Nicolae: An der Quelle - Band 7. Aurelia L. Porter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aurelia L. Porter
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Nicolae-Saga
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347053854
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Schemel heran und setzte sich geradewegs mir gegenüber. Abwartend sah sie mir in die Augen. Da gestand ich. Gestand ihr wie einem Beichtvater all meine Verfehlungen. Sogar noch gründlicher als diesem, weil ich genau wusste, dass ich von Rada keine Gnade zu erwarten hatte. Sie ist schonungslos. Außerdem ist sie an Beichten sämtlicher Art gewöhnt. Die Männer kämen nicht nur, um sich körperlich zu erleichtern, hatte sie mir schon damals erklärt, denn nicht alles sei für die Ohren des Popen geeignet und für die des Eheweibs erst recht nicht. Und den Saufkumpanen könne man schon gar nicht trauen, wer wisse schon, was diese im nüchternen Zustand alles ausplauderten … In der Art gingen damals ihre Reden.

      Nun war es also an mir, mich bei ihr zu erleichtern, und ich tat es gründlich, auch im Hinblick auf meine Schuld an Cosmin, an dem ich beinahe achtlos vorübergegangen wäre, als ich kürzlich in Sinaia aus der Kirche trat. Er war ja nur einer von vielen, die dort an der Pforte hockten und die Hand aufhielten. Wie hätte ich in dem bettelnden Kriegsversehrten meinen einstigen Schulkameraden aus Hermannstädter Zeiten wiedererkennen sollen, den ich längst als Patent-Inhaber eine Professorenstelle innezuhaben glaubte? Erst als er mich mit Namen anrief, merkte ich auf und konnte nicht fassen, dass unser „Physiker“ im Staub gelandet war, um den Reichen und Vornehmen die Hände zu küssen und um Almosen zu betteln. Ich war geradezu schockiert und hätte beinahe unsere Bekanntschaft geleugnet. Doch dann half ich ihm auf sein verbliebenes Bein und fuhr mit ihm in eine Gastwirtschaft, wo wir gemeinsam zu Mittag speisten. Währenddessen erzählte er mir sein Schicksal. Ähnlich wie ich hatte auch er sich damals in den Tagen vor Ausbruch des Krieges vom Kampffieber anstecken lassen. Immer wieder seien ihm dabei meine Worte durch den Kopf gegangen, die ich zu Schulzeiten zu ihnen gesprochen hätte: dass es nämlich an der Zeit für uns Rumänen sei, endlich die Köpfe zu heben und uns zur Wehr zu setzen.

      Da erinnerte ich mich wieder daran, dass mir das demütige Verhalten meiner rumänischen Mitschüler trotz offenkundigen Unrechts, das ihnen widerfuhr, mächtig gegen den Strich gegangen war. Kaum dass ich es hatte ertragen können, dass sie auch noch die andere Wange hinhielten. Mein Vater hatte mir beigebracht, dass wir Rumänen kein kämpferisches Volk seien, aber wenn wir unseren Siedepunkt erreicht hätten, gebe es kein Halten mehr, unser Todesmut sei legendär, denn so soll es schon zu Zeiten der Daker unter Decebalus Rex gewesen sein. Da jedoch auch ein Anteil keltisches Blut durch meine Adern fließt, war meine Kampfbereitschaft eher erreicht.

      Wie hätte ich ahnen sollen, dass meine als Schulknabe gesprochenen Worte solch einen bleibenden Eindruck hinterlassen würden? Ich hatte Cosmin damit quasi eine Grille ins Ohr gesetzt, die erst Jahre später zu zirpen begonnen hatte. Daher hatte er sich partout geweigert, weiter zur Schule zu gehen, er wolle fürs Vaterland kämpfen, für das rumänische Land auf der anderen Seite der Berge, hatte er seinen fassungslosen Eltern eröffnet. – Sein Vater war kurze Zeit später gestorben, die Brüder im Krieg gefallen, er selbst als Invalide zurückgekehrt. Fortan habe er allein für die Mutter sorgen müssen, aber nur selten Arbeit gefunden, ohne Schulabschluss und mit nur einem Bein. Ohne die vielen Anverwandten wären sie verhungert. Im Winter 1882 sei die Mutter an Diphterie gestorben und er bei einem Onkel untergekrochen, dem er äußerst lästig falle. Darum ziehe er es vor, außer Haus sein Dasein zu fristen, auf der Straße, bei den anderen, die im Kampf fürs Vaterland einen oder gleich mehrere Körperteile verloren hätten und anschließend am Bettelstab gelandet seien. Es wäre besser gewesen, wie seine Brüder aus dem Krieg nicht mehr heimzukehren, hatte er verbittert in seinen verfilzten Bart gemurmelt. Die Almosen, die er von der Regierung bekäme, reichten nicht einmal für eine eigene Unterkunft …

      Je mehr er mir von seiner aussichtslosen Lage berichtete, desto größer wurde die Scham, die mich überkam. Und als er später auf seinen Krücken davonhumpelte, würgte mir die Schuld derart im Hals, dass ich meinte, daran zu ersticken.

      Nachdem ich mit meinen diversen Beichten fertig war, schwieg Rada für eine ganze Weile. Schließlich erhob sie sich und kam mit einer Flasche Ţuica* zurück. Das will erstmal verdaut sein, sagte sie und nahm einen kräftigen Schluck, bevor sie sich ohne ein weiteres Wort wieder an den Herd stellte. Auch ich bediente mich vom flüssigen Obst, blieb aber auf meinem Platz sitzen und wartete.

      Sie kippte Öl in den Topf, briet Fleisch mit Zwiebeln darin an und rührte zwischendurch hoch konzentriert die Mămăliga*, als ob sie meine Beichte bereits vergessen hätte. Dann endlich, nachdem sie das Gemüse zum Fleisch hinzufügt und das Ganze mit einem kräftigen Schwung Wein abgelöscht hatte, fing sie mit Bedacht an zu sprechen:

      Jedes Wort, das du jemandem sagst, Blauauge, sei es Drohung oder Verheißung, mag diesen zu einem Schritt bewegen, der ihn ins Verderben führt. Doch selbst wenn du jemandem befehlen solltest, sich im See zu ertränken, und er es dann tatsächlich täte, wäre es dann deine Schuld? Hat nicht ein jeder die Verantwortung für sich selbst zu tragen und allein vor Gott Rechenschaft abzulegen? Denn schau, mein schwarzer Engel, vom Gehörten bis zur Handlung ist es ein weiter Weg, auf dem viel passieren kann. Eigene Gedanken können dazwischengeraten, Zweifel aufkommen, Auswege sich auftun, Hoffnung aufkeimen … Du kannst dir nicht die Schuld der ganzen Welt aufladen, Blauauge, denn das hat bereits ein anderer vor dir getan. Er ist dafür ans Kreuz genagelt worden.

      Bist du denn eine Gläubige, Rada?

      Muss ich Atheistin sein, nur weil ich die Welt so sehe, wie sie ist? Glaubst du etwa, ich komme in die Hölle, weil ich mein Leben als Dorfhure bestritten habe? Oder weil ich mich damals geweigert hatte, die Kröte taufen zu lassen? Sie lebt ja jetzt im Pfarrhaus, Gott hat sie sich nicht nehmen lassen. Und was meine Wenigkeit anbelangt, habe ich vielen Männern Freude geschenkt und deren Frauen vielleicht sogar noch mehr, da sie hernach von ihren Kerlen in Ruhe gelassen wurden. Mein Beruf mag in den Augen der Öffentlichkeit verwerflich sein, aber es gibt wohl kaum eine andere Tätigkeit, bei der man so wenig Schaden anrichten kann.

      Du bist also mit dir im Reinen?

      Und das solltest du auch sein, Niculiţa. Denn du bist nicht allein für euer familiäres Zerwürfnis verantwortlich, hast allenfalls einen tüchtigen Anteil daran. Es gibt darin noch andere Protagonisten, die Entscheidungen fällten. Auch sie sind zur Verantwortung zu ziehen. Gewiss trägst du eine Mitschuld, dass sich Schwester und Vetter nun in Gefahr befinden, davon kannst du dich nicht reinwaschen. Aber auch sie selbst tragen Schuld daran. Du hast noch nicht einmal den ersten Anstoß hierzu gegeben, denn der ist weit vorher erfolgt. Dein jähzorniger Ausbruch deiner Schwester gegenüber bleibt mir allerdings unbegreiflich, der tätliche Angriff auf deinen Cousin erst recht – ganz zu schweigen von deinem Gefasel von Besudelung der Familienehre. Ich habe zwar immer schon geahnt, dass ihr Hochwohlgeborenen diesbezüglich etwas verschroben seid, aber das ist mir der Theatralik und Bigotterie zu viel. Zumal du mit deinem Liebhaber dort hineingeplatzt bist, während deine Braut daheim auf dich wartete. Auch dein Schneewittchen ist keineswegs ein Unschuldslamm, das sich hat verführen lassen. Sie ist ein reifes Frauenzimmer von fünfundzwanzig Jahren, das ihre Wahl getroffen hat. Was bitte schön empört dich daran? Weil sie es ohne deinen Segen tat? Weil du davon nichts wusstest, ja nicht einmal ahntest? Fühltest dich wahrscheinlich in deiner Eitelkeit verletzt, weil du es eigentlich hättest wissen sollen, wenn du ihr gegenüber aufmerksamer gewesen wärest, oder wenn sie genug Vertrauen in dich gehabt hätte, sich dir zu offenbaren.

      Eine Locke hatte sich aus Radas Haarknoten gelöst und war auf ihre bloße Schulter gefallen, die ihre verrutschte Bauernbluse freigab. Und während sie mich auf diese Weise rügte, rührte sie mit solch sinnlichen Bewegungen den Maisbrei im Topf, dass mir das Wasser im Mund zusammenlief.

      Hast du dich jetzt genug als tragischen Helden gefeiert, Blauauge? Können wir jetzt wieder zur Tagesordnung übergehen?

      So einfach ist das?

      So einfach. Bei Zamolxis*, dein Vater wird’s schon richten!

      Der Blick, den sie mir dabei zuwarf, ließ mich nicht daran zweifeln, dass sie eine Eingeweihte ist. Schließlich steht sie nicht von ungefähr unter unserem Schutz.

      Und du, Rada?, sagte ich nach einer Minute des Schweigens. Warum ist deine Schreibmaschine verstummt?

      Es ist alles niedergeschrieben. Mehr gibt es nicht zu sagen. Es sind sieben Hefte aus der Reihe „Die Waldhure“ entstanden, welche der Phantasie der Männer Flügel wachsen