Nicolae: An der Quelle - Band 7. Aurelia L. Porter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aurelia L. Porter
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Nicolae-Saga
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347053854
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Hilfe. Natalia darf nicht erfahren, dass er mich gerufen hat, sie würde es ihm nie verzeihen. Ich musste Notlügen erfinden, um zu erklären, wie ich sie aufgespürt hatte. – Beide samt meinem Enkelkind dort zurückzulassen, mich wieder von ihnen, die ich gerade erst gefunden hatte, zu trennen …“

      Ich konnte sehen, wie sehr es ihn schmerzte. Ergriffen legte ich meine Hand auf die seine. Er nahm sie auf und küsste sie, wie er es wohl schon Hunderte Mal zuvor getan hatte – und doch so gänzlich anders. Tief sah er mir in die Augen. Ob ich wohl die Güte besäße, ob ich mir vorstellen könnte …

      Selbstverständlich würde ich die beiden aufsuchen und versuchen, auf Natalia einzuwirken, um sie umzustimmen, erwiderte ich. Unser aller Glück hinge schließlich davon ab.

      Die Not vereinte uns. Wir hatten wieder ein gemeinsames Ziel!

      Noch bevor er meine Hand wieder freigab, wusste ich, dass nun der Augenblick gekommen war. Unwillkürlich begann ich zu zittern. Da nahm er mich fest in seine Arme. Und als wir uns voneinander lösten, war es, als erblickten wir uns das erste Mal. Ungläubig erkundeten wir einander, uns zaghaft berührend. Taumelig suchten unsere Lippen nach einander, und als sie sich fanden, wich aller Widerstand in mir und ich zerschmolz an seiner Brust. Die Zeit hatte aufgehört zu existieren. Es war nur noch pures Sein in einem einzigen Moment – kein Gestern mehr, kein Morgen. Sämtliche physikalischen Gesetze schienen aufgehoben. Und während alles in mir und an mir zu ihm hinstrebte, fiel mir nur dieses eine verdammte Wort ein: Affinität – das Bestreben zweier Stoffe, eine Bindung einzugehen …

      Er presste mich an sich, weil ich selbst keinen Halt mehr fand. Und als seine Lippen sich neuerlich an die meinen schmiegten und ich ihm klopfenden Herzens Zugang zu meinem Inneren gewährte, da spürte ich ein bisher nicht gekanntes, alles verzehrendes Feuer in mir auflodern, das mir jegliche Sinne nahm. Ich hörte mich seufzen, während meine Beine nachgaben. Ich hätte mich ihm in jenem Moment wohl vollends hingegeben, zu lange hatte ich die Glut in mir auf kleinster Flamme gehalten, sodass sie jetzt jäh aufloderte und alles in Brand setzte. Doch er zügelte sich, nahm Haltung an und brachte mich wieder in eine würdevolle Position. „Wir müssen nicht in einer Nacht nachholen, was wir über all die Jahre hinweg versäumt haben, Judiţa. Wir haben noch eine Ewigkeit vor uns“, flüsterte er mir ins Ohr, und allein sein Atem auf meiner Haut und sein Duft in meiner Nase ließen mich erbeben. Schmunzelnd entließ er mich aus seinen Armen und zupfte meine Kleidung zurecht.

      „Ihr wollt mich doch wohl jetzt nicht allein lassen in meinem Gefühlschaos!“

      „Oh doch, Liebste. Das muss leider sein.“

       Der letzte Spross (3) – Schriftliche Zeugnisse

      Ich weiß nicht, wie oft ich damals die Schublade in Mutters „Sekretär“, der in Wahrheit nur ein abschließbares Barfach in einer billigen kunststoffbeschichteten Schrankwand war, nach weiteren Seiten aus Judiths Tagebuch durchsuchte.

      Dass diese so mittendrin, schlimmer noch, an einer Stelle abbrachen, an der es gerade spannend zu werden versprach, trieb mich damals fast in den Wahnsinn. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass Mutter mir die letzten Seiten absichtlich vorenthielt, weil diese vermutlich nicht jugendfrei waren.

      Doch außer ihren Reisenotizen, alten Ansichtskarten, einer Handvoll vergilbter Schwarzweiß-Fotos und einem Polaroid-Foto, das sie und ihre Kolleginnen bei irgendeiner Bürofeier zeigte, sowie abgerissenen Kinokarten und Sammelbildern aus Zigarettenschachteln gab es darin nichts zu entdecken.

      Ich sollte erst Jahre später in ihren Besitz gelangen.

      Der Chronologie zuliebe muss ich ihren Inhalt noch zurückhalten. Auch um die Bedeutsamkeit dieser Hinterlassenschaft zu verdeutlichen und um glaubhaft zu vermitteln, dass doch ist, was nicht sein kann: eine verborgene Welt, die zu retten jetzt einzig und allein in meiner Hand liegt.

      Ein gewaltiges Erbe, das lediglich mit einer Kladde, alten gebündelten Briefen und einem in einem Wäschefach versteckten altmodischen Schlüssel begann …

       Der letzte Spross (4) – Die Suche

      Erwähnte ich schon, dass meine Mutter von Sternzeichen Widder war? Immer mit dem Kopf durch die Wand, bockig bis zum geht nicht mehr! Man könnte sie auch als konsequent und sich selbst treu bezeichnen, wenn man es positiv ausdrücken wollte. Als Kind und Jugendliche hatte ich oft schwer unter ihren unumstößlichen Prinzipien zu leiden.

      Seltsam, dass man als Erwachsener den Freiheitsdrang der Jugend so völlig aus dem Blick verliert. Dabei hat sie selbst damals – vom Gängelband ihrer vermeintlichen Mutter losgerissen – die Sommerwochen im Cottage als ihre aufregendsten und schönsten bezeichnet. Trotz des bitteren Endes.

      Als ich vierzehn wurde, enthüllte sie mir endlich, wo ich gezeugt worden war und überreichte mir dazu feierlich ihre Reisenotizen. Sie fand wohl, dass ich nunmehr ein Alter erreicht hatte, in dem man über „solche Sachen“ sprechen konnte. Nicht, dass meine Mutter in dieser Hinsicht verklemmt gewesen wäre, keineswegs. Sie lief oft halb nackt durch die Wohnung, betrachtete im Spiegel eingehend ihre Brüste und stellte sich dann seitlich davor, um ihren eingezogenen Bauch zu begutachten. Als in den 70ern die sogenannten Flitzer unterwegs waren, erfreute sie sich an dem schwingenden und wippenden „Gehänge“ beiderlei Geschlechts. Sie trug außerhalb des Büros Mini-Röcke und es gefiel ihr, wenn die Männer hinter ihr her pfiffen – zu Recht, denn ihre langen schlanken Beine machten selbst Barbie Konkurrenz. Trotzdem ließ sie nie einen an sich heran. Als Mutter eines unehelichen Kindes – damit war ich gemeint – habe sie Rücksicht auf dieses zu nehmen. Sie wolle beweisen, dass man auch außerhalb der Institution Ehe ein anständiges Leben mit Kind führen könne. Dazu bedürfe es keines Kerls an ihrer Seite. Punkt!

      Sie verstand nicht, warum ich plötzlich meinen Vater kennenlernen wollte.

      Wieso plötzlich? Gefragt hatte ich immer schon nach ihm – er lebe doch noch?

      Oh ja, und ob!

      Das kam regelmäßig mit einem solch verächtlichen Schnauben, dass ich mir ihn immer als Hallodri vorstellte, der jede Woche eine Neue durchs Bett zog.

      Was denn dann dagegenspräche?

      Wir kommen ohne Männer aus. Punkt!

      Der Wunsch, meinen Vater kennenzulernen, wurde in den folgenden Jahren immer größer – nun, da ich durch die Reisenotizen meiner Mutter eine genauere Vorstellung von ihm bekommen hatte. Natürlich begann ich ihn zu idealisieren. Meine Mutter schimpfte mich „vaterverrückt“ und spielte die Beleidigte. Sie habe sich aufgeopfert für mich und das sei nun der Dank.

      Ich hätte sie nicht darum gebeten. Nur weil sie ohne Vater aufgewachsen sei, müsse ich es doch noch lange nicht …

      Den Punkt setzte sie diesmal in Form einer Ohrfeige. Wütend knallte ich die Zimmertür hinter mir zu.

      In jenem Jahr – ich war gerade sechzehn geworden – beschloss ich, in den Sommerferien nach England zu reisen, ob es ihr nun passte oder nicht Ich würde meinen Vater dort schon ausfindig machen. So viele Palace Hotels in der Nähe von Folkestone konnte es nicht geben.

      Gab es auch nicht. Es gab nämlich kein einziges!

      Ich war, abgesehen von der Fähre, per Anhalter gefahren. Meine Mutter kam um vor Angst, dass ich einem Vergewaltiger in die Hände geriete, ließ alles stehen und liegen und reiste mir hinterher.

      Sie fand mich unten am Strand. Wie, wird mir auf immer ein Rätsel bleiben. Sie hockte sich schweigend zu mir auf den Stein, auf dem ich saß, und schlang sich ihr Halstuch um den Kopf. Gemeinsam sahen wir den Wellen zu, die am Felsen zerschlugen.

      Als das Tageslicht zu schwinden begann, erhob sie sich und deutete auf eine Stelle unterhalb der Klippen. „Dort“, war alles, was sie sagte.

      Ich verstand sofort. Der romantische Ort rührte mich.

      Warum sie mir dies nicht schon viel früher erzählt habe? Was sei denn dabei?

      Da bekam ihr Gesicht einen gehetzten Ausdruck.

      Mein