch nie waren sie zufrieden mit den herrschenden Zuständen.

      Ist jemandem von den neuen Agitatoren und Brandstiftern schon mal der Gedanke gekommen, dass es ein Paradies auf Erden nie geben wird? Dass wir niemals alle glücklich und zufrieden miteinander leben werden? Es klappt ja noch nicht einmal innerhalb der eigenen Familie, wie soll es dann innerhalb eines ganzen Landes funktionieren? Geschweige denn auf der ganzen Welt? Was also soll das ganze Geschrei und Gezeter, die Rechthaberei und Kampfeslust?

      Gesetzt den Fall, es gelänge tatsächlich, sozialen Frieden und Wohlstand für alle herzustellen, dann hätten sie nichts mehr zu jammern und ihnen wäre so unerträglich langweilig, dass sie einen anderen Grund fänden, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Glaub mir, Virgil, so würde es kommen, denn das, so fürchte ich, liegt in der Natur des Menschen begründet.

      Und war es denn unter den Göttern der Antike groß anders? Nein! Auch dort herrschten Neid und Missgunst, Eifersüchteleien und blanker Hass. Kriege wurden vom Zaun gebrochen und über den Köpfen der Menschheit ausgetragen.

      Damit ist eigentlich alles gesagt.

      Mein Kampfgeist ist jedenfalls verflogen. Mir ist, als drehten wir uns ständig nur im Kreis und um die eigene Achse. Für wen lohnt es sich denn zu kämpfen, frage ich Dich? Ich kämpfe ja noch nicht einmal mehr für mich selbst, Virgil.

      Brav komme ich den Aufgaben nach, wie mein Vater mir befohlen. Ich denke nicht mehr darüber nach, ob richtig oder falsch oder gar egal. Ich mache einfach. Und am Ende des Tages setze ich mir die Oblomowsche* Schlafmütze auf.

      Schaue ich aber nach unseren Schutzbefohlenen, komme ich mir wie ein billiger Schmierenkomödiant vor. Sie halten mich für einen Engel. Die kleine Sorina aus der Schäferfamilie Dinescu, der damals so viele Gräuel widerfahren sind, hat ihr Seelenheil in einem Kloster gefunden. Sie hat die damaligen Schrecknisse nie verwunden und sich immer mehr in sich selbst zurückgezogen. Zuletzt fand man sie nur noch betend vor der Ikone. Ich kam, um sie zur Mutter Oberin zu begleiten. Wird man sie dort denn überhaupt aufnehmen, fragte der Vater verzweifelt. Schließlich könne sie unserem Herrn im Himmel nicht mehr unbefleckt entgegentreten. Wer könne das schon, gab ich zurück. Außerdem gebe es wohl kaum eine reinere Seele als die seiner Sorina. So ließen sie das Kind ziehen, das mittlerweile siebenundzwanzig an Jahren zählt und der hiesigen Welt längst entsagt hat, und gaben es in Gottes Hand.

      Ich habe sie kürzlich dort besucht. Die ständige Furcht ist aus ihrem Blick gewichen. Sorina arbeitet im Klostergarten