Nicolae: An der Quelle - Band 7. Aurelia L. Porter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aurelia L. Porter
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Nicolae-Saga
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347053854
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sehr ich Tante Judith vermisse, Zoe! Sie würde für alles eine Lösung finden in ihrer ruhigen, pragmatischen Art, und kitten, was in tausend Scherben zersprungen ist.

      Nun muss ich selbst die Dinge in die Hand nehmen, es ist schließlich nicht das erste Mal.

      Ich räusperte mich und bat Maria um Hilfe. Sie sei ein so gütiges, treues und patentes Mädchen, vielleicht wisse sie eine günstige Bleibe für uns. Oder eine besser bezahlte Arbeit für meinen Mann.

      Was er denn könne?

      Er sei Arzt, in der Neurologie bewandert und neuerdings auch in der Forensik. Ich sah Marias Gesicht an, dass ich sie überforderte.

      Also die letzten beiden Berufe kenne sie nicht, aber sie könne den Arzt-Sohn einmal fragen. Er sei ein viel beschäftigter Mann, wenn nicht in der Praxis anzutreffen, dann auf Hausbesuch. Sie wage ihm kaum in die Quere zu kommen, aber um meinetwegen …

      Ich schlug mir vor die Stirn. Darauf hätte ich auch selbst kommen können. Nur wie hätte ich es anstellen sollen? Ich war dem Finanzmann in diesem Haus nie vorgestellt worden.

      Ich küsste Maria vor Dankbarkeit die Hände und verabschiedete mich. Im Flur rannte ich in Herrn Ludo.

      „Frau Popescu!“, grüßte er mich freudig – wir hatten uns einen Allerweltsnamen zugelegt, Zoe. „Wie schön, Sie wiederzusehen. Ist alles gut gegangen? Darf man gratulieren?“

      Wir tauschten ein paar Höflichkeiten aus, dann winkte er mich in sein Atelier. Er wolle mir etwas zeigen. Er hatte eine lange Leine von einer Wand zur anderen gespannt, an der die zuletzt gemachten Fotografien von mir hingen. Einige hatte er sogar vergrößert. Ich betrachtete mich voller Staunen. Die Bilder wirkten, als würde man heimlich durchs Schlüsselloch schauen und eine Schwangere beim Tagträumen überraschen oder bei der Zwiesprache mit ihrem Ungeborenen. In meinen Zügen lag ein Hauch von Melancholie, in den sich ein Schatten von Kampfgeist mischte. Mir war bis dahin nicht bewusst gewesen, dass sich meine Seele derart in meinem Gesicht abzeichnet. Oder lag dieser Eindruck nur im Auge des Betrachters? Sah nur ich mich so? Was sah Herr Ludo in den Aufnahmen?

      Er sehe das Antlitz einer jungen Frau, welche die Weisheit von Jahrhunderten berge; einen jungfräulichen Leib, der die ganze Welt in sich trage, um sie vor dem Untergang zu bewahren und zu einem günstigeren Zeitpunkt von neuem zu gebären … Er brach ab und hüstelte verlegen. Er bitte um Verzeihung. Dankbar ergriff er meine Hand und küsste sie. Er werde mich über Maria wissen lassen, wann er sie ausstelle.

      Vor ein paar Tagen sind wir in eine kleine, frisch renovierte Wohnung in einem anständigen Viertel gezogen. Es leben hier einfache, aber ordentliche Leute: kleine Beamte, Kontoristen, Händler und Fuhrwerksbesitzer. Die Möbel, die Dorin für uns erstanden hat, sind aus zweiter oder gar dritter Hand, aber gut erhalten und aufgearbeitet. Das Bett ist neu. Ich staune immer noch über diesen Luxus. Er sei befördert worden, teilte er mir kommentarlos mit. So plötzlich? So erheblich? Warum dann diese verhaltene Freude? Warum dieser trübe Schatten in seinem Blick?

      „Darfst du jetzt mehr als nur Leichen waschen?“, neckte ich ihn.

      Einbalsamierung sei eine Wissenschaft für sich, belehrte er mich, denn es komme auf die richtige Mischung und den exakten Zeitpunkt an. Aber er wolle mich nicht mit Einzelheiten langweilen.

      Ich hätte hüpfen mögen vor Freude. Auch wenn die Wohnung nur aus zwei kleinen Zimmern und einer Kochnische besteht, so haben wir doch doppelt so viel Platz als vorher, darüber hinaus eigene Möbel und sogar ein Wasserklosett auf der Etage. Und auch der Ausblick aus dem Fenster ist ein wesentlich erfreulicherer.

      Es geht bergauf, Zoe! Wenn jetzt nur noch der Frühling einzöge …

      12. April 1893

      Liebe Zoe,

      irgendwas stimmt nicht! Ich weiß nur nicht, was. Dorin benimmt sich seltsam. Gestern hatten wir unseren ersten richtigen Streit.

      Ich verstehe einfach nicht, warum er nicht bei Dr. Georgescu vorstellig werden will. Dieser hat ihm immerhin eine Assistentenstelle in einer Nervenheilanstalt in Aussicht gestellt. Ob das nicht besser sei, als tagtäglich in einem modrigen Keller mit Leichen zu hantieren, fragte ich ihn.

      Weshalb ich mich da einmische, er habe doch gerade erst die nächste Leiterstufe erklommen, ob es mir nicht schnell genug damit ginge. Immerhin hätten wir mittlerweile ein anständiges Dach über dem Kopf, die Romanescus seien für ihre Auslagen entlohnt und Sofia sei sogar mit eigener Kleidung und einer Wiege ausgestattet worden. Und auch für mich sei ein neues Kleid dabei abgefallen. Ob ich die Zeit nicht abwarten könne.

      Ich musste schlucken ob seiner Anschuldigungen. Natürlich wisse ich all dies zu schätzen, wir seien auf einem guten Weg. Ich hätte dabei lediglich an ihn gedacht. So ein Angebot würde einem ja nicht jeden Tag gemacht. Er könne es doch wenigstens einmal in Betracht ziehen.

      Tote seien die durchaus angenehmeren Klienten. Ich hätte keine Ahnung, wie es in einem Irrenhaus zugehe; das ständige Geschrei und Gegrunze, der Gestank und das abscheuliche Gebaren – nicht zuletzt begebe man sich tagtäglich in Gefahr für Leib und Leben. Wohingegen Tote schlecht um sich schlagen oder einem an die Kehle springen könnten.

      Schon gut, warf ich ihm entgegen, des Menschen Wille ist sein Himmelreich.

      Hatte ich nun gehofft, er würde das Thema fallen lassen und sich wieder dem gebratenen Huhn auf seinem Teller widmen, so unterlag ich einem gewaltigen Irrtum.

      Wie ich überhaupt zu dem Kontakt gekommen sei? Dr. Georgescu habe seine Praxis doch in einem ganz anderen Stadtbezirk.

      Dieser sei über das Dienstmädchen eines seiner Kollegen zustande gekommen, das ich auf dem Markt kennengelernt hätte, antwortete ich, seinem Blick ausweichend.

      Ob ich nichts Besseres zu tun hätte, als jeder dahergelaufenen Magd zu erzählen, dass ihr Mann nicht imstande sei, ausreichend für seine Familie zu sorgen?

      Mir fiel fast die Gabel aus der Hand, Zoe.

      Doch, natürlich!, antwortete ich verärgert. Schon vor Wochen sei ich mit ihr ins Gespräch gekommen, und da habe sich eben herausgestellt, dass sie für einen Arzthaushalt arbeite. Was habe da näher gelegen, als das Thema anzusprechen, zumal wir zu dem Zeitpunkt nicht gewusst hätten, wovon wir unser tägliches Brot hätten bezahlen sollen. Er könne doch nicht von mir erwarten, dass ich in Zeiten der Not tatenlos zu Hause herumsäße.

      Es gefalle ihm nicht, dass ich fremden Leuten Einblick in unsere Angelegenheiten böte, ich solle bedenken, dass wir inkognito in dieser Stadt lebten.

      Ach, und der Pope, der uns getraut hat und den er dafür die Kirchenbücher nach seinem Familiennamen habe durchwühlen lassen?

      Aber das dachte ich nur, denn die Erinnerung an unsere prekäre Lage fuhr mir wie ein Boxhieb in die Magengrube. Mit einem Mal wurde ich mir wieder der Gefahr bewusst, in der wir uns befinden. Zu sehr haben wir die letzten Wochen und Monate ums nackte Überleben kämpfen müssen, sodass ich sämtliche Vorsicht habe fahren lassen.

      Doch nun, wo es uns besser geht und meine Gedanken nicht mehr von der Frage nach der nächsten Mahlzeit abgelenkt sind, kommt die Furcht zurück. Sowie das Heimweh, Zoe.

      Am meisten macht mir jedoch Dorins Verstimmung zu schaffen: seine Anschuldigung, ich hätte unüberlegt gehandelt, seine Zurechtweisung auf einen Platz, den ich nicht einnehmen will. Ich warte nur noch darauf, dass er mir sagt, ich solle mich um Haus und Kind kümmern und alles andere, sprich: Wesentlichere, ihm überlassen.

      „Tut mir leid, falls ich meine Kompetenzen überschritten haben sollte“, sagte ich säuerlich und schob meinen Teller zurück.

      „Du wirst jetzt nicht vom Tisch aufstehen, wir sind noch nicht fertig!“, bellte er mich an.

      Tränen schossen mir in die Augen, so erschrocken und gleichsam enttäuscht war ich über den rüden Ton, den er mir gegenüber anschlug. So kenne ich Dorin gar nicht. Mein Dodo wäre gerührt gewesen, dass ich die Initiative ergriffen habe, um ihm zu einer besser dotierten Stelle zu verhelfen. Nicht nur des Geldes oder der gesellschaftlichen